Название | Rabengelächter |
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Автор произведения | Viona Kagerer |
Жанр | |
Серия | |
Издательство | |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783962298500 |
Ich rannte los. Zum ersten Mal war ich dankbar, dass wir im Wald lebten. Im dichten Schutz des Blätterdachs drehte ich mich noch mal um. Das konnten die vergessen, dass ich freiwillig in diese Schule gehen würde! Mir innerlich auf die Schulter klopfend, joggte ich los. Ich kramte in meiner Hosentasche nach dem MP3-Player und stellte grinsend „Auenland“ aus „Herr der Ringe“ ein. Ich lief durch den Wald, bis ich zu der Landstraße, der Ader des Lebens, gelangte. Im Schutz der Büsche lief ich immer weiter. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wohin ich wollte.
Es begann dunkel zu werden, als ich ein kleines Bushäuschen erreichte und mich erschöpft auf die Bank fallen ließ. Ich studierte die Busfahrpläne und entschied mich, einfach den ersten zu nehmen, der kommen würde, solange dieser nicht wieder zurückfuhr, versteht sich. Ich starrte auf meine völlig verschlammten Schuhe und leise meldeten sich Zweifel und begannen an mir zu nagen. Ich verdrängte sie und versuchte nicht daran zu denken, wie viel Sorgen meine Mutter sich jetzt machen würde. Stattdessen versuchte ich mich darauf zu konzentrieren, wie wütend ich auf sie war und dass ich auf gar keinen Fall nach Hause zurückgehen würde.
Ich schreckte aus meinen düsteren Gedanken auf, als ich Schritte hörte. Meine Hände wurden schweißnass. Was hatte ich mir nur dabei gedacht, einfach abzuhauen? Was, wenn jetzt irgendein Psychopath um die Ecke kam, um mich um die Ecke zu bringen? Ich unterdrückte ein panisches Fiepen und beruhigte mich ein bisschen, als ich in einer meiner Taschen ein Miniklappmesser fand.
Eine kleine Gestalt setzte sich ohne ein Wort neben mich. Erleichtert sog ich die Luft ein und … ach du liebe Zeit. Von einem auf den anderen Augenblick wurde mir so übel, dass ich befürchtete, in einem Strahl kübeln zu müssen. Als ich mich wieder gefasst hatte, vergrub ich meine Nase in meinem Parkakragen und atmete durch den Mund ein und aus. Dieser Gestank … Ich konnte förmlich dabei zusehen, wie er mich und die ganze Umgebung um mich herum umhüllte. Es roch süßlich-faulig und dazu dieser widerliche Geruch von Laubhaufen, die schon viel zu lange irgendwo lagen. Dieser Geruch, er erinnerte mich an irgendetwas, doch ich wusste nicht an was.
Unauffällig rückte ich Stück für Stück weg von der vermummten Gestalt. Zu meinem Entsetzen rückte sie, nennen wir sie Hugo, Stück für Stück weiter auf und fing jetzt auch noch zu summen an – das schrecklichste Summen, das ich je gehört hatte. Ich stand auf und mein Unwohlsein wuchs weiter und weiter, als auch Hugo sich erhob. Ich tat so, als würde ich es nicht bemerken, und klappte, während sich in meinem Geist alle möglichen Horrorszenarien abspielten, das kleine Messer in meiner Tasche auf. Die dämmrige Dunkelheit hatte sich inzwischen in eine tiefe Schwärze verwandelt und das Gesumme von Hugo in eine Art Kriegsgesang, der immer lauter wurde – oder vielleicht auch immer näher kam. Wieder schlug mir eine Welle bestialischen Gestanks entgegen, und als ich mich umdrehte, stand er/sie/(es?) direkt vor mir. Meine Muskeln, selbst meine Kiefermuskeln, versuchten mich zum Weglaufen zu überreden. Doch alles, was vorher so gestunken hatte, duftete jetzt nach Blumen, nach Nachhausekommen, nach frisch gebackenen Plätzchen. Wo ich vorhin noch grüne Gestankswolken zu sehen glaubte, umgab uns nun ein Licht. Hugo streckte seine Hand aus und ich legte meine Hand, die nun auch leuchtete, in seine hinein.
Ich blickte mit einem unendlichen Glücksgefühl auf unsere verschränkten Hände; ich wusste nicht, wer ich war oder warum ich hier war; ich wusste nur, dass ich unendlich glücklich war, meine golden leuchtende Hand in seiner bläulichen, schwammigen und knochigen Hand zu sehen. Die bezaubernde Melodie wurde wieder zu diesem abscheulichen Gekreische. Mit einem Aufschrei, der mich selbst überraschte, entriss ich Hugo (unterschätzt wegen des Namens nicht den Ernst der Lage) meine immer noch leuchtende Hand und wankte ein paar Schritte zurück.
