Rabengelächter. Viona Kagerer

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Название Rabengelächter
Автор произведения Viona Kagerer
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Издательство
Год выпуска 0
isbn 9783962298500



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(irgendwie komisch von heute auf morgen einen zu haben) ihr zuvorkam. „Bevor du jetzt richtig loslegst, denk auch an das Wohl unserer Tochter!“ Ups, das war wohl ein Schuss in den Ofen, ich meine: Hallo, welche Mutter lässt sich gerne als selbstsüchtig bezeichnen?!

      Die Luft um sie schien förmlich zu knistern und, ach du liebe Zeit, waren das etwa Lichtfunken, die aus ihren Fäusten sprühten?

      Ich spürte, wie meine Augen groß wurden. Doch anstatt wieder diese krasse Energienummer wie vorhin abzuziehen, beließ meine Mutter es dabei und sagte abfällig: „Im Gegensatz zu dir denke ich sehr wohl an das Wohl MEINER Tochter und war, im Gegensatz zu DIR, die letzten sechzehn Jahre für sie da!“ Autsch, das hatte sicher wehgetan.

      Ich sah, wie seine Schultern leicht nach vorn sackten und sein überirdischer Schein etwas gedämpft aussah. Eins zu null für Mama, denn da hatte sie wirklich recht. Müde fuhr er sich über die Augen und sein Tonfall war so resigniert, als ob er gerade seinen besten Freund verloren hätte. „Wir haben keine Zeit mehr, Liv. Ihre Magie kommt zum Vorschein, ich kann es spüren. Wenn du wirklich das Beste für Anouk willst, dann lass mich ihr alles in deinem Beisein erklären und sie nach Halvar bringen, den einzig sicheren Ort für jemanden wie sie.“

      Jemanden wie mich, na danke.

      Meine Mutter war im Laufe des Gespräches immer blasser geworden und schien mit der Hauswand verschmelzen zu wollen. Völlig aufgelöst stemmte sie die Hände in die Hüften. „Aber das kann nicht sein, ich habe immerzu ihr Gedächtnis gelöscht, wenn sie wieder angefangen hat zu träumen, ebenso wie meine ganzen Runen, die ich überall im Haus habe. Wir haben die Wandlung schon ihr ganzes Leben unterdrückt! Ich verstehe nicht, was schiefgelaufen ist.“ Verzweifelt warf sie die Arme in die Luft.

      Wie bitte? Hatte ich da richtig gehört? Sie hatte mein Gedächtnis gelöscht und meine Wandlung, was auch immer das sein sollte, mit Runen unterdrückt, dieses Gekrakel von den Urmenschen? Okay, das war jetzt vielleicht übertrieben, trotzdem hoffte ich, dass sich das hier alles als ein dummer Scherz entpuppen würde.

      Doch mein Vater spielte seine Rolle weiter und entgegnete nüchtern: „Das spielt jetzt auch keine Rolle mehr.“

      Seine letzten Worte klangen so bitter, dass ich ihm wieder ins Gesicht schaute. Er sah traurig aus. Bevor ich jedoch lospoltern konnte, was hier eigentlich gespielt wurde, hörte ich meine Mutter seufzen: „Anouk, wir müssen dir etwas sagen. Du bist nicht so wie andere Jugendliche.“

      Oh, oh, wenn Eltern das sagten, dann folgte meistens nichts Gutes. Gleich würden sie mir sagen, dass ich etwas Besonderes sei und in eine besondere Wohnanstalt namens Psychiatrie gehören würde, und Psychiatrie dabei so komisch betonen, dass es wie ein tolles Fremdwort klang. Und schon ging’s los. „Anouk, du bist etwas ganz Besonderes.“

      Oh, ich war ganz besonders. Vorsicht!

      Kapitel 7

      Mein Magen hing mir irgendwo zwischen den Kniekehlen und ich hatte das blöde Gefühl, nachher erst einmal der Toilette einen sehr, sehr langen Besuch abstatten zu müssen. Konnten die das Dramapensum nicht ein bisschen runterschrauben? Da ergriff meine Mutter überraschend das Wort, hoffentlich würde sie ihn anbrüllen, dass er verschwinden und nie wieder kommen solle und dass mit mir alles okay sei, aber dann tat sie etwas, das sowohl meine Kinnlade als auch die meines Vaters herunterklappen ließ: „Odin, Anouk, kommt ins Wohnzimmer, aber dein“, sie zeigte auf die Raben, „Federvieh, bleibt draußen!“

      Eilig nickte mein Vater, wandte sich um und schaute die beiden großen Raben an, dann drehte er sich wieder um. „Hugin und Munin werden mit den andern hier warten.“

      Hugin und Munin, ich meine, echt jetzt, die hatten auch noch Namen?! Mein Vater musste meinen Blick bemerkt haben, denn er schmunzelte und erklärte: „Die Raben sind neben den Wölfen meine treuste Gefolgschaft, deshalb werde ich auch Hrafnass genannt.“ Er seufzte, als ein unausgesprochenes „Hä?“ zwischen uns stand. „Das heißt Rabengott.“ Ich zog die Stirn kraus, der Mann litt eindeutig an Größenwahn! Ich folgte ihm ins Wohnzimmer, das mit seiner Gegenwart plötzlich viel zu klein schien. Selbstsicher setzte er sich auf den Sessel, in dem ich immer fast versank, und es sah so aus, als hätte das Möbelstück sein ganzes Leben lang darauf gewartet, sein Thron zu sein. Ich schaute den braunen Ledersessel böse an. Verräter!

