Rabengelächter. Viona Kagerer

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Название Rabengelächter
Автор произведения Viona Kagerer
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Издательство
Год выпуска 0
isbn 9783962298500



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auf ungeschickte Art und Weise – seine Arme entknotete, doch leider nicht um einen Abgang zu machen, nein, sondern um sich in seine blond gelockten Haare zu fassen, hätte ich heulen können. Die waren wirklich umwerfend. Meine Güte, entweder hatte der Junge ein unerschütterliches Selbstvertrauen oder seine Dummheit übertraf einfach alles, was ich bisher gesehen hatte. Ich glaube eher Letzteres. „Na, Mausi, so bandelt ma hier a Madl o’.“

      Ich überhörte beflissentlich das Mausi und den Rest, also eigentlich alles, und versuchte all meine Aggressionen auf die Bücher in meinem Arm zu lenken, leider nicht, indem ich sie ihm kurzerhand über sein unfassbar leeres Oberstübchen zog, sondern indem ich sie als eine Art eckigen, unnachgiebigen Antiaggressionsball benutzte.

      „So, äh, ja, du, ich muss jetzt auch mal in den Unterricht. Man sieht sich.“ Das nicht fügte ich ganz still und leise in Gedanken hinzu. Ich knallte meine Spindtür laut zu, um wenigstens ein bisschen Dampf ablassen zu können. Mit einem Hauch Zufriedenheit sah ich noch, wie er den Kopf erschreckt zurückzog und mehrmals blinzelte. Doch leider hielt auch das ihn nicht auf, mir hinterherzudackeln und mir zu erklären zu versuchen, dass „mia“ zusammen Unterricht hatten. Ich machte große, überraschte Augen „Echt jetzt, wir haben zusammen Unterricht? Ich habe dich bisher gar nicht bemerkt!“ Das würde seinen Egoluftballon hoffentlich endlich platzen lassen. Und tatsächlich, meine Methode schien zu fruchten. Ich beobachtete, wie sich ein Schatten der Unsicherheit über sein Gesicht legte. Nicht, dass es mir Freude bereitete, ihn auf den Boden der Realität zu katapultieren und dabei wahrscheinlich sein ganzes Selbstbewusstsein und seine Arroganz zu zertrümmern; ich hatte einfach einen gesunden Selbsterhaltungstrieb und dieser Typ mit seinen elenden Tiervergleichen und seinem Landei-Bayrisch ging mir einfach wahnsinnig auf die Nerven.

      Mein letzter Schachzug gegen das Landei war vielleicht doch nicht so gelungen, wie ich zunächst gedacht hatte, denn er hatte sich nun fest in den Kopf gesetzt, mir zu zeigen, dass wir zusammen in einem Kurs waren. Als hätte ich sein stilles Anschmachten nicht schon zwei Kilometer gegen den Wind gerochen, flogen die ganze Physikstunde Zettel zu mir herüber. Ich machte mir nicht mal die Mühe, sie aufzuheben. Himmel, Arsch und Zwirn, war der denn wirklich so dumm oder tat er nur so? Stur starrte ich an die Tafel, schrieb mit und starrte wieder an die Tafel. So verlief der ganze Schultag von acht Uhr bis um eins. Als er mir dann auch noch auf dem Parkplatz hinterherhechelte und mich seinen „siassa Hos“ nannte, platzte mir der Kragen. Ich wirbelte im Laufen herum und stoppte. Stolpernd kam auch er zum Stehen.

      „Pass mal auf, Hans-Quirin! HÖR gefälligst auf, mir hinterherzurennen wie ein Küken der Henne. Ich kann dich verdammt noch mal nicht riechen und es wird sich auch nichts daran ändern, wenn du versuchst, mir wie mein Schatten überallhin zu folgen! Tu mir den Gefallen und lass mich einfach in Frieden, ja?“ Ich hatte es ja kommen sehen, aber zu beobachten, wie er immer verletzter schaute, fühlte sich dann doch sehr, sehr mies an. Ich hoffte, dass er jetzt einfach Leine zog, doch er brachte es fertig, mich mit seinen nächsten Worten in den reinsten Sprengsatz zu verwandeln. „Spatzl, i spür do, dass mia mitanand kean! Kämpfe doch ned so gegn dei Gfuie an!“

      Meine Augen verengten sich und ich spürte, wie ich explodierte. Es war, als hätte ich mein ganzes Leben auf diesen Moment gewartet, und all der Frust über das andauernde Umziehen, die Einsamkeit und ihn entlud sich nun wie eine Gewitterwolke.

      „Ja, ich werde jetzt nicht mehr gegen meine Gefühle ankämpfen, also bitte bring mir einen Eimer, ich kotze nämlich gleich. Was ich für dich empfinde, ist nämlich Ekel, Unverständnis und Genervtsein! Kannst du dir vorstellen, wie lästig es ist, nein, wie lästig du bist? Verdammte Scheiße, lass mich einfach in Ruhe! Ich will mit dir nicht das Geringste zu schaffen haben, genauso wenig wie mit diesem verratzten Ort von Dorf! Warum kannst du dich nicht einfach vom Acker machen! Bist du zu blöd, zu engstirnig oder zu eingebildet, um ’ne Abfuhr zu kapieren? Wenn ja, dann hier noch mal extra für dich zum Mitschreiben: ICH WILL MEINE RUHE HABEN! Such dir ein Mädchen, das deine Sprache spricht!“

      Ich hatte mich so in Rage geredet, dass ich gar nicht gemerkt hatte, dass ich ihm im Laufe meines Monologes mit dem Zeigefinger in die Brust gepikt hatte. Genauso wenig hatte ich das Grüppchen Schaulustiger gesehen, das sich um uns herum angesiedelt hatte und uns nun angaffte. Jetzt, wo die Wut herausgebrüllt war, brachte ich es nicht fertig, ihm in die Augen zu schauen. Ich warf mir meine hüftlangen Haare über die Schulter und stapfte durch den Nieselregen davon.

