Rabengelächter. Viona Kagerer

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Название Rabengelächter
Автор произведения Viona Kagerer
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Серия
Издательство
Год выпуска 0
isbn 9783962298500



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Bewegungsmangel (nicht dass ich vorgehabt hätte, etwas dagegen zu unternehmen …). Das große Handtuch um meinen Körper gewickelt, ging ich in mein Zimmer und suchte meine Unterwäsche zusammen. Ich wühlte in meinem kleinen gelben (ja, meine Mutter hatte auch hier gewütet) Bauernschrank, bis ich eine schwarze Hose und einen schwarzen Pullover mit silbernen Stickereien gefunden hatte. Im Gegensatz zu meiner Mutter war mein Motto, was Farben betraf: Je neutraler, desto besser! Denn schwarz, schwarz, schwarz sind alle meine Farben …

      Kapitel 3

      Ein Blick durch das Fenster neben der Haustür verriet mir, dass es immer noch regnete. Seufzend wickelte ich mir einen Schal um den Hals, knöpfte meinen Mantel zu, schulterte den mit verwaschenen Blumen verzierten Rucksack und nahm einen Regenschirm. Die Welt draußen offenbarte sich als grau, grau und noch mal grau. Und nass. Die Bäume des Waldes hinter unserem Haus wogen sich leicht im Wind. Und natürlich musste es passieren, dass ein Windstoß unter meinen Schirm fuhr und ihn nach oben stülpte. Seufz. Ein Regenschwall traf mich mitten im Gesicht. Na, wenigstens hatte ich keine Mascara drauf. Ich bog das nichtsnutzige Ding um und ging über unsere matschige Einfahrt zu dem kleinen Schuppen, an dem sich gemalte Sonnenblumen hochrankten. Ich steckte meinen Kopf durch die Tür. „Mama?“

      Sie stand hinter einer Staffelei, die Augen konzentriert zusammengekniffen, die Zunge zwischen den Zähnen. Sie blickte auf. „Ano, Schatz, gibt’s was?“ „Ach, ich wollt’ nur Tschüss sagen. – Hast du einen neuen Auftrag?“ Die Aufmerksamkeit wieder völlig auf die Leinwand vor ihr gerichtet, nickte sie nur. Das würde jetzt Tage so weitergehen.

      „Na dann, tschau!“

      „Tschüss, Anouk-Schätzchen!“

      Der Schulbus war wie gewöhnlich ernüchternd leer, na ja, ich glaube, außer mir wohnte wohl keiner im Wald. Auch das war so eine abgedrehte Idee meiner Mutter gewesen, als wir vor einem Jahr in diese niederbayrische Hinterprovinz gezogen waren. Von der Nordsee weg in ein kleines bayrisches Dorf, wo die Menschen praktisch ihre eigene Sprache sprechen. Nichts gegen Bayrisch, aber ich fand es erschreckend grausam, wenn ein gut aussehender Junge in dem extremsten Bayrisch, das man sich vorstellen kann, loslegte und dann auch noch versuchte, einen sexy Tonfall hinzubekommen. Ja, ich spreche da aus Erfahrung. Der Typ ging in meine Klasse und bei unserem ersten und einzigen Date – Gott sei Dank (!) – konnte ich nur anhand der Tonlagen und der Mimik erkennen, wann es mein Part war, empört zu nicken, zustimmende Laute und verblüffte „Ohs“ zu machen. Hans-Quirin – ja, er heißt wirklich so – fand, dass wir uns nach dieser, aus seiner Perspektive, auf beiden Seiten geglückten Kommunikation wiedertreffen sollten. Ich war da anderer Meinung. Da ich im Bereich Taktgefühl viel mit der Spezies Trampeltier gemein hatte, gab ich ihm einfach eine falsche Nummer und mied es, ihn in der Schule näher als zehn Meter ranzulassen. Ja, ich weiß, dass es fies war, ihm eine falsche Nummer zu geben und einfach so zu verduften, aber ganz ehrlich, ich war nun mal direkt, sehr direkt.

      Meine Abfuhr hätte ungefähr so ausgesehen: „Nein, Hans-Quirin, ich möchte mich nicht noch mal mit dir treffen. Die Gründe sind folgende: a) Ich kann kein Wort von dem, was du sprichst, verstehen. b) Du hast Mundgeruch. c) Ich habe ich nicht vor, mein ganzes Leben auf einem Bauernhof mit lauter Landpomeranzen um mich herum zu verbringen, wie du es mir in naher Zukunft wahrscheinlich in unverständlicher Süßholzraspelei ankündigen wirst. Ich glaube, du kapierst, dass da kein zweites Treffen drin ist.“ Sein ach-so männlicher Stolz hätte danach wohl in Trümmern gelegen und er würde in die Ich-mache-Anouk-das-Leben-zur-Hölle-Phase kommen, die gleich auf die: Ich-bettel-so-lange-bis-sie-Ja-sagt-Phase folgt. Nicht, dass ich das brauchen könnte, wo ich ja hier als exotisches Wesen aus einer anderen Welt schon genug ungewollte Aufmerksamkeit bekam. Ehrlich, manchmal fragte ich mich, ob die hier keine eigenen Probleme hatten, wie zum Beispiel einen Pickel oder eine schiefgegangene Mathearbeit. Aber nein, es zählten ja die Pickel der anderen und die verhauenen Mathearbeiten der anderen. Ich seufzte. Warum mussten wir ausgerechnet hier hinziehen? Warum konnten wir nicht einfach auf Amrum bleiben, ein Ort, an den ich mich so gut gewöhnt hatte? Ich hatte mich da wirklich wohlgefühlt, abseits des Touristentrubels. Wieder seufzte ich. Meine Mutter und ich waren in meinem Leben schon so oft umgezogen, dass ich mich gar nicht mehr richtig an all die einzelnen Orte und Gesichter erinnern konnte.

