Название | Wo Anders |
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Автор произведения | Inga Berg |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783742769596 |
Vorsichtig setzte ich mich auf. Rieb meinen Arm, der nun scheußlich zu kribbeln anfing. Er war eingeschlafen, genau wie ich. Durch die lustig schimmernden Lichtreflexe und die sanft einschläfernde Tropfenmelodie hatte ich mich dem bleiernen Gefühl der aufkommenden Müdigkeit nicht mehr widersetzen können und war, auf die Fensterbank gelehnt, einfach eingeschlafen. Mein Arm, auf dem ich gelegen haben musste, hatte mir das übel genommen und rächte sich nun an mir, indem er mir den Dienst versagte. Ich kroch unter dem wuchtigen, kirschbaumfarbenen Schreibtisch hervor und richtete mich vor meiner mit dem Fuß wippenden Mutter auf. Diese hielt in ihrer nervösen Bewegung inne und starrte mich an. Nein, sie hielt ihren Blick nicht gebannt auf mein Gesicht oder meinen tauben Arm. Mein Knie lag im Zentrum ihrer Aufmerksamkeit. Langsam folgte ich ihrem erstarrten, erschrockenen Blick hinunter zu dem pulsierenden, blau unterlaufenen Etwas, das da zwischen Ober - und Unterschenkel dick angeschwollen war.
„Ach du meine Güte“, rief meine Mutter entsetzt aus, schob mich vorsichtig zu meinem Bett und verschwand so plötzlich wie sie gekommen war. Alle Spannung aus meinem Körper weichend ließ ich mich auf mein Bett fallen. Aufgefangen von weichen Kissen und einer federleichten Zudecke wollte ich mich gerade der Schwere meiner Gedanken hingeben, als sie erneut vor mir stand. Diesmal mit einem ganzen Arsenal an Verbandmull, Salben und Pflastern. Immer mehr seltsamfarbene Cremes und Tinkturen holte sie wie aus dem Nichts hervor und schmierte sie mir auf mein Knie, das nun zu dem dumpfen Schmerz auch noch anfing zu brennen. Dann begann sie die alte, meiner Meinung nach gute Verkrustung mit irgendeinem Wässerchen zu lösen, um die jetzt wieder blutende Wunde mit Jod zu versorgen, wie sie ankündigte. Kaum gesagt, rückte sie mir auch schon mit dem rostorangenen Wattebausch zu Leibe.
„Das tut weh“, schrie ich sie an und zog im gleichen Atemzug mein Bein zur Seite. Zu meinem Unglück auf die Seite, auf der die aus braunem Glas gearbeitete und bis zum Rand mit Jodtinktur gefüllte Flasche stand – gestanden hatte! Mit einem dumpfen Schlag fiel die Flasche um und ergoss glucksend und gurgelnd ihren Inhalt über Mutters neue Designer-Pumps und gab dem sorgfältig restaurierten Dielenboden vor meinem Bett eine neue Färbung.
Entsetzt sprang meine Mutter auf, immer noch den mit Desinfektionsmittel getränkten Tupfer in der Hand. Ohne darüber nachzudenken, begann sie ihre schicken Schuhe mit dem Wattestück zu bearbeiten und machte damit die Sauerei komplett. Schweigend sah ich ihr zu, wie sie die zur Desinfektion gedachte Flüssigkeit immer heftiger in das ehemals weiße Leder einarbeitete. Endlich schien sie zu registrieren, was sie da eigentlich tat, hielt augenblicklich in ihrer Bewegung inne, sah erst mich, dann das von ihr geschaffene Malheur und dann wieder mich an und begann aus tiefster Seele und vollem Herzen zu lachen. Noch ungläubig ob der Geschehnisse sah ich sie eine kurze Weile an, bis auch ich nicht mehr an mich halten konnte und in ihr Lachen mit einstimmte. Erschöpft, aber hoch amüsiert ließ sie sich neben mir aufs Bett fallen.
„So eine Scheiße“, meinte sie, sah mich an und zwinkerte mir zu.
„So eine Mäusescheiße“, konterte ich und sah sie herausfordernd an. Wieder begann sie zu lachen und schloss mich fest in ihre Arme. Wärme und ein Gefühl des Gewolltseins durchströmten mich, ergriffen mich und ließen mich die Angst und Einsamkeit der vergangenen Nacht vergessen. Sie drückte alles einfach weg und ich wünschte, für immer so in ihren Armen liegen zu können. Hier war mein Platz. Genau hier und nicht in irgendeiner Abenteuer heischenden Zeltstatt mit qualifizierten Erlebnispädagogen. Ich wollte da nicht mehr hin. Zu den Kindern mit ihren Rucksäcken voller kleiner Liebkosungen und überlebenswichtigen Utensilien. Hier hatte ich alles, was ich brauchte und war auf Angriffe und Besitzansprüche von Seiten des Feindes bestens vorbereitet. Ich konnte, ja durfte meine Stellung nicht noch einmal verlassen, zu groß waren bereits die Verluste, wenn man nur einmal an das jüngst Opfer dachte: Mein Kummertier.
Doch irgendetwas war plötzlich anders, irgendwie veränderte sich die Umarmung, in der ich mich plötzlich gefangen fühlte. Enger immer enger schloss sich ihr Körper um den meinen, erdrückte mich und mit jedem ihrer Schluchzer, die einem ruckartigen Arythmus folgten, starb ein Teil meines kindlichen Verlangens, ihr nahe zu sein. Wut, unbändige Wut stieg in mir auf. Ich wurde bestohlen, betrogen und missbraucht. Jetzt war ich diejenige, die umarmte, aber ich wollte nicht umarmen, ich wollte umarmt werden. Entschlossen befreite ich mich aus ihrem Zugriff und sah ihr direkt ins Gesicht. Zusammengesunken und gar nicht mehr unbeschwert saß sie vor mir. Ihr Blick ging ins Leere, sie wirkte fremd und unerreichbar. In die Spannung hinein ertönte das mächtige Schlagwerk der alten Standuhr Brachte uns zurück, jede aus ihrer eigenen Gefühlswelt, jede aus seiner ihr ganz eigenen Erleben. Ihr Körper spannte sich, der graue Vorhang vor ihrem Blick zerriss und sie sah mir direkt in die Augen. In meine wütend funkelnde Augen.
„Oh, nein“ deutete sie mein Türkisgrün falsch, „du gehst ins Feriencamp. Ohne Widerrede!“
Schlagartig war es weg, dieses Gefühl, das einem im Bauch tanzt, einen davonträgt in einen rosaroten Tag. – gekippt, erstickt, verschlungen im Ticken der Uhr. Zeit fraß Glück! Diese unselige Maßeinheit, in der wir gnadenlos gefangen waren, lebte von Glück.
„Ich will auch gar nicht hier bleiben“, fauchte ich sie an, zog mich, sie links liegen lassend und ohne ein weiteres Wort vor an meine Bettkante, stand auf und ging ins Bad. Humpeln vergaß ich aber nicht und ein bisschen echt war es ja auch.
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