Название | Rabengelächter |
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Автор произведения | Viona Kagerer |
Жанр | |
Серия | |
Издательство | |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783962298500 |
Was zur Hölle war das denn gewesen? Ich hob mein Gesicht aus Mister Bumblebees Fell und schaute zum Fenster hinaus. Dort tanzten lauter kleine Federn im Wind. Bewegung kam in mich. Ich war drauf und dran, mein Fenster aufzureißen und auf den Balkon zu springen, als ich sah, was das für ein Vogel war. Ein Rabe. Während ich mit mir haderte, kam Bewegung in das Tier. Es hüpfte auf die Beine, schüttelte kurz seinen Kopf und blinzelte mich an. Völlig gebannt von seinen nachtschwarzen Augen bemerkte ich nicht, wie meine Mutter, alarmiert von dem Knall, die Treppe hochgehastet war und jetzt in mein Zimmer platzte. „Was ist hier –“, sie brach ab, als sie den Raben sah, der nun sie fixierte. Ich drehte mich zu ihr um und sah, dass sie kalkweiß war. Besorgt fragte ich: „Mom, alles gut?“
Doch statt einer Antwort ließ sie krachend meinen Rollladen herunter und fuhr sich hektisch durch die Haare, dabei zitterten ihre Hände wie Espenlaub. Verwundert berührte ich sie am Ellenbogen. Da schien ihr wieder einzufallen, dass ich neben ihr stand, und ihr Blick wurde klarer, wenn auch nicht weniger fahrig. „Pack deine Koffer, wir müssen hier weg!“ Sie ließ mir keine Zeit für irgendwelche Fragen und stürmte aus meinem Zimmer. Im Weggehen rief sie noch über die Schulter: „In fünf Minuten fahren wir!“
„Mama, warte doch mal –“
„Nein Anouk, wir haben keine ZEIT!“
Ich weiß nicht, ob es ihr Tonfall war oder die Tatsache, dass sie mich Anouk nannte, jedenfalls tat ich wie befohlen und stopfte Unterwäsche, Klamotten und natürlich Mister Bumblebee in eine kleine Reisetasche, die ich aus den Tiefen meines Schrankes gezerrt hatte. Ich fragte mich, was plötzlich in sie gefahren war.
Schnell ging ich noch mal auf die Toilette und schleppte dann meine Tasche hinunter in den Flur. Dort stand sie schon, neben sich einen Koffer, ungeduldig mit dem Fuß wippend. Sie sah mich kurz prüfend an, schüttelte dann den Kopf und murmelte: „Nein, dafür ist später Zeit, jetzt müssen wir hier weg.“
Sie wirbelte herum, wickelte sich noch schnell einen Schal um den Hals und machte die Tür auf. Ich selbst band mir gerade die Schnürsenkel, als sie einen spitzen Schrei ausstieß. Ich blickte auf und verlor vor Schreck das Gleichgewicht. Die hatten hier eindeutig ein Rabenproblem.
Vor unserer Haustür hatten sich Dutzende Raben versammelt, unruhig auf und ab hüpfend, als auf einmal ein Flügelschlag ertönte und der größte Rabe – ja der größte Vogel – landete, den ich je gesehen hatte.
Kapitel 5
Er war größer als ich und selbst hier im Flur konnte man den Windstoß spüren, den seine Flügel beim Landen verursachten. Meine Mutter blieb entschlossen im Türrahmen stehen, während ich im Krebsgang rückwärtskroch und leise flüsterte, um das Monstervieh nicht zu verschrecken: „Mama, komm jetzt ganz langsam, ohne hektische Bewegungen, wieder rein und mach dann schnell die Tür zu. Aber gaaaaaanz langsam!“
Doch sie machte keine Anstalten, auch nur einen Millimeter von der Stelle zu rücken. Ich wollte mich schon gaaaanz langsam aufrappeln und sie hereinzerren, als sie zu meinem Entsetzen einen Schritt auf das Getier zumachte, die Schultern durchdrückte und anfing zu reden oder eher zu zischen. Himmel, klang sie wütend!
„Was bildest du dir ein, ja, was maßt du dir eigentlich an, hier aufzukreuzen? Verschwinde sofort von meinem Grund und Boden!“
„Äh, Mom“, unterbrach ich sie, als sie gerade Luft holen musste, „kannst du die Territorialfrage nicht durch ein Fenster oder eine Wand diskutieren? Also am besten von drinnen?“
Sie nickte grimmig und ich wollte schon erleichtert aufseufzen und wieder gaaanz langsam in den Flur zurückgehen, doch leider folgte sie mir nicht, sondern ballte ihre zierlichen Hände zu Fäusten und schrie dem Federgiganten zu: „Ja, ich werde die Revierfrage klären, und zwar von meinem Auto aus, nachdem ich dich dem Erdboden gleichgemacht habe!“
Der Rabe und ich gaben unisono einen überraschten Laut von uns, als meine Mutter ihre Arme hochriss und die Luft von einem gleißenden Licht erfüllt wurde. Ich öffnete meine zusammengekniffenen Augen und sah irgendetwas aus goldenem Licht in die Luft gezeichnet; bevor ich die Form des Gekrakels jedoch entziffern konnte, ertönte von irgendwoher ein tiefes, volles Lachen. Ich lugte vorsichtig an meiner Mutter vorbei. Der Rabe war verschwunden, an seiner statt stand dort nun ein Mann, wahrscheinlich der bestaussehende, den ich je gesehen hatte.