      Mittlerweile war der Bus zum Bersten voll. Glücklicherweise hatte sich Marie, ein stilles, ebenfalls neu hinzugezogenes Mädchen, neben mich gesetzt. So konnte Hans-Quirin mich nur vom anderen Ende des Busses mit Welpenaugen beobachten. Ich tat es Marie gleich, steckte mir meine Kopfhörer rein und verlor mich in einem Album von Milky Chance. Ich ließ meinen Blick über die schwatzende Menge gleiten. Schließlich blieb er irgendwo kleben und verharrte dort. Naiv wie ich war, achtete ich nicht darauf, wo mein Blick haften blieb, und träumte von meinem letzten Zuhause, von dem kleinen hellblauen Haus mit dem Stroh- und Binsendach, von dem Rauschen der Wellen, von dem Gekreische der Möwen … In dieses gottverdammte Kaff zu ziehen, konnte man praktisch mit dem Rausschmiss aus dem Garten Eden vergleichen. Ich seufzte. Als sich mein Blick wieder klärte, bemerkte ich, dass sich meine Augen etwas unterhalb von … oh bitte, Erde tu dich auf und verschling mich … der Mitte eines Jungen befanden. Und als ob das nicht genug wäre, musste es natürlich der Hosenstall von, na, wem sonst, Hans-Quirin sein. Zu meiner großen Beschämung hatte er mein Starren auch noch mitbekommen, und wenn ich mich nicht irrte, dann sollten die bis zum Gehtnichtmehr verzogenen Lippen wohl ein anzügliches Lächeln sein. Ich wandte den Blick rasch ab, ehe ich noch schreiend auf ihn losgehen oder aber aus dem fahrenden Bus springen würde.

      Fünf Minuten bevor der Bus hielt, machte ich mich schon zur Flucht bereit und schoss dann mit gefühlten hundert Metern pro Sekunde aus dem Businneren. Ich scherte mich nicht um die verwirrten Blicke der anderen, das war mir komplett schnuppe; was mir allerdings nicht egal war, war, dass ein vertrottelter Junge, der mir täglich öfter Paarungssignale (igitt!) schickte, sich jetzt auch noch bestärkt in seiner Mission fühlte, mir mit der Keule eins überzubraten und mich in seine Höhle von Bauernhof zu ziehen. Mir schauderte bei diesem Gedanken und ich beschleunigte meine Schritte noch mehr.

      Als ich das quadratische Backsteingebäude erreichte, drosselte ich mein Tempo auf das der anderen Kids. So unauffällig wie nur möglich mit meinen eins sechsundsiebzig in einer Herde von – aus meiner Perspektive – Liliputanern, erreichte ich mein Schließfach, wühlte darin herum, ohne zu wissen, was ich eigentlich suchte, nur um wenigstens mit der Hälfte aus dem Sichtfeld der anderen zu verschwinden. Halbherzig zog ich also meine Physikbücher aus dem Spind und schaute gerade in den Stundenplan an der Tür, als mir jemand auf die Schulter tippte. Ich hatte mich noch nicht umgedreht, da fing die Person an zu reden. Mir gelang es nur mühsam, den Reflex zu unterdrücken, in mein Schließfach zu springen und die Tür hinter mir mit einem Bunsenbrenner zu verschweißen. Also drehte ich mich zu der Quelle des platten Bayrischs um und versuchte einen neutralen Gesichtsausdruck zu bewahren.

      Anscheinend gelang es mir, denn anstatt beleidigt oder verschreckt abzuziehen, lehnte, oder besser gesagt, hing er mit der Schulter an dem Nachbarspind, die Arme vor der Brust verknotet, zwanghaft lässig grinsend. Ich unterdrückte ein genervtes Aufstöhnen und nahm mir vor, nächstes Wochenende Sprinten zu trainieren. Klar hätte ich ihm auch einfach die Wahrheit sagen können, aber sein Fanklub war einfach zu groß, um der Rache der anderen zu entgehen. Nicht dass ich davor Angst gehabt hätte, nur würde ich die Beleidigungen, die man mir dann definitiv an den Kopf werfen würde, auch gerne verstehen.

      „Hi, ähm, wie heißt du noch mal?“ Ich versuchte ihn durch das Ich-kenn-dich-nicht-auch-wenn-wir-schon-ein-Date-hatten zu verschrecken. Doch anscheinend war er zu blöd, um das als Abschreckung zu verstehen. Stattdessen grinste er ein Tausend-Watt-Lächeln, sodass ich einen tieferen Einblick in seinen Mund bekam, als mir lieb war.

      „I bins meine gloae Maus, da Hansi! Woasst scho! Mia hatdn doch a Date!“ Meinen entgeisterten Blick schien er als Zuspruch zu nehmen und blinzelte mir kokett zu. Mir klappte fast die Kinnlade herunter. Wie konnte man nur so empathielos sein?

      Na gut, dann pass mal auf, HANSI, dachte ich grimmig, wenn du blöd sein kannst, dann kann ich das mit meinem Eins-Komma-null-Notendurschnitt auch! Also