Название | Handbuch des Strafrechts |
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Автор произведения | Jörg Eisele |
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Издательство | |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783811449664 |
b) Vorläufige Untersagung der Indikationsfeststellung
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Wird ein Arzt eines Abtreibungsdelikts (§§ 218 ff. StGB) oder einer anderen mit einem Schwangerschaftsabbruch in Zusammenhang stehenden Straftat verdächtigt und wird gegen ihn ein Hauptverfahren nach § 207 StPO eröffnet, so kann ihm die zuständige Behörde vorläufig untersagen, Indikationsfeststellungen nach § 218b Abs. 1 StGB zu treffen. Dabei ist der Eröffnung eines Hauptverfahrens die Beantragung bzw. der Erlass eines Strafbefehls gleichzusetzen.[268] Während die Bestimmung über die endgültige Untersagung der Indikationsfeststellung nach § 218b Abs. 2 S. 1 StGB zwingend ist, handelt es sich bei der vorläufigen Untersagung um eine Kann-Vorschrift, deren Dauer gesetzlich nicht geregelt wird.[269] Die Anordnung einer vorläufigen Untersagung und deren allfälligen Dauer liegt folglich im Ermessen der zuständigen Behörde.[270] Betreffend die Konkurrenzfrage bleibt festzuhalten, dass § 218b StGB gegenüber § 218 StGB subsidiär ist.[271]
VI. Ärztliche Pflichtverletzung bei einem Schwangerschaftsabbruch (§ 218c StGB)
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§ 218c StGB zielt darauf ab, die vom Bundesverfassungsgericht festgehaltenen Verhaltensanforderungen an den abbrechenden Arzt gesetzgeberisch umzusetzen.[272] Dabei soll durch diese Vorschrift sowohl die Gesundheit der Schwangeren als auch das Leben des Ungeborenen geschützt werden.[273] Konkret beabsichtigt die Norm, welche als Sanktion eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe vorsieht, eine Missachtung der Pflichten nach § 218c Abs. 1 Nr. 1–4 StGB zu verhindern.[274] Als unmittelbarer Täter kommt grundsätzlich nur der abbrechende Arzt in Frage, da die Schwangere aufgrund eines persönlichen Strafausschließungsgrundes in § 218c Abs. 2 StGB von einer Bestrafung befreit wird.[275] Allerdings ist eine Teilnahme an einem Schwangerschaftsabbruch im Sinne von § 218c Abs. 1 StGB (mit Ausnahme der Schwangeren) beispielsweise durch ärztliches Hilfspersonal durchaus möglich.[276] § 218c Abs. 1 StGB stellt somit ein Sonderdelikt dar.[277] In subjektiver Hinsicht erfordert der Straftatbestand von § 218c Abs. 1 StGB vorsätzliches Handeln, wobei bedingter Vorsatz genügt.[278] Sowohl die praktische als auch die kriminalpolitische Bedeutung von § 218c StGB werden allerdings als gering eingeschätzt.[279]
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Dem abbrechenden Arzt werden in § 218c Abs. 1 StGB Darlegungs-, Beratungs- und Vergewisserungspflichten auferlegt.[280] Die Verletzungen dieser Pflichten sind dabei als abstrakte Gefährdungsdelikte zu qualifizieren.[281] Eine Bestrafung nach § 218c Abs. 1 StGB setzt neben einem Pflichtverstoß im Sinne von § 218c Abs. 1 Nr. 1–4 StGB (sog. negative Tatbestandsmerkmale) die Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs, genauer einen vollendeten Abbruch, voraus.[282] Gleichsam wie § 218b StGB erlangt auch § 218c StGB nur subsidiär Bedeutung, nämlich dann, wenn die Tat nicht nach § 218 StGB strafbar ist.[283]
1. Gelegenheit zur Begründung des Abbruchsverhaltens (Abs. 1 Nr. 1)
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Gemäss § 218c Abs. 1 Nr. 1 StGB wird der abbrechende Arzt gesetzlich verpflichtet, der Schwangeren Gelegenheit zur Darlegung der Motivation zur Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs einzuräumen. Sofern die Schwangere jedoch die Mitteilung ihrer Abbruchsgründe verweigert, ist der abbrechende Arzt nicht verpflichtet auf deren Darlegung zu insistieren.[284] Der Fokus der Bestimmung liegt folglich lediglich auf dem Einräumen einer Gelegenheit zur Stellungnahme gegenüber der Schwangeren durch den Arzt.[285] Aufgrund der Subsidiarität von § 218c StGB zu § 218 StGB kommt eine Bestrafung des Arztes nach § 218c Abs. 1 Nr. 1 StGB grundsätzlich nur dann in Frage, wenn der Arzt (1) einen Schwangerschaftsabbruch vornimmt, ohne der Schwangeren eine Möglichkeit zur Erklärung ihres Abbruchverlangens einzuräumen oder (2) der erklärungsbereiten Schwangeren die Möglichkeit verweigert, ihr Verlangen zu erläutern.[286]
2. Ärztliche Beratung (Abs. 1 Nr. 2)
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Der abbrechende Arzt hat gemäss § 218c Abs. 1 Nr. 2 StGB die Schwangere im Sinne des informed consent-Prinzips über die Bedeutung des geplanten Eingriffs zu unterrichten. Diese Beratungspflicht soll demzufolge sicherstellen, dass die abbruchswillige Schwangere über alle mit dem Eingriff zusammenhängenden, relevanten Umstände wie beispielsweise über die Risiken, den Ablauf und allfällige physische oder psychische (Spät-)Folgen des Eingriffs aufgeklärt wird.[287] Die Beratung hat dabei im Rahmen eines persönlichen Gesprächs, d.h. unter physischer Anwesenheit der Schwangeren und des abbrechenden Arztes zu erfolgen.[288] Anders als in § 218a Abs. 1 Nr. 1 StGB ist gesetzlich keine Karenzfrist zwischen der Beratung und der Vornahme des Schwangerschaftsabbruchs vorgesehen.[289]
3. Ärztliche Feststellung des Schwangerschaftsabbruchs (Abs. 1 Nr. 3)
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§ 218c Abs. 1 Nr. 3 StGB bezweckt, die Einhaltung der gesetzlich normierten Fristen (§ 218a Abs. 1 und Abs. 3 StGB) zur Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs sicherzustellen.[290] Dem abbrechenden Arzt obliegt demnach die Pflicht, sich vor Durchführung des Abbruchs zu vergewissern, dass die gesetzlich zulässige Frist noch nicht überschritten wurde. Widerhandlungen gegen diese Obliegenheit werden nur dann nach § 218c Abs. 1 Nr. 3 StGB geahndet, wenn – trotz fehlender Überprüfung seitens des Arztes – die Frist im Zeitpunkt der Vornahme des Eingriffs tatsächlich noch nicht verstrichen war.[291] Bestraft wird folglich bereits die bloße Inkaufnahme einer Fristüberschreitung mangels Überprüfung der Fristeneinhaltung.[292]
4. Eigene Beratung (Abs. 1 Nr. 4)
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Um allfällige Interessenkonflikte vorzubeugen, normiert § 218c Abs. 1 Nr. 4 StGB das Verbot der Doppelrolle, d.h. der im Sinne von § 219 StGB beratende Arzt darf nicht zugleich der im Falle von § 218a Abs. 1 StGB abbrechende Arzt sein.[293] Das Doppelrollenverbot bezieht sich dabei lediglich auf dieselbe Schwangerschaft.[294] Darüber hinaus werden lediglich Fälle der Fristenlösung nach § 218a Abs. 1 StGB durch das Verbot in § 218c Abs. 1 Nr. 4 StGB erfasst, da beim sozial-medizinisch oder kriminologisch indizierten Schwangerschaftsabbruch (§ 218a Abs. 2 und 3 StGB) keine Beratungspflicht gesetzlich statuiert wurde.[295] Zusammenfassend stellt § 218c Abs. 1 Nr. 4 StGB die Sanktionsnorm zum gesetzlich festgehaltenen ärztlichen Doppelrollenverbot nach § 219 Abs. 2 S. 3 StGB dar.[296]
VII. Beratung der Schwangeren in einer Not- und Konfliktlage (§ 219 StGB)
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§ 219 StGB ist anders als die §§ 218–218c StGB nicht als Strafnorm zu qualifizieren.[297] Die besagte Gesetzesnorm ist vielmehr als eine normative Festlegung von Voraussetzungen anzusehen, denen eine Beratung im Sinne von § 218a Abs. 1 StGB zu genügen hat.[298] Dabei gilt es, klar zwischen der notlagenorientierten Beratung gemäss § 219 StGB, der ärztlichen Beratung im Sinne von § 218c Abs. 1 Nr. 2 StGB sowie der allgemeinen, vor jedem Eingriff erforderlichen ärztlichen Aufklärungspflicht zu differenzieren.[299] Detaillierte Regelungen betreffend das Ziel, den Inhalt bzw. die Durchführung des Beratungsgesprächs sind den §§ 5 ff. des Schwangerschaftskonfliktgesetzes (SchKG) zu entnehmen.[300] Aus diesem Grund sollen nachfolgend summarisch die wichtigsten Voraussetzungen wiedergegeben werden.
1. Durchführung des Beratungsgesprächs