Ja, selbst Orlando und Leonardo sahen gegen ihn alt, ach was, uralt aus. Er hatte schulterlanges, volles, kupferbraunes Haar mit etwas helleren, zimtfarbenen Strähnen, das zum Teil offen in kleinen Zöpfen, zum Teil in einem Knoten im Nacken zusammengebunden war. Auf seinen Schultern lag ein dickes grauweißes Fell und sein Oberkörper steckte in einem Lederteil, wo die einzelnen Muskeln eingearbeitet waren. Und, huch, er trug einen Rock; ich weiß allerdings nicht, ob das der richtige Begriff dafür war, denn die normale Vorstellung eines Rockes traf dies weniger.
Es waren eher breite, schwarze, aneinandergereihte Lederstreifen, die an den Enden mit Nieten besetzt waren und bis zu seinen Knien reichten. An seiner Hüfte hing eine ganze Sammlung von Dolchen und hinter seinen Schultern glaubte ich zwei Schwertgriffe zu erahnen. Zudem trug er Arm und Schienbeinschützer. Aber sein Gesicht war einfach … wow! Seine Haut hatte einen goldenen Schimmer, er hatte hohe Wangenknochen, volle Lippen, eine gerade Nase und nicht mal die Augenklappe, die er trug, konnte sein strahlendes Antlitz entstellen. Alles an ihm kam mir irgendwie bekannt vor und sein Auge, es strahlte in einem gefrorenen, intensiven Hellblau.
Sein ganzes Outfit und die beiden hundegroßen Raben, die nun zu seinen Füßen landeten und sich mit ausgebreiteten Flügeln vor ihm verbeugten, waren vergessen, als er sich schließlich als das offenbarte, was ich schon die ganze Zeit dachte.
„Hallo Anouk, meine Tochter!“
Kapitel 6
Es dann aber zu hören, war dann doch etwas anderes. Zum Glück fuhr meine Mutter dazwischen, denn ich hatte nicht den blassesten Schimmer, was ich hätte sagen oder tun sollen.
„Anouk ist MEINE Tochter OHNE eine“, sie schnaubte verächtlich, „ohne eine nennenswerte Vaterfigur!“
Sie sagte es in einem so kalten Ton, dass mir der Kriegertyp beinahe leidtat. Doch anstatt auf ihren Tonfall einzugehen und wie jeder andere vernünftige Mensch die Flucht zu ergreifen, lachte er wieder aus vollem Halse.
„Du hattest schon immer viel Temperament, ungewöhnlich für eine Albi, meinst du nicht auch?“
Während die beiden weitere Seitenhiebe austauschten, musterte ich ihn. Die Ähnlichkeit zwischen uns war unverkennbar. Wir hatte dieselben Augen, oder na ja, in seinem Fall Auge, dieselben hohen Wangenknochen, denselben vollen Mund. Aber warum kreuzte er jetzt mit seinem Hühnerstall, wie meine Mutter netterweise das schwarze Getümmel um ihn herum bezeichnete, hier auf, und dann auch noch in so einem Aufzug? Sein Auge lag plötzlich auf mir. „Hat deine Mutter dir jemals gesagt, was du bist?“ Neben mir schnappte meine Mutter nach Luft. „Wage es nicht, auch nur einen Ton zu sagen, Odin!“ Odin, war das nicht so ein alter germanischer Gott?
Egal, ich hatte irgendwie das dumpfe Gefühl, in irgendeinem Actionfilm festzustecken. Etwas linkisch kam ich mir schon vor, als ich tatsächlich mit meinem anscheinend völlig gestörten Vater redete. „Ähm, also, du bist also wirklich …“ Ich brachte das Wort Vater nicht über die Lippen, also war er so gütig, meinen Satz zu vervollständigen. „… Vater“, nickte er. Ich atmete geräuschvoll aus. „Und was wolltest du mir vorhin sagen, bevor, ähm, na ja …“ Ich deutete unbeholfen auf meine Mutter.
Er verstand und zeigte kurz mit dem Kinn in Richtung Flur. „Ich denke, wir sollten das lieber drinnen besprechen, wo du dich hinsetzen kannst.“
Ich runzelte die Stirn, das klang ja mal vielversprechend,