      Ich setzte mich auf die Couch und schaute zwischen meinen Eltern hin und her. Meine Mutter hatte sich gegenüber von meinem Vater aufgebaut, kurz begegneten sich ihre Blicke, was beide schnell wegschauen ließ. Ich räusperte mich, um die beiden auf ihre verstörte Tochter aufmerksam zu machen.

      Odin (Vater hört sich einfach nicht richtig an) beugte sich vor. „Du hast keine Ahnung von germanischer Kultur, oder?“ Er seufzte, als ich stumm den Kopf schüttelte. „Dann ist es also an mir, dir dein Erbe zu offenbaren.“

      Das klang ja mal dramatisch! Ich versuchte so ernsthaft wie möglich auszusehen, aber mir entfuhr doch ein Kichern, als ich sagte: „Na dann, die Märchenstunde kann beginnen!“

      Auf Odins finsteren Blick hin hob ich abwehrend die Hände. Ich war zu dem Entschluss gekommen, dass ich das alles hier am besten einfach wie einen misslungenen Aprilscherz betrachten sollte. Er räusperte sich. „Da wir nicht viel Zeit haben, kann ich dir nur eine Kurzfassung geben, der Rest wird sich später klären. Ich bin ein Gott, genau genommen der Hauptgott der nordischen Götter. Deine Mutter ist eine Lichtalbi, oder wie du es wahrscheinlich nennen würdest, eine Elfe. So etwas wie dich hat es bisher noch nie gegeben, denn Verbindungen zwischen den zwei Gattungen sind selten und verboten, und keiner weiß, was du bist; wir wissen nur, dass du weg von hier musst in eine Schule für Kinder der nordischen Gesellschaft, die Halvarschule in den Flujamooren. Die Sachen, die du brauchst, hast du ja schon gepackt“, fuhr er trocken fort (wahrscheinlich gefiel es ihm nicht sonderlich, dass er der Grund für das alles hier war). „Wir werden jetzt sofort abreisen. Alles, was du dort für den Unterricht brauchst, wird bereits vorbereitet sein. Der Rest wird noch geholt. Ich werde deine Mutter und dich jetzt alleine lassen und draußen warten, wir haben nicht viel Zeit.“

      Mit diesen Worten stand er auf und ging mit großen Schritten aus dem Raum. Ich schaute ihm wie ein begossener Pudel hinterher. Hilfe suchend wandte ich mich an meine Mutter.

      „Mum, sag mir, dass das nicht wahr ist; sag mir, dass dieser Geistesgestörte nicht mein Vater ist!“

      Betroffen dreinschauend ging sie um den kleinen Tisch herum und setzte sich zu mir. „Doch, das ist er, und …“, sie schaute mich streng an, „… je eher du das akzeptierst, desto besser für dich. Er will nur dein Bestes, er hat dich auch schon bei der Schule angemeldet und –“

      Entgeistert schaute ich sie an. „Ist das dein Ernst?“

      „Was?“

      „Du nimmst den Typen in Schutz, der dich und mich vor sechzehn Jahren hat sitzen lassen und jetzt mit Pauken und Trompeten verkündet, er sei Odin und ich müsse jetzt ganz schnell in dieser ach so tollen Schule untertauchen? Hallo? Komm zurück auf den Boden der Realität, Mama!“, sagte ich wütend gestikulierend. „Wenn dieser Mann uns wirklich lieben würde, dann würde er nicht versuchen, uns voneinander zu trennen! Wie kannst du nur diesen … diesen Geistesgestörten immer noch lieben?!“

      Kurz wurde meine Welt schwarz. Als ich wieder klar sehen konnte, stand ich ruckartig auf. Meine Hand auf meine brennende Wange gepresst, schaute ich meiner Mutter fest in die Augen, dann drehte ich mich um und stürmte aus dem Wohnzimmer und die Treppen in mein Zimmer hinauf. Weg von meiner Mutter, weg von meinem Vater.

      Weg, ich musste weg. Aber ich würde definitiv nicht mit meinem – würg – Vater mitgehen. Entschlossen holte ich einen großen Rucksack aus meinem Schrank und stopfte in blinder Hast alles Mögliche hinein. Wer weiß, wie viel Zeit mir noch blieb. Ich streifte mir eine Mütze und einen Parka über, ehe ich mich zu meinem Fenster umdrehte und es leise öffnete. Unten hörte ich meine Eltern reden. Sehr schön, dachte ich grimmig, während ihr eure Schlachtpläne macht, habe ich genügend Zeit, unbemerkt