Название | Rafiki Beach Hotel |
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Автор произведения | Peter Höner |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783038551126 |
Mein Gott, was für eine Nacht! Irgendwann hörte Mettler auf, den Wechsel von Erbrechen und Durchfall zu zählen. Gleich am ersten Tag hat er sich die Scheisserei geholt. Gegen Morgen, die Muezzins riefen bereits zum Gebet, nachdem er bestimmt ein halbes Dutzend «Baktrisolidin» geschluckt hatte, beruhigte sich sein Gedärm, so dass er sogar ein bisschen schlafen konnte.
Jetzt sitzt er mitgenommen und allein in der Frühstückshalle, es ist bereits nach Zehn, die Frühstückszeit vorbei. Simon, der Mettler in einem kaum zu ertragenden Wortschwall mit den Frühstücksgepflogenheiten des Gasthauses vertraut machte, liess sich dann wenigstens dazu bewegen, Mettler einen Tee aufzugiessen, den er in kleinen Schlückchen trinkt, immer in Sorge, jeden Moment wieder auf Toilette zu müssen. Sein Hemd klebt am Körper, er spürt, wie sich in seinen Bauchfalten die vielen kleinen Schweissbäche sammeln, die überall an ihm herunterrinnen, entsetzlich, und das alles... – Ja. Warum eigentlich?
Mettler hat seine Akten auf dem Frühstückstisch ausgebreitet. Er hofft, seinen Fall so schnell als möglich erledigen und Lamu wieder verlassen zu können. Was will er hier? Hat er geglaubt, in ein Paradies zurückzukehren? Seine Jugend wieder zu finden?
Ein paar Bilder von Gertrud schiessen, möglichst wie sie in den Armen ihres schwarzen Freundes liegt oder Hand in Hand den Strand entlang schlendert. Das wird den Verwandten in der Schweiz, der Tochter, genügen, er bekommt sein Geld, und was die Leute mit den Fotos machen, ist nicht seine Sache.
Trotz seines Ärgers, der Wut über seine Arbeit, die Mettler in letzter Zeit immer öfters überfällt, bleibt er seinen Arbeitsprinzipien treu: Diskretion nach Aussen, Sorgfalt im Detail. In wenigen Stichworten, die er aus losen Notizen sammelt, skizziert er, was er über Gertrud Hornacker und ihre Familie weiss.
Arbeitspapier I
Gertrud Hornacker: Hintergrund.
Gertrud Hornacker, geborene Lang. (21.7.1938), aufgewachsen in Dürnten, Zürcher Oberland. Eltern: Haushaltwarengeschäft: Geