Название | Handbuch des Strafrechts |
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Автор произведения | Jörg Eisele |
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Издательство | |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783811449664 |
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Als besonders problematisch erweist sich das Zugeständnis eines Lebensrechts Ungeborener im Hinblick auf die der Schwangeren verfassungsrechtlich gewährleisteten bzw. zustehenden Grundrechte. Insbesondere die Achtung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) sowie das Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) sind im Zusammenhang mit dem Diskurs über einen absoluten Lebensschutz Ungeborener von Relevanz.[52] Namentlich bei einer Kollision zwischen den Grundrechten eines Ungeborenen und denjenigen einer Schwangeren drängt sich die Frage auf, welchem Grundrechtsträger der Vorrang einzuräumen ist. Das Bundesverfassungsgericht hält in seinem zweiten Entscheid zum Schwangerschaftsabbruch aus dem Jahre 1993 fest, dass es sich beim Ungeborenen „um individuelles, in seiner genetischen Identität und damit in seiner Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit bereits festgelegtes, nicht mehr teilbares Leben [handelt], das im Prozess des Wachsens und Sich-Entfaltens sich nicht erst zum Menschen, sondern als Mensch entwickelt“.[53] Deshalb gilt es gemäss Bundesverfassungsgericht, dieses Leben von Beginn seiner Existenz an zu achten und zu schützen, weshalb auch Ungeborenen ein eigenes Lebensrecht zu gewährleisten ist.[54] In diesem Sinne lässt es auch verlauten, „dass der Schwangerschaftsabbruch für die ganze Dauer der Schwangerschaft grundsätzlich als Unrecht angesehen wird und demgemäss rechtlich verboten ist“.[55] Weiter folgert das Bundesverfassungsgericht, dass kein Durchgriff der Grundrechte der Schwangeren gegenüber dem gesetzlich normierten Verbot des Schwangerschaftsabbruchs erfolgt.[56] Konkret bedeutet dies, dass grundsätzlich eine auf dem Grundgesetz basierende Rechtspflicht der Schwangeren zur Austragung des Kindes im Mutterleib besteht.[57] Zusammenfassend steht folglich die Schutzwürdigkeit des ungeborenen menschlichen Lebens laut der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts deutlich im Vordergrund.[58] Trotzdem relativiert auch das Bundesverfassungsgericht seine Rechtsprechung dahingehend, dass dem Lebensschutz des Embryos in vivo kein absoluter Vorrang zukommen soll, vielmehr soll gemäss Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG in das Lebensrecht eines jeden auf Grundlage eines Gesetzes eingegriffen werden können.[59] Dabei muss die Schutzbedürftigkeit des Lebens Ungeborener gegenüber anderweitigen, mit dieser kollidierenden, schützenswerten Rechtsgütern abgewogen werden.[60] Im Zusammenhang mit der Thematik des Schwangerschaftsabbruchs gilt es insbesondere das Lebensrecht eines Ungeborenen und die Rechtsgüter einer Schwangeren, namentlich das ihr zustehende Recht auf Leben bzw. körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) oder ihre Persönlichkeitsrechte (Art. 2 Abs. 1 GG), gegeneinander abzuwägen.[61] So kommt auch das Bundesverfassungsgericht zum Schluss, dass es im Falle einer Grundrechtskollision zwischen den Rechtsgütern der Schwangeren und denjenigen des ungeborenen Kindes in Ausnahmesituationen womöglich geboten wäre, der Schwangeren eine Rechtspflicht zur Austragung der Schwangerschaft nicht aufzuerlegen.[62] Eine Definition dieser sog. „Ausnahmesituationen“ wird vom Bundesverfassungsgericht allerdings in die Hände der Legislative gelegt.[63] Folgerichtig muss in Fällen absoluter Unzumutbarkeit einer Schwangerschaft gegenüber der Schwangeren ein Abbruch vorgenommen werden dürfen bzw. als zulässig erachtet werden. Als Fälle der Unzumutbarkeit werden gemeinhin Konstellationen erachtet, in denen eine Fortdauer der Schwangerschaft das Leben der Schwangeren ernsthaft gefährden, auf unerträgliche Art und Weise deren Gesundheit beeinträchtigen oder schließlich gegen die Würde der Schwangeren verstoßen würde, was vor allem bei einer Vergewaltigung zutreffen dürfte.[64] Allerdings ist diese Aufzählung nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts nicht abschließend, vielmehr hat sich der Gesetzgeber bei einer Festlegung von Ausnahmesituationen am Kriterium der Unzumutbarkeit der Schwangerschaft zu orientieren.[65]
III. Schutzumfang Ungeborener nach der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
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Das Recht auf Leben wird nicht nur auf nationaler, sondern auch auf internationaler Ebene geschützt. So hält die in Deutschland am 3. September 1953 in Kraft getretene Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten in Art. 2 Abs. 1 fest, dass das Recht auf Leben jedes Menschen gesetzlich geschützt ist.[66] Durch die Aufführung dieses Grundrechts am Anfang des Menschenrechtskatalogs wird ersichtlich, dass das Recht auf Leben eine fundamentale Garantie der Europäischen Menschenrechtskonvention darstellt.[67] Fraglich ist jedoch, ob der Lebensschutz von Art. 2 Abs. 1 EMRK sowohl geborenem als auch ungeborenem menschlichen Leben zukommen soll. Der Wortlaut der besagten Norm lässt keine abschließende Antwort auf diese Frage zu.[68] Ebenso besteht innerhalb der Vertragsstaaten der EMRK kein Konsens über den Zeitpunkt des Beginns menschlichen Lebens.[69] Schon 1980 setzte sich die Europäische Kommission für Menschenrechte eingehender mit dieser Problematik auseinander. Bei der Auslegung des Wortlauts von Art. 2 Abs. 1 EMRK kam die Kommission zum Schluss, dass die Begrifflichkeiten „jeder Mensch“ und „Leben“ durch die Konvention nicht näher definiert würden[70] und sich die Bezeichnung „jeder Mensch“ bei systematischer Auslegung der Konvention lediglich auf geborene Menschen beziehen könne.[71] Anschliessend nahm die Kommission zur Frage Stellung, ob der Gesetzeswortlaut „Leben“ sowohl das geborene als auch das ungeborene menschliche Leben umfasst. Sie führte dabei drei mögliche Interpretationsansätze der Konventionsnorm an.[72] Entweder sei Art. 2 Abs. 1 EMRK dahingehend zu verstehen, dass (1) Ungeborene überhaupt nicht von der betreffenden Konventionsbestimmung erfasst werden, (2) diesen ein Recht auf Leben mit bestimmten immanenten Einschränkungen zuzugestehen ist oder aber (3) auch dem Embryo in vivo ein absolutes Lebensrecht zukommt.[73] Die dritte Interpretationsmöglichkeit wurde jedoch sogleich mit der Begründung verworfen, dass bei einem absoluten Lebensschutz des Ungeborenen dessen Abtreibung selbst in Fällen, in denen die Fortdauer der Schwangerschaft das Leben einer Schwangeren ernsthaft gefährden würde, unzulässig wäre.[74] Eine solche Auslegung der Norm wäre aber nach Ansicht der Kommission nicht mit dem Ziel und Zweck der Konvention vereinbar.[75] Welchem der beiden übrigen Interpretationsansätze der Vorrang einzuräumen ist, ließ die EKMR jedoch offen.[76] Darüber hinaus hielt die Kommission fest, dass es nicht in ihrer Kompetenz liege zu entscheiden, ob dem ungeborenen Leben im Sinne von Art. 2 EMRK ein gewisser Lebensschutz gebühren solle.[77] Es sei jedoch nicht ausgeschlossen, dass auch dem Ungeborenen unter gewissen Umständen ein Lebensrecht nach Art. 2 EMRK zukomme.[78] Diese sehr zurückhaltende Stellungnahme rechtfertigte die Kommission mit den erheblich unterschiedlichen Sichtweisen der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Frage, ob auch Ungeborenen ein Lebensschutz nach Art. 2 EMRK gebührt.[79] Die EKMR sprach sich deshalb auch dafür aus, dass den Mitgliedstaaten bei der Auslegung von Art. 2 EMRK ein gewisser Ermessensspielraum zustehen müsse.[80]
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Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte musste sich in der Vergangenheit bereits mehrfach mit der Frage eines Lebensrechts Ungeborener befassen. Dabei hielt der Gerichtshof fest, dass Art. 2 EMRK keine zeitliche Beschränkung des Rechts auf Leben vorsehe.[81] Darüber hinaus sei aus der besagten Konventionsnorm auch nicht ersichtlich, wer alles von der Bezeichnung „jedermann“ erfasst werde und wem dementsprechend ein Schutz gebühren sollte.[82] Aufgrund des fehlenden Konsenses der Mitgliedstaaten, welcher aus den divergierenden nationalen Ansichten betreffend den Beginn des menschlichen Lebens und das Lebensrecht von Ungeborenen resultiert, sei es nicht angebracht, diesbezüglich allen Mitgliedstaaten eine einzige moralische Sichtweise aufzudrängen.[83] Vielmehr müsse es aufgrund der unterschiedlichen Auffassungen der Mitgliedstaaten deren Aufgabe sein, die Frage nach dem Lebensrecht Ungeborener unter Berücksichtigung sowohl ethischer, moralischer und philosophischer Aspekte auf nationaler Ebene zu beantworten.[84] Ein Konsens lässt sich immerhin bei der Zugehörigkeit der Embryonen und Föten zur „menschlichen Rasse“ ausmachen.[85] Die Entwicklungsmöglichkeiten und Kapazität zur Menschwerdung gebieten es folglich, auch Ungeborenen im Sinne der Menschenwürde einen Schutz zukommen zu lassen.[86] Das Zugeständnis einer solchen Schutzwürdigkeit definiert allerdings das ungeborene menschliche Leben nicht automatisch als ein solches, welchem ein Lebensrecht im Sinne von Art. 2 EMRK zuzugestehen ist.[87] Nach Rechtsprechung des EGMR gilt es im Zusammenhang mit der Beantwortung der Frage nach einem Lebensrecht Ungeborener zu beachten, dass die Konvention im Sinne einer evolutiven Auslegung