Название | Wo Anders |
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Автор произведения | Inga Berg |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783742769596 |
„Es ist höchste Zeit“, sagte sie leise und drückte mich die erste Stufe der Treppe hinauf. „Morgen wird wieder ein langer Tag“.
Bedacht strich sie mir über meine wilde, lockenschwere Mähne, nahm mein Gesicht in ihre Hände und küsste mich sanft auf die Stirn. Dann schickte mich endgültig in mein Zimmer. Ja, morgen würde wieder kommen und wieder und wieder, so war das nun mal, aber zuerst kam die Nacht und mit ihr meine luftigen Freunde.
Als ich endlich mein Zimmer betrat, lag es in dunkelstes Rot getaucht vor mir. Schemenhaft hoben sich Möbel und Spielsachen gegen die einfallende Dunkelheit ab. Ohne den Lichtschalter zu betätigen, steuerte ich auf mein Bett zu, das sich bereits in Nachtblau gewandet hatte. Vor diesem stehend befreite ich mich mit geübter Bewegung nahezu gleichzeitig aus T-Shirt, Hose, Socken und Sandalen. Alles sank vor mir zu einem Häufchen Irgendetwas auf dem Boden zusammen, wurde abgestreift wie der Tag, mit all seiner Aufregung, fand Befreiung in der sich ankündigenden Nacht.
Zielsicher fuhr ich mit der rechten Hand unter meine Bettdecke, die ordentlich doppelt gelegt darauf wartete, aufgeschlagen zu werden. Schnell hatte ich mein Apfelnachthemd, ein langes Baumwollhemd rundum bedruckt mit in Rottönen gehaltenen Äpfeln, hervorgezogen, zog es an und schlüpfte unter meine Apfelbettdecke. Zwar waren die Äpfel auf meinem Bettbezug grün, doch wer sah das schon, wenn es dunkel war. Apfel war Apfel und ich mitten darin. Verschmolzen mit roten und grünen Früchten, unsichtbar.
Kühl umfing mich das duftige Weich meines aus Federn gemachten Nestes, hüllte mich ein, entführte mich in eine schwere, mysteriöse Welt aus bunten Bildern und wirren Gefühlen. Den Sand zwischen meinen Zehen spürte ich nur kurz, zu kurz, als dass er mich noch stören konnte, bevor ich das Portal zu meiner Traumwelt durchschritt.
Sie traten vor mich, tanzten um mich herum, verhöhnten mich. Ab und zu bekamen sie graue steinerne Gesichter, grinsten mich an und verschmolzen wieder mit dem kalten Grau des Steines, aus denen sie gemacht waren. Kieselsteine, überall Kieselsteine. Polternd setzten sie sich in Bewegung, kamen direkt auf mich zu, drohten mich zu überrollen, mich unter sich zu begraben. Erschrocken wachte ich auf, doch das Rumpeln war immer noch hörbar. War ich wirklich wach oder schlief ich noch? Was für ein Traum, ging es mir noch durch den Kopf, bevor ich endgültig meine Augen öffnete und erschrocken zusammenfuhr. Ein grelles Licht erhellte einen kurzen Augenblick mein Zimmer, bevor es wieder stockdunkel wurde. Und da war es wieder, dieses tiefe gewaltige Grollen, weit weg und doch bedrohlich nah. Nein, keine Kieselsteine, die mir nach dem Leben trachteten.
Die schwülwarme Sommernachtsluft stand in meinem Zimmer, erstickte mich geradezu. Nichts war zu hören, kein Zirpen der Grillen, die, so schien es gerade nachts, wenn keiner hinsah, besonders inbrünstig auf Partnersuche gingen. Keine tanzenden Schatten, die mich in ihre luftig leichte Welt mitnahmen, nur ein bizarres, eisblaues Aufzucken langer Schatten in heißer Nacht, gefolgt von tiefem, mächtigem Grollen voller Wut und Gewalt, Naturgewalt.
Plötzlich ein Raunen, ein Rauschen, das an Intensität schnell zunahm. Blitze zuckten und beleuchteten den sich windenden und sich beugenden mächtigen Baum. Irgendwo schlug eine Tür zu, fiel etwas scheppernd um. Und immer wieder kurze Momente der unerträglichen Helligkeit. Der Donnerhall wurde lauter, die Blitze kamen nun in immer kürzeren Abständen. Regen setzte ein, trommelte auf meine Fensterbank, verschmolz mit dem Rauschen des Windes, verstärkte ihn gar. In den kurzen Augenblicken der lichtdurchzerrten Dunkelheit sah ich meine Vorhänge verzweifelt gegen den aufbrausenden Wind kämpfen. Immer wieder wurden sie durch das offene Fenster hinausgezogen, um kurz darauf zurückgeworfen zu werden. Regen und Wind griffen nach dem feinen, durchsichtigen Stoff, warfen ihn hin und her, trieben ihr Spiel mit ihm, bis er nass und erschöpft an der Hauswand kleben blieb. Das Gewitter war inzwischen genau über uns. Entlud sich mit all seiner Herrschaft. Weit entfernt durch das Dunkel der Nacht und das Toben der Natur drang ein mutloses und klagendes Martinshorn in mein Zimmer, sprang kurz durch meine Gedanken und ließ mich dann wieder los, allein unter meiner Bettdecke und in meiner Angst.
