Название | Wo Anders |
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Автор произведения | Inga Berg |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783742769596 |
Als er schließlich den unregelmäßig gepflasterten Innenbereich des Hofes betrat, sah man ihm seinen Kampf durch dichtes Unterholz und ihm ins Gesicht schlagende Hoffnungslosigkeit nicht mehr an. Nicht einen Kratzer hatte er davon getragen, nicht einen blauen Fleck.
In der Mitte der u-förmig angereihten Gebäude stand eine riesige alte Kastanie, unter der ein Brunnen munter gurgelnd unermüdlich Wasser in eine längliche, aus Sandstein gehauene Tränke ergoss. Einladend funkelte das Wasser in der Abendsonne. Erst jetzt spürte er das trockene Brennen in seiner Kehle und das Schwindelgefühl in seinem Kopf.
Wasser, endlich. Keine Quelle, kein Bach, eine Viehtränke unter einem sich weit ausladenden, weiß blühenden Kastanienbaum. Tief tauchte er seine Hände in das klare kalte Wasser, führte es zum Mund und ließ es seine Kehle hinunterlaufen. Kühle Frische durchflutete ihn, nahm die Mühsal und die flirrenden Bilder aus seinem Kopf, die Trägheit aus seinen Gliedern. Noch einmal ergoss sich ein Strom der Befreiung durch seinen erhitzten Körper, bevor er sich dem Brunnen abwandte, um sich vorsichtig umzusehen.
Direkt vor dem herrschaftlichen Wohnhaus mit seinem mächtigen, strohgedeckten Dach saß ein altes Mütterlein und beobachtete ihn still. Ihre dunklen Augen glänzten im Abendrot, während ihre flinken, faltigen Hände ein sich windendes Schilfrohr geschickt um ein dagegenstehendes Gerüst flocht. Der Boden und die darauf entstehenden Wände eines Korbes waren schon jetzt gut erkennbar und gewannen unter der schnellen und sicheren Hand der alten Frau immer mehr an Gestalt. Doch bei all der Arbeit ließ sie ihn nicht aus den Augen, sah ihn freundlich an.
Er hatte sie beim Eintreten in den schattigen Innenhof nicht bemerkt. Hatte nur dem mächtigen Baum und dem darunter auffordernd plätschernden Wasser seine Aufmerksamkeit geschenkt und hätte schwören können, dass da niemand gewesen ist. Keine alte Frau, keine Körbe, die rings um sie wild durcheinander lagen und Zeugen eines langen Tages waren.
Eigentlich verfügte er über eine gute Beobachtungsgabe, entging ihm sonst keine Regung um ihn herum und schon gar keine Körbe flechtende Frau, die ihn noch dazu so gerade heraus beobachtete! Erklären konnte er sich das nicht, aber was war an diesem Tag schon normal und verstandesgemäß?
Die Dinge nicht zu ernst zu nehmen entschloss er sich, der freundlichen Aufforderung der Alten zu folgen und sich zu ihr zu gesellen. Nein, gesprochen hatte sie noch kein Wort, aber es schien, als hätte sie direkten Zugang zu seinen Gedanken. Ihre Blicke sprangen durch seine Gedanken, formten sich zu verständlichen Worten. Er wusste, nein hörte geradezu, wie sie zu ihm sprach. Plötzlich tauchte vor ihm wie aus einem grauen Nebel wieder seine Frau auf. Diesmal lag sie in einem strahlend weißen Bett. Sie war umgeben von gleißender Helligkeit, gerade so als schwebe sie, von Licht getragen. Die Lehne ihres Lagers war leicht aufgerichtet und wieder sah sie ihn direkt an. Ihre blonden Haare umrahmten dünn und strähnig ihr von Anstrengung gezeichnetes, blasses Gesicht.
Ein Strom aus Liebe und Wärme ergriff ihn und zog ihn noch näher an ihr Bett heran. Völlig unerwartet regte sich etwas unter ihrer Decke. Ein leichtes Wimmern war zu hören und vorsichtig schob er das dicke, weiße Daunenbett beiseite. Und da lag es. Klein und zerknautscht, eingehüllt in feines Linnen, lag da ein neugeborenes Kind in den Armen seiner geliebten Frau. Ein Gefühl der übervollen Freude brach in ihm auf. Er breitete seine Arme aus, um seine Frau zu umarmen, an sich zu drücken, ihr und dem Kind nahe zu sein, doch da verschwand das Bild und er sah in ein von Jahren gezeichnetes und zerfurchtes, freundliches Gesicht.
Immer noch sah ihn die Korbflechterin unverwandt an. Doch seine Gedanken waren nicht weiter in den ihren gefangen. Alles, was er nun sah und hörte, war Ursprung seiner ureigensten Empfindungen.
„Es ist ein Mädchen“ drang die Stimme der Bäuerin an sein Ohr „und Mutter und Kind sind wohl auf!“.
