Название | Rabengelächter |
---|---|
Автор произведения | Viona Kagerer |
Жанр | |
Серия | |
Издательство | |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783962298500 |
Espen, der sich inzwischen wieder gefasst hatte, lehnte sich vor. „Wir wissen es nicht mit Sicherheit, aber das hast du vorhin wahrscheinlich auch mitbekommen, nicht wahr?“
Ich zog meine Augenbrauen zusammen. Woher wusste …? – Oh verflucht, in meiner Tirade hatte ich wohl irgendwas von Hel gefaselt. Toll gemacht, Anouk, eins a, Spitzenklasse! Bevor ich nun knallrote Wangen bekommen würde (und diesen Triumph wollte ich Espen definitiv nicht gönnen!), machte ich eine wegwerfende Handbewegung. „Du solltest mal lernen, nicht in hundertzehn Dezibel Lautstärke zu flüstern!“ Da er nichts zu erwidern wusste, erntete ich nur einen finsteren Blick, den ich mit einem Lächeln quittierte. Mein Vater drehte sich zu mir um und hatte auf einmal so einen finsteren Gesichtsausdruck aufgesetzt, dass ich am liebsten meinen Kopf eingezogen hätte.
„Wir reisen ab!“
Bevor ich irgendwelche Einsprüche erheben konnte, dröhnte seine Stimme mit einer Autorität durch unser Haus, wie ich es noch nie zuvor vernommen hatte.
„JETZT!“
Fassungslos drehte ich mich zu meiner Mutter um und flehte sie mit Blicken an, dass sie sich für mich einsetzen möge. Sie half mir nicht. Ich fühlte mich völlig hilflos. Mir blieb nichts anderes übrig, als meine Sachen zu nehmen und durch die Haustür zu gehen, mein Vater rechts, Espen links neben mir. Ich verstand nicht, warum das alles hier veranstaltet wurde. Ich wusste nichts über mich. Ich wusste nur, dass mein neuer Vater mich in ein neues Leben bringen wollte, und ich versuchte mich mit aller Macht dagegen zu wehren. Ich wollte es nicht. Das neue Leben machte mir Angst, und dass meine Mitschüler eine Gefahr für mich sein könnten, beruhigte mich auch nicht gerade.
Wir kamen inmitten der Raben zum Stehen. Mein Vater zückte eine Art Schwert, das er in den Boden rammte und dabei „Halvar“ murmelte. In die Raben kam auf einmal Bewegung, als meine Mutter mich am Arm fasste und mir in die Augen schaute. „Ich liebe dich und auch dein Vater tut das! Gib ihm die Möglichkeit, es dir zu zeigen!“
Mittlerweile hatten die schwarzen Vögel einen großen Kreis um uns herum gebildet und schlugen wild mit den Flügeln. Auf einmal schnürte sich meine Kehle zu und ich zwang mich zu sagen: „Ich hab dich auch lieb, Mom!“
Ich hatte Angst, sie zu verlassen. Wann würde ich sie wiedersehen? Sie nahm mich in den Arm, als plötzlich eine heftige Windböe aufkam und an mir zerrte, wie eine große, starke, unbarmherzige Hand. Die Windböe zog mich immer weiter in den Kreis der Raben hinein und meine Mutter weg von mir. Als mir ihre Hände entglitten, hörte ich sie noch rufen: „Und kämpfe, Anouk, kämpfe, wenn nötig gegen dein Schicksal!“ Als ich wieder auf dem Boden auftraf, sah ich die pechschwarzen Tiere in einer großen Spirale, uns mitreißend, in den tiefen Himmel fliegen, vorbei am großen, weißen Mond. Das Letzte, was ich durch das Rauschen Dutzender Flügel hörte, war das Gelächter der Raben.
Kapitel 11
Es roch nach altem Gemäuer und nach Holz. Leise Stimmen drangen an mein Ohr. Ich drehte meinen Kopf in Richtung der Geräusche und nieste, als mich irgendetwas an der Nase kitzelte. Die Stimmen wurden lauter. Ich war so unendlich müde. Nicht einmal die Frage, wo ich mich befand, kam mir in den Sinn, während ich wieder wegdämmerte. Schweißgebadet wachte ich aus meinen Träumen auf und vermochte nicht länger liegen zu bleiben. Ich hatte von Raben und leichenähnlichen Kreaturen geträumt, die mich verfolgten. Von meiner inneren Unruhe angetrieben, setzte ich mich auf und schaute mich in dem sanft beleuchteten Raum um. Es war ein kleines Zimmer mit hohen Wänden und nur einem Bett, auf dem ich gerade saß, und einem robusten Eichentisch.