Da war niemand, der mich schützen würde, mich retten kam, wenn unser Haus in Flammen aufging. Hier in meinem Zimmer, unter meiner Bettdecke würde ich dem sicheren Tod ins Auge blicken. Nein ich würde nicht schreien, den Gefallen würde ich ihnen nicht tun. Sie würden meine verkohlte Leiche Tage später erst unter den Trümmern finden. Und Tristan müsste all meine Spielsachen in mein Grab legen, mein Kummertier ganz zu oberst!
Wieder so ein grelles Blenden und kurz darauf ein übermächtiges Donnern. Ein drohender, hallender Schlag gegen die Feste der Himmel. Ein zweites Mal war ein Martinshorn zu hören, das durch den Regen schoss, um irgendwo einem Unglück den Schrecken zu nehmen, Hoffnung zu geben und zu retten, was zu retten war.
„Ich will nicht sterben“, schrie es in mir, und noch in diesem Gedanken, zwischen Blitz und Donner war ich unter meiner Decke hervor und aus meinem Bett aufgesprungen. Schnell war ich an der Zimmertür, als ich erneut einen Donnerschlag meinen Körper, meine Gedanken, meinen Mut durchfahren spürte.
„Ich will nicht sterben!“, noch einmal schrie ich gegen meine Angst an, dann wurde es still. Zusammengekauert, klein und elend saß ich vor meiner Zimmertür mit Blick auf das offene Fenster. Angestrengt sah ich in das Dunkel des Raumes und immer wieder durch das Fenster direkt auf meinen Baum. Die Straßenlaternen waren wieder an und mein großer Freund bewegte sanft seine majestätischen Äste in der abgekühlten, regennassen Luft.
In der Weite, der sich dem Ende zuneigenden Nacht war noch ein tiefes, inniges Grummeln zu hören, nichts, wovor man sich zu fürchten brauchte. Ein letztes Aufzucken, ein letztes Grollen und zurück blieb ein sanftes, melodisches Trippeln und helles Singen der übrig gebliebenen Regentropfen, wenn sie von der Regenrinne in das darunter liegende Regenfass fielen. Gehört hatte mich auch diesmal keiner und selbst wenn sie mich gehört hätten, gekommen wären sie nicht und ich hätte nicht zu ihnen gelangen können. Das Schlafzimmer meiner Eltern war nachts immer abgeschlossen, keiner kam hinein, keiner kam hinaus. Maikefreie Zone. Ich war dort nicht erwünscht, nicht einmal bei Lebensgefahr.
„Das Kind ist alt genug und kann mit seinen Ängsten alleine fertig werden“, hörte ich meinen Vater herrschaftlich durch meinen Gedanken schreiten.
Langsam stellte ich mich auf meine immer noch wackeligen Knie und kam bei dem Versuch des ersten Schrittes zurück zu meinem Bett ins Straucheln. Ein dumpfer, pochender Schmerz zwang mich zum inne halten und instinktiv fuhr ich mit der Hand an das lädierte Knie. Das Gewitter hatte den Schmerz übertönt, doch nun, da es wieder still war und altbekannte Gestalten und luftige Wesen ihren Schabernack mit meinen Sinnen trieben und lustig durch mein Zimmer sprangen, jetzt, wo alles wieder so war wie immer, jetzt zwang mich mein Knie zurück in das Wirkliche, in das Körperliche, in das Hier.
Vorsichtig tasteten meine Finger die dick geschwollene Körperstelle an meinem Bein ab. Heiß fühlte es sich an und krustig verklebt. An Belastung oder gar laufen war nicht zu denken. Jede Bewegung wurde mit einem pulsierenden Brennen quittiert. So schleppte ich mich humpelnd gerade noch zu meinem auf Rollen gelagerten Schreibtischstuhl. Ein leiser Windhauch strich über meinen in ein dünnes Nachthemd gekleideten Körper und verursachte eine Gänsehaut, die über meine Kopfhaut meinen Rücken bis hinunter zu den Fußspitzen lief.
Vorsichtig zog ich mich, immer noch auf meinem Rollstuhl sitzend, an das offene Fenster. Leise, ganz leise zog der Morgen herauf und erfüllte die Luft mit Vogelgezwitscher, während die Welt noch in tiefer Ruhe verharrte. Der Gehweg war übersät mit heruntergefallenen, gewaltsam entrissenen, nassen Blättern. Dunkelgrünen Edelsteinen gleich schillerten sie, mit den sich in den Bäumen verirrten Regentropfen, in der aufgehenden Sonne um die Wette. Wieder versprach es ein herrlicher Sommertag zu werden und auch schon in wenigen Stunden wären dunkelgrüne Blattedelsteine und diamanten schillernde Baumspitzen der flirrenden Hitze des Tages gewichen. „Was machst du da?!“, hörte ich die empörte Stimme meiner Mutter. Erschrocken fuhr ich auf und plumpste unsanft zwischen Schreibtisch