Erschrocken und doch nicht wirklich überrascht sah er sie an. Diese nickte nur sanft lächelnd, erhob sich von der in die Jahre gekommenen, aschfahlen Holzbank und verschwand im Haus, noch bevor er irgendetwas sagen konnte. Kurze Zeit darauf erschien ein stämmiger Mann in grober Leinenhose und zerschlissenem Flanellhemd, in der Eingangstür. Der Bauer, wie sich herausstellte. Was er wolle und wer er sei, fragte der Hofbesitzer den unerwarteten Gast.
Kurz und die vielen seltsamen Begegnungen und Ereignisse auslassend, schilderte der Gestrandete seine Not und bat um die Hilfe, derentwegen er vor einem ganzen Leben, so schien es, aufgebrochen war.
Schnell war ein Kanister mit Wasser gefüllt und ein tuckernder, grasgrüner Traktor schnaubend und polternd auf der Landstraße Richtung defektem Auto unterwegs. Die Schatten der Tannen hatten nun auch das letzte bisschen purpurrote Sonne auf den Wegen vertrieben, doch die hellen Scheinwerfer des landwirtschaftlichen Fahrzeuges beleuchteten sicher die Straße und fanden ohne Probleme den liegen gebliebenen PKW.
Wäre er doch einfach der Straße gefolgt! Wie einfach wäre das gewesen. Was um Himmels Willen hatte ihn dazu gebracht, diesen kleinen Weg, der nun gänzlich im Dunkel lag, zu nehmen? Doch nun galt es, den Wagen wieder flott zu machen. Mit einem Trichter, den der vorsorgliche Landwirt mitgenommen hatte, wurde das frische Wasser in den Kühler des Wagens gegossen und so wie ihn dieses herrliche Nass wieder belebt hatte, vermochte es auch dem Motor wieder neue Kraft und Bewegung zu verleihen.
Ohne Probleme sprang der Wagen an. Vielleicht auch, weil er so lange gestanden hatte und abgekühlt war oder auch weil es nun einfach Zeit war, weiter zu fahren, wer wusste das schon so genau! Mit einem freundlichen Gruß verabschiedete sich der Bauer, schwang sich auf sein grünes Gefährt und tuckerte davon. Noch lange hörte man den rumpelnden Motor und sah ab und zu den Lichtkegel seiner Scheinwerfer zwischen dem dichten Tann aufblitzen, bis er dann endgültig in der Dunkelheit verschwand.
Nachdenklich blieb er zurück. Stand neben seinem, wie ein Kätzchen schnurrenden Wagen und starrte abwechselnd in die Richtung, in die der Traktor verschwunden war und die, in der der kleine Weg, den er heute Mittag erst genommen hatte, nur noch zu erahnen war.
Hatte er all das nur geträumt?
Gedankenverloren ließ er seine Hand in seine Hosentasche gleiten und hielt abrupt in der Bewegung inne. Hatte er sie mitgenommen? Vorsichtig, als könnten sie jederzeit zu Staub zerfallen, denn was war schon an diesem Tag unmöglich, zog er einen nach dem anderen aus seiner Hosentasche. Vor ihm lagen die drei Kieselsteine. Die drei Kieselsteine, die ihn geblendet hatten und ihm schließlich Wegweiser gewesen waren in seiner größten Not.
Spät in dieser Nacht kam er endlich nach Hause und zum ersten Mal in seinem Leben schlug er die Bibel als Suchender auf. Das Buch Esther stand da in großen Lettern.
Und so kam ich zu meinem Namen“, schloss Esther ihre Geschichte. „Jahre nach meiner Geburt“, fügte sie noch geheimnisvoll hinzu, „fuhr mein Vater erneut beruflich in den Schwarzwald und kam an die Stelle, an der er damals seine Panne hatte. Er hielt an derselben kleinen Haltebucht und fand auch nach einigem Suchen den inzwischen völlig überwucherten Pfad in den Wald. Dann folgte er der Straße weiter und war sich sicher, genau den Weg zu fahren, den damals der Traktor genommen hatte. Er kam auch bald aus dem Wald heraus und vor ihm öffnete sich eine sanft hügelige, in Wiesen und Felder eingebettete Landschaft.
Doch einen Hof fand er nicht. Da aber ein Gehöft von so beachtlicher Größe wie dieser damals nicht einfach verschwinden konnte, gab mein Vater nicht auf und wurde letztendlich fündig.
Schon von weitem sah man den uralten Kastanienbaum. Schnell lenkte er sein Fahrzeug von der geteerten Straße auf eine Schotterpiste, die genau auf den Hof zuhielt. Doch je näher er den Gebäuden kam, je unwegsamer wurde der Weg und schließlich war er nicht mehr zu befahren. Mein Vater stieg aus und ging das letzte Stück zu Fuß, was er dann aber sah, wagte er nicht zu glauben. Außer dem alten Baum war das ehemals stattliche Gehöft nur noch zu erahnen. Die Gebäude waren teilweise bis auf die Grundmauern abgetragen oder zerfallen. Das Dach des Haupthauses streckte sich in nacktem Gerippe gen Himmel und die Stallungen bzw. was davon übrig war, war von Brombeeren überwuchert.
Als er später zurück auf der Landstraße an einem kleinen Souvenirgeschäft anhielt und den Mann hinter der Ladentheke nach eben diesem Hof fragte,