      Kapitel 4

      Den Kopf gegen das kalte Busfensterglas gelehnt, versuchte ich mir einzureden, dass das Landei es nicht anders verdient hätte und selbst daran schuld wäre. Ich versuchte mein Gewissen zu beruhigen. Aber schon wieder kam eine Welle von Schuldgefühlen über mich. Ich hätte meinen Frust und meinen Ärger nicht an ihm auslassen sollen, und schon gar nicht in der Öffentlichkeit. Klar, er hatte mich unheimlich genervt und früher oder später hätte ich es ihm sagen müssen. Irgendwie, aber nicht so. Resigniert schüttelte ich den Kopf. Ich hatte es schlicht und einfach verkackt, und das haushoch.

      Der fast leere Bus (ich war wie immer der letzte Fahrgast) hielt mit einem kleinen Seufzer an. Draußen konzentrierte ich mich auf das Rauschen der Bäume im Wind und das Gefühl des leichten Nieselregens auf meinem Gesicht. Wir wohnten abgeschieden, mitten im Wald. Ich lauschte dem Geräusch meiner Schritte und wollte schon weiter Trübsal blasen, als ein Vogel dicht über meinen Kopf hinweg flog und sich zum Landen bereit machte. Erschrocken zuckte ich zusammen. Wie eine Schildkröte streckte ich meinen automatisch eingezogenen Kopf wieder zwischen meinen Schultern hervor und schaute erstaunt den Raben an, der vor mir auf dem Waldweg saß. Er legte den Kopf schief und blinzelte mich an. Ich machte einen Schritt auf ihn zu. Er blieb sitzen. Der war aber zutraulich. Ich ging in die Hocke und machte Kussgeräusche.

      „Na hallo, wo kommst du denn her?“ Vielleicht war er ja ein zahmer Rabe? Ich betüterte ihn weiter: „Na, du bist ja ein Schöner, was machst du denn hier?“

      Er blinzelte mich an und dann tat er etwas, das mich veranlasste, mich auf meine vier Buchstaben zu setzen. Er hüpfte auf mich zu und öffnete den Schnabel und krächzte: „Anouk!“ Dann schwang er sich in die Lüfte und verschwand zwischen den Baumkronen. Perplex schaute ich ihm nach. Hatte der Rabe gerade meinen NAMEN GEKRÄCHTZT?!

      Als mein Hintern mir anfing wehzutun und mir bewusst wurde, dass ich in einer Pfütze saß, stand ich auf und klopfte meinen Mantel ab. Papperlapapp! Das Einzige, was gesprochen hatte, war mein Unterbewusstsein, und das war ganz klar eine Holt-mich-hier-raus-Reaktion gewesen.

      Entschlossen marschierte ich den Rest des Weges, der zwar mehr mit platt gefahrenem Gras gemeinsam hatte, aber was sollte man auch von einem Waldweg erwarten? Zu Hause schleuderte ich mir die Schuhe von den Füßen und ging, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hoch. Ich rümpfte die Nase, als ich in meinem Hamstervorrat für schlechte Zeiten, wie zum Beispiel jetzt, eine Packung Joghurtgummibärchen entdeckte. Jesus, wie ich diese Dinger hasste! Ich zog zwei Packungen Milka-Schokolade aus der Kommodenschublade heraus. Oreo oder Smarties? Oreo gewann schließlich und ich hockte mich, nachdem ich die nassen Sachen gegen bequeme Hausklamotten eingetauscht hatte, auf mein weißes Vintage-Bett. Ach, wenn das Leben doch nur aus so Schokoladenmomenten bestehen könnte, dann wäre ich jetzt zwar kugelrund, aber immerhin glücklich.

      Ich versuchte nicht daran zu denken, was in den nächsten Tagen auf mich zukommen würde. Nämlich eine ganze Portion Gruppenhass und verletzter männlicher Stolz. So ein Mist! Aber hätte ich gewusst, was tatsächlich noch auf mich zukommen würde, hätte ich diese Probleme wahrscheinlich mit einem Wink abgetan und gelacht. Tja, wäre, hätte, Fahrradkette …

      Später hing ich über meinen Physikbüchern und brütete vor mich hin. Ich glaube, dieser Tag hatte den Jackpot im Mies-drauf-Sein echt geknackt. Ich lehnte mich in meinem Schaukelstuhl zurück (ach, wie ich ihn liebte!), legte meine Beine auf den Tisch und zog Mister Bumblebee, meinen heiß geliebten alten Teddybären, hinter meinem Rücken hervor. Ich schloss die Augen. Unten hörte ich, wie die Tür aufging und wieder geschlossen wurde. Hm, normalerweise sah ich meine Mutter, wenn sie an einem Bild arbeitete, erst wieder zum Abendbrot. Ich wollte sie gerade durch