Mein Kopf fühlte sich an, als wäre er mit Watte gefüllt. Ich fing an zu rennen, was in einem ungewollten Slalomlauf endete. Was hatte dieses Ding mit mir gemacht? Hugo setzte mir in großen Schritten nach und der beißende Gestank signalisierte mir, dass er mich gleich würde eingeholt haben, als sich etwas um meine Beine wickelte und mich im Straßengraben zu Fall brachte. Als Hugo sich über mich beugte und ich etwas Kaltes, Scharfes an meiner Kehle spürte, wusste ich, woran mich dieser Gestank erinnerte: an Tod, an Verwesung. Ich hätte in diesem Moment schreien und um mein Leben kämpfen sollen, doch das Einzige, was in meinem Kopf Platz hatte, war mein Parka. Ja, mein Parka, ich machte mir Sorgen, ob ich die Flecken jemals wieder rausbekommen würde, und fing an zu fluchen, als ich merkte, dass ich im Schlamm lag. Vergessen war Hugo, es zählte nur noch mein Parka.
Mit einem Ruck stand ich auf und rammte Hugo meinen Fuß zwischen die Beine. Er krümmte sich und ich vernahm, wie etwas mit einem dumpfen Aufprall in den Morast fiel. Schon wieder war da dieses goldene Leuchten, doch bevor ich vermochte, mich um mich selbst zu drehen, wurde das Gesicht von Hugo kurz von jenem Licht erhellt – oder das, was davon existierte. Ich drehte mich um und nahm meine Beine in die Hand. Die Angst hatte mich nun wieder fest im Griff. Mir war bewusst, dass ich jetzt um mein Leben lief. Keuchend hetzte ich in Richtung Waldrand.
Dort angekommen, kniff ich die Augen zusammen und riss meine Arme in die Höhe, um mich vor den tief hängenden Zweigen zu schützen. Schließlich wurde ich wieder einmal von meiner Tollpatschigkeit überwältigt und fiel. Schnell rappelte ich mich auf und kauerte mich an einen dicken Baumstamm. Zitternd saß ich da. Dieses Gesicht. Das, was da hinter mir her war, nach Verwesung riechend, wahrscheinlich meinen Tod wollend, war kein Mensch, war kein Tier. Diese bläuliche, schlaffe Haut, diese leeren Augenhöhlen. Ich unterdrückte meinen Würgereiz und ein Wimmern, als ein lautes Knacken im Unterholz meinen Herzschlag übertönte.
Wieder brach eine Welle des Gestanks über mich herein und das hohe und tiefe Gesumme, das wahrscheinlich sämtliche Geräusche einer Irrenanstalt vereinte, wurde lauter und lauter. Das Einatmen tat vor Angst richtiggehend weh und ich kniff die Augen zusammen, mit der absoluten Gewissheit, gleich zu sterben. Dann, urplötzlich, erstarb das Gesumme und wurde von einem schmatzenden Geräusch ersetzt, das kurz darauf in einem dumpfen Aufschlag endete.
Kapitel 8
„Hey, wenn dein Plan ist, unsichtbar zu sein, dann solltest du mal die Glühbirne abstellen.“ Ich riss meine Augen auf, als eine melodische, tiefe Männerstimme die plötzliche Stille durchbrach. Mir tanzten Sterne vor den Augen. Ich ignorierte die helfende Hand, die er mir hinhielt, rollte mich zur Seite und übergab mich. Bei meinem Versuch, mich hochzurappeln, griff er mir unter die Arme und stellte mich, als wäre ich leicht wie eine Feder, auf meine Füße.
Er musterte mich und ich ihn. Wäre mein Stolz nicht irgendwo auf der Strecke zwischen dem Bushäuschen und hier verloren gegangen, dann würde ich jetzt vor Scham im Boden versinken; je tiefer, desto besser. Er war ein Wow! Ich glaube, ich hatte noch nie so einen heißen Typen gesehen wie ihn (mit Ausnahme meines Vaters, doch der zählte nicht). Er war groß, breitschultrig und muskulös. Seine Haare waren schlohweiß, mit einzelnen goldenen Strähnen. Sie waren im Nacken zusammengebunden und seine ebenmäßigen Züge wirkten angespannt. Er kniff seine mandelförmigen, blauen Augen zusammen. Während er mich musterte, strich er gedankenverloren über ein am Gürtel befestigtes Schwert.
Ich wirbelte auf dem Absatz herum und rannte, oder stolperte eher, los. Im selben Moment riss er mich zu Boden, setzte sich rittlings auf mich und packte mit einer mühelosen Bewegung meine Fäuste, die somit ihr Ziel verfehlten. Ruhig blickte er auf mich herab, während ich mich vergeblich freizukämpfen versuchte. Mit einem amüsierten Lächeln auf seinen vollen Lippen beobachtete er mich und in diesem Moment wünschte ich diesen schönen Teufel in die Hölle zurück, aus der er gekommen war.
Als er gerade seinen Mund öffnete, um höchstwahrscheinlich etwas Beleidigendes zu sagen, zog ich kurzerhand meine Knie an und drückte mich mit aller Kraft hoch, gleichzeitig gleißte ein Licht wahnsinnig hell auf. Ich weiß nicht, ob ich es meinen nicht vorhandenen Kampfkünsten oder dem Licht verdankte, denn jetzt war der superheiße Typ dort und ich hier, aber er saß nicht mehr auf mir, was ich im Stillen leise bedauerte. Oje, als ich mich aufrappelte und einen Blick auf ihn erhaschte,