Die Wände waren aus großen, grauen, quaderförmigen Steinen und durch ein großes Buntglasfenster fiel gedämpftes Licht herein. An der Wand waren mittelalterliche Fackeln befestigt, die noch leise vor sich hin glühten. Statt einer Tür diente ein großer Bogen als Durchgang, hinter dem ich einen weiten Gang mit lauter leeren Betten erblickte. Mit wackeligen Beinen stand ich auf und griff nach einem Bettpfosten, als der Schwindel mich zu überwältigen drohte. Ich war noch genau so angezogen, wie ich von zu Hause weggebracht worden war. Nur meine Schuhe standen rechts neben dem Eingangsbogen. Zu Hause. Ich biss die Zähne zusammen, um das aufsteigende Gefühl von Übelkeit zu unterdrücken, und verdrängte den Gedanken an meine Mutter.
Ich schlurfte zu meinen Schuhen, zog sie an und zögerte, als ich auf den Gang schaute, der in lauter Zimmer unterteilt war. Sollte ich warten, ob jemand kam, oder den fremden Ort auf eigene Faust erkunden? Ich zuckte mit den Schultern. Wenn mein Vater mir schon die Möglichkeit gab, auf waghalsige Entdeckungstour zu gehen, dann sollte ich diese Möglichkeit auch nutzen, oder nicht?
Jedes Zimmer in diesem Gang war identisch eingerichtet. Als ich am Ende des Ganges angekommen war, stieß ich auf eine große, mit Schnitzereien verzierte Flügeltür, hinter der sich eine lichtdurchflutete Halle befand. Neugierig stellte ich mich in die Mitte dieser Halle und blickte mich um. Auch hier waren die Wände aus diesen großen Steinen, die mich an eine Burg erinnerten. Doch eine Wand wurde komplett durch ein Glasmosaik ersetzt, sodass es mir den Atem verschlug. Es war so fein und präzise gearbeitet wie das Bild eines großen Künstlers. Ich trat einen Schritt zurück, um es besser betrachten zu können. Im Vordergrund waren leuchtende Frauen abgebildet. Einige von ihnen saßen auf dem Rücken eines grasenden Hirsches, andere auf den Ästen eines Apfelbaumes. Hinter ihnen war eine üppige grüne Landschaft mit vereinzelten Bäumen abgebildet.
Vor dem riesigen Fenster stand ein langer Tisch, auf dem allerlei Grünzeug lag, von dem ein würziger Geruch von Kräutern herüberzog. Interessiert ging ich zu einem großen Regal neben der gegenüberliegenden Tür, das sich über die ganze Wand erstreckte. Tausende kleine Fläschchen mit merkwürdig aussehenden Substanzen waren darauf aufgereiht. Ich kniff die Augen zusammen und beugte mich leicht vor, um den Inhalt eines Glases besser begutachten zu können. Waren das Insektenflügel? Hätte ich die Schriftzeichen auf den Etiketts, die auf jedem Fläschchen aufgeklebt waren, lesen können, hätte ich mir diese Frage wahrscheinlich selbst beantworten können. Anscheinend war das hier so eine Art Krankenabteilung.
Ich verließ den Saal und huschte durch einen großen, dunklen, gotischen Bogengang. Es gab keine Fenster, ich musste also mitten in diesem Gebäude sein. Die Fackeln warfen unheimliche Schatten und ich wollte mir gar nicht vorstellen, wie es war, in der Nacht hier durchzulaufen. Umso erleichterter war ich, als endlich von irgendwoher ein wenig Licht eindrang. Am Ende des Ganges angekommen, bog ich links ab und kam vor einem prächtigen Treppenaufgang zum Stehen. Die Haupttreppe, aus weißem Stein, wurde nach unten hin immer breiter; auf dem Ende des geschwungenen Marmorgeländers saßen die Statuen zweier Wölfe, der eine den Kopf nach links, der andere den Kopf nach rechts gedreht. Was war das hier? Ein Luxusschloss der Extraklasse? Der Raum verlief kuppelförmig nach oben mit eingelassenen Glaselementen, die schöner nicht hätten gefertigt werden können. Es war eine riesige Eingangshalle, in die unser Haus bestimmt zehnmal in Höhe und Breite gepasst hätte.
Ich trat einen Schritt vor. Rechts und links von mir teilte sich die beeindruckende Treppe und ging in zwei kleineren, aber nicht weniger schönen und detailverliebten Treppen hinauf in weitere Gänge. An den Wänden der Halle rankte marmorner Efeu. Ergriffen von