Название | Handbuch des Strafrechts |
---|---|
Автор произведения | Jörg Eisele |
Жанр | |
Серия | |
Издательство | |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783811449664 |
1. Abschnitt: Schutz von Leib und Leben › § 3 Schwangerschaftsabbruch › D. Strafnormen in §§ 218–219b StGB
I. Schutzbereich im Allgemeinen
18
Die gegenwärtigen strafrechtlichen Schutznormen zum Schwangerschaftsabbruch sehen eine Fristenlösung mit Beratungspflicht vor, die durch zwei Indikationsregelungen ergänzt wird.[120] Als Schwangerschaftsabbruch gilt jegliches Abtöten der Leibesfrucht.[121] Strafrechtlich geschützt wird gemäss § 218 Abs. 1 S. 2 StGB das werdende Leben mit Abschluss der Nidation, d.h. mit erfolgter Einnistung der befruchteten Eizelle in die Gebärmutter der Frau, welche in der Regel 13 Tage nach der Empfängnis vollendet ist.[122] Der Schutzbereich der §§ 218 ff. StGB endet mit Eintritt der Geburtswehen. Ab diesem Zeitpunkt finden die §§ 211 ff. und §§ 223 ff. Anwendung.[123] Auf einen Schutz des ungeborenen Lebens in der Pränidationsphase und folglich ab dem Zeitpunkt der Konzeption, also der Verschmelzung der männlichen Samen- und der weiblichen Eizelle, wurde verzichtet, um die Verwendung nidationshemmender Verhütungsmittel, wie beispielsweise die „Pille danach“, erlauben zu können.[124] Dagegen wird der Gebrauch nidationshindernder oder -abbrechender Medikamente (z.B. die sog. Abtreibungspille), welche eine bereits in der Gebärmutter eingenistete, befruchtete Eizelle abtöten, von den Strafnormen der §§ 218 ff. StGB erfasst.[125]
19
Durch die §§ 218 ff. StGB soll das ungeborene menschliche Leben als eigenständiges höchstpersönliches Rechtsgut geschützt werden.[126] Jedoch ist fraglich, ob die besagten Normen auch die Gesundheit der Schwangeren im Sinne eines Rechtsguts als schützenswert erachten. Nach herrschender Lehre stellt die Gesundheit der Schwangeren sehr wohl ein solches Rechtsgut dar, jedoch wird diesem durch die §§ 218 ff. StGB nur ein mittelbarer Schutz zuerkannt, weshalb diesbezüglich von einem bloßen Schutzreflex die Rede ist.[127]
II. Schutzwürdigkeit und Schutzstadien
20
Der strafrechtliche Schutz des Nasciturus ist – abhängig von dessen pränatalem Entwicklungsstadium – unterschiedlich stark ausgestaltet. Zunächst können drei zeitliche Phasen der Schwangerschaft unterschieden werden, nämlich als erste Phase diejenige von der Befruchtung der Eizelle (sog. Konzeption) bis zu deren Einnistung in die Gebärmutter (sog. Nidation) der Frau.[128] Diese Frühphase, auch Pränidationsphase genannt, ist kernstrafrechtlich nicht erfasst.[129] In einer zweiten Phase, welche von der Nidation bis zum Abschluss der 12. Schwangerschaftswoche dauert, sind Schwangerschaftsabbrüche unter Beachtung der Voraussetzungen von § 218a Abs. 1 StGB generell straffrei bzw. bei Vorliegen einer kriminologischen Indikation nach § 218a Abs. 3 StGB rechtmäßig.[130] Der strafrechtliche Schutz Ungeborener ist dabei relativ schwach ausgestaltet, da die Zulässigkeit eines Schwangerschaftsabbruchs lediglich an formale Kriterien wie die Einhaltung einer zeitlichen Frist, ein vorgängiges Beratungsgespräch und die Vornahme des Abbruchs durch einen Arzt geknüpft ist.[131] Die dritte Phase schließlich, welche die Schwangerschaft nach der 12. Schwangerschaftswoche erfasst, führt zu einem verschärften strafrechtlichen Schutz des ungeborenen Lebens und lässt einen Schwangerschaftsabbruch nur noch unter der Voraussetzung einer medizinisch-sozialen Indikation i.S.v. § 218a Abs. 2 StGB zu.[132] Obwohl das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung dem werdenden Leben klar und deutlich ein Lebensrecht im Sinne von Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 2 GG zugesteht (siehe Rn. 5 ff.), herrscht diesbezüglich in der strafrechtlichen Lehre keineswegs Einigkeit.[133] Dabei reichen die Ansichten von einem absoluten Lebensrecht Ungeborener ab dem Zeitpunkt der Konzeption bis hin zur Ablehnung eines Lebensschutzes bis zur Geburt.[134] Immer öfters werden in der Lehre auch Stimmen laut, die sich für ein abgestuftes Lebensrecht bzw. einen abgestuften Lebensschutz des ungeborenen menschlichen Lebens aussprechen.[135] Nach deren Meinung wächst mit fortschreitender Entwicklung des Embryos in vivo auch dessen Lebensrecht bzw. Menschenwürde.[136] Demgegenüber sehen sich die Gegner einer abgestuften Schutzwürdigkeit der Leibesfrucht in der verfassungsrechtlichen Gesetzesnorm von Art. 1 Abs. 1 GG sowie in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Thematik des strafrechtlich relevanten Schwangerschaftsabbruchs bestätigt, wonach dem Embryo ab dem Zeitpunkt der Nidation der Würdeschutz vollumfänglich zukommt, d.h. e contrario der Verfassungswortlaut keinen abgeschwächten Schutzumfang zuzulassen vermag.[137]
III. Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs (§ 218 StGB)
21
§ 218 StGB hält als Grunddelikt den Grundsatz der Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs fest.[138] Dabei kann ein strafbarer Schwangerschaftsabbruch gemäss § 218 Abs. 1 StGB nicht nur von einer Drittperson im Sinne eines Fremdabbruchs, sondern laut § 218 Abs. 3 StGB auch von der Schwangeren selbst (sog. Selbstabbruch) vorgenommen werden.[139] Auch die mittelbare Täterschaft einer Drittperson oder der Schwangeren wird von § 218 StGB erfasst.[140] Als Tathandlung kommt jede Einwirkung auf die Schwangere oder den Embryo bzw. Fötus in vivo in Frage, welche ein Absterben der Leibesfrucht im Mutterleib oder aber deren Abgang in nicht lebensfähigem Zustand bewirkt.[141] Die Tathandlung nach § 218 StGB hat dabei zwischen der abgeschlossenen Nidation und vor dem Einsetzen der Geburtswehen zu erfolgen.[142] Laut Gesetzeswortlaut in § 218 Abs. 1 StGB ist das werdende Leben ab dem Zeitpunkt der Einnistung in die Gebärmutter der Schwangeren strafrechtlich geschützt, d.h. Abtreibung von extrauterinen (außerhalb der Gebärmutter eingenisteten) Schwangerschaften, wie beispielsweise Eileiter- oder Bauchhöhlenschwangerschaften werden nicht vom Straftatbestand in § 218 StGB erfasst.[143] Den Straftatbestand des Schwangerschaftsabbruchs erfüllt zudem nur, wer vorsätzlich handelt, wobei bedingter Vorsatz genügt.[144] Dabei muss auch die Tatbestandsvoraussetzung des Absterbens der Leibesfrucht vom Vorsatz des Täters erfasst sein.[145] Hingegen fällt eine Bestrafung nach § 218 StGB bei fahrlässigem Schwangerschaftsabbruch außer Betracht.[146] Auch der versuchte Schwangerschaftsabbruch durch Drittpersonen wird gemäss § 218 Abs. 4 StGB bestraft, während sich die Schwangere selbst aufgrund eines persönlichen Strafausschließungsgrundes nicht wegen Versuchs strafbar machen kann.[147] Trotz des gesetzlich normierten Strafausschließungsgrundes der Schwangeren in § 218 Abs. 4 StGB bleibt auch der seitens einer Schwangeren versuchte Schwangerschaftsabbruch rechtswidrig.[148] Während der Fremdabbruch gemäss § 218 Abs. 1 StGB mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit einer Geldstrafe geahndet wird, kann laut § 218 Abs. 3 StGB ein Selbstabbruch im Sinne einer Privilegierung mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder einer Geldstrafe bestraft werden. In besonders schweren Fällen von Fremdabbrüchen sieht das Gesetz in § 218 Abs. 2 StGB eine Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten bis zu fünf Jahren vor. Gemäss den gesetzlich aufgeführten Regelbeispielen gelten als besonders schwere Fälle der gegen den Willen der Schwangeren vorgenommene Schwangerschaftsabbruch (§ 218 Abs. 2 Nr. 1 StGB) oder aber das leichtfertige Verursachen einer Todesgefahr oder schwerer Gesundheitsschädigung der Schwangeren (§ 218 Abs. 2 Nr. 2 StGB).[149] Die Verjährungsfrist zur Strafverfolgung eines strafbaren Schwangerschaftsabbruchs im Sinne von § 218 StGB beginnt nach § 78a S. 2 StGB mit dem Absterben der Leibesfrucht, wobei ab diesem Zeitpunkt ein Verstoß gegen § 218 StGB während fünf Jahren verfolgt werden kann.
22
Hinsichtlich der Konkurrenzregelung zu § 218 StGB kann Folgendes festgehalten werden: Wird trotz Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs das Kind lebend geboren und nach der Geburt versucht, es zu töten, liegt unter der Voraussetzung der Lebensfähigkeit des Kindes Realkonkurrenz zwischen § 218 und den §§ 211 ff. StGB vor.[150] Ist das Kind lebensunfähig, so ist von Idealkonkurrenz zwischen § 218 und §§ 211 ff. StGB auszugehen.[151] Wird die schwangere Frau beim Eingriff verletzt, so wird deren Körperverletzung als Begleittat von § 218 StGB verdrängt,