Название | Handbuch des Strafrechts |
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Автор произведения | Jörg Eisele |
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Год выпуска | 0 |
isbn | 9783811449664 |
IV. Schutzumfang Ungeborener nach der Charta der Grundrechte der Europäischen Union
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Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, welche seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1. Dezember 2009 für alle EU-Mitgliedstaaten rechtsverbindlich ist, statuiert in Art. 2 Abs. 1 EuGrCh, dass jeder Mensch ein Recht auf Leben hat. Diese Gesetzesnorm ist derjenigen von Art. 2 EMRK nachgebildet.[90] Der Schutzbereich von Art. 2 Abs. 1 EuGrCh erstreckt sich auf die physische Existenz eines jeden Menschen.[91] Nebst dem Schutz der menschlichen Integrität sollen dabei auch Voraussetzungen zu dessen Erhalt geschaffen werden.[92] Jedoch ist auch dem Wortlaut von Art. 2 Abs. 1 EuGrCh nicht zu entnehmen, wann das menschliche Leben beginnt bzw. ob auch Ungeborenen ein Lebensrecht im Sinne der EU-Grundrechtscharta zuzugestehen ist.[93] Als Begründung für diese offene Formulierung wird einmal mehr der fehlende Konsens der EU-Mitgliedstaaten über den Beginn des menschlichen Lebens angeführt.[94] Zudem hätte die Bejahung eines Lebensrechts Ungeborener eine unionsweite Unzulässigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen zur Folge.[95] Während der EGMR im Rahmen der Rechtsprechung zur EMRK bereits zur Frage nach dem Lebensrecht Ungeborener Stellung nehmen konnte, blieb dies dem EuGH in Bezug auf die Rechtsprechung zur EU-Grundrechtscharta bislang verwehrt.[96]
V. Schutzumfang Ungeborener nach dem Internationalen Pakt über die bürgerlichen und politischen Rechte
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Der internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte, welcher für Deutschland am 23. März 1976 in Kraft getreten ist, statuiert wie die EMRK ein Lebensrecht. Laut Art. 6 Abs. 1 IPbpR kommt jedem Menschen ein angeborenes Recht auf Leben zu. Darüber hinaus darf niemand willkürlich seines Lebens beraubt werden. Demzufolge wird auch durch den IPbpR ein Lebensrecht garantiert. Jedoch kann dem Gesetzeswortlaut des IPbpR ebenso wie der EMRK nicht entnommen werden, in welchem Zeitpunkt das Recht auf Leben beginnt.[97] Immerhin lässt sich aus Art. 6 Abs. 5 IPbpR, welcher die Vollstreckung der Todesstrafe bei schwangeren Frauen untersagt, ableiten, dass auch das Leben Ungeborener schützenswert ist. Daraus jedoch auf ein Lebensrecht von Embryonen und Föten zu schließen, wäre verfehlt. Ebenso ist den „travaux préparatoires“ nicht zu entnehmen, dass bei der Schaffung von Art. 6 IPbpR ein Lebensschutz des ungeborenen Lebens beabsichtigt wurde.[98] In der Vergangenheit beantragten bereits mehrere Mitgliedstaaten der UN-Menschenrechtskonvention das werdende Leben vom Zeitpunkt der Empfängnis im Sinne von Art. 6 Abs. 1 IPbpR zu schützen.[99] Solche Anträge wurden aber jeweils von einer Mehrheit der Delegierten abgelehnt. Dennoch kann aufgrund dieser Verweigerung des Zugeständnisses eines absoluten, vom Zeitpunkt der Empfängnis andauernden Lebensrechts dem ungeborenen Leben nicht jegliche Schutzwürdigkeit abgesprochen werden.[100]
VI. Schutzumfang Ungeborener nach dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes
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In Art. 6 Abs. 1 des in Deutschland am 5. April 1992 in Kraft getretenen Übereinkommens über die Rechte des Kindes wird festgehalten, dass jedem Kind ein angeborenes Recht auf Leben zukommt. Laut Art. 1 KRK gilt als Kind „jeder Mensch, der das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, soweit die Volljährigkeit nach dem auf das Kind anzuwendenden Recht nicht früher eintritt“. Dieser Norm kann zwar das Ende, jedoch nicht der Beginn des Kindseins entnommen werden. Dabei wird die Frage, ob die Schutzrechte der UN-Kinderrechtskonvention auch Ungeborenen zuteilwerden sollen, durch Art. 6 Abs. 1 bzw. Art. 1 KRK bewusst offen gelassen.[101] Mit der Verwendung der Bezeichnung „Kind“ und dem Verzicht, den Beginn des Kindseins näher zu definieren, soll nämlich den einzelnen Vertragsstaaten ermöglicht werden, selbst entscheiden zu können, ob im jeweiligen nationalen Recht auch dem ungeborenen menschlichen Leben ein Lebensrecht zuerkannt werden soll.[102] Immerhin lässt Abs. 9 der Präambel der KRK den Schluss zu, dass auch das ungeborene menschliche Leben schützenswert ist, indem festgehalten wird, dass sich die Vertragsstaaten darin einig sind, dass „das Kind wegen seiner mangelnden körperlichen und geistigen Reife besonderen Schutzes und besonderer Fürsorge, insbesondere eines angemessenen rechtlichen Schutzes vor und nach der Geburt, bedarf“. Zu beachten bleibt allerdings, dass der Präambel im Gegensatz zu den einzelnen Konventionsartikeln keine die Vertragsstaaten bindende Kraft zukommt.[103]
1. Abschnitt: Schutz von Leib und Leben › § 3 Schwangerschaftsabbruch › C. Beginn des menschlichen Lebens
C. Beginn des menschlichen Lebens
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Elementar für die Beurteilung von Straftaten gegen das Leben (§§ 211 ff. StGB) ist die Definition von Leben, insbesondere die Frage, wann das menschliche Leben beginnt und endet.[104] Im Strafrecht beginnt das menschliche Leben nach herrschender Meinung mit dem Einsetzen des Geburtsaktes, d.h. bei einer natürlichen Geburt mit dem Eintritt der Eröffnungswehen.[105] Wird der Geburtsvorgang operativ eingeleitet, also ein sog. Kaiserschnitt durchgeführt, so setzt der Beginn des Lebens als Mensch mit der Öffnung des Uterus (Gebärmutter) ein.[106] Das Abstellen auf die Eröffnungswehen wird nach vorherrschender Ansicht mit der Begründung, dass in diesem Zeitpunkt die symbiotische Mutter-Kind-Verbindung eine Trennung erfährt, als gerechtfertigt angesehen.[107] Denn während die Senk- und Stellwehen der Vorbereitung des Geburtsvorganges dienen, schließen die auf die Eröffnungswehen folgenden Austreibungs- und Presswehen den Geburtsvorgang ab.[108] Das Einsetzen des Geburtsaktes stellt folglich eine einschneidende Zäsur dar, da in diesem Zeitpunkt der strafrechtliche Schutz der Leibesfrucht im Sinne des strafbewehrten Schwangerschaftsabbruchs endet und der Strafrechtsschutz des menschlichen Lebens anhand der Tötungsdelikte beginnt.[109]
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Obwohl sich die herrschende Lehre auch nach dem Wegfall von § 217 StGB a.F.[110], welcher die Kindstötung während oder nach dem Geburtsvorgang regelte, dafür ausspricht, dass der Anfang der Geburt für die Beurteilung der Frage nach dem Beginn des menschlichen Lebens ausschlaggebend sei, erachtet eine Mindermeinung die Vollendung der Geburt als maßgebliches Beurteilungskriterium.[111] Vertreter dieser Auffassung sehen insbesondere in § 1 BGB, wonach die Rechtsfähigkeit des Menschen mit der Vollendung der Geburt beginnt, eine Stütze ihrer Ansicht.[112]
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Unter Berücksichtigung, dass sowohl der natürliche als auch der operativ eingeleitete Geburtsvorgang ein sehr risikoreiches Ereignis darstellt, welches verschiedene Gefahren mit sich bringt, scheint es unerlässlich, dass dem zu gebärenden menschlichen Leben ein ausgiebiger Schutzumfang zugestanden wird.[113] Durch das Zugeständnis, dass das menschliche Leben mit Eintritt der Eröffnungswehen bzw. mit der operativen Öffnung der Gebärmutter beginnt, wird dieses während des gesamten Geburtsvorgangs umfassend strafrechtlich geschützt, da ihm bereits in dieser Phase der strafrechtliche Schutz der Tötungsdelikte (§§ 211 ff. StGB) zusteht.[114] Demzufolge können nicht nur vorsätzliche Beeinträchtigungen des menschlichen Lebens während des Geburtsvorgangs, sondern beispielsweise auch ein fahrlässiges ärztliches Fehlverhalten sanktioniert werden.[115] Elementar für die Beurteilung, ob ein Tötungsdelikt im Sinne der §§ 211 ff. StGB oder ein strafbarer Schwangerschaftsabbruch (§§ 218 f. StGB) vorliegt, ist demzufolge der Zeitpunkt, in dem auf das betroffene Lebewesen, d.h. Leibesfrucht oder geborener Mensch, schädigend eingewirkt wird.[116] Daher gilt die vorsätzliche Einwirkung auf die Leibesfrucht, die zu einem Absterben des Ungeborenen im Mutterleib oder zu einer Frühgeburt mit anschließender Todesfolge des Kindes führt, als Schwangerschaftsabbruch.[117] Demgegenüber ist die vorsätzliche oder fahrlässige Beeinträchtigung des menschlichen Lebens nach Einsetzen des Geburtsaktes, welche eine Totgeburt oder ein Ableben des Neugeborenen verursacht, als Tötungsdelikt im Sinne von §§ 211 ff. StGB zu qualifizieren.[118] Schließlich ist von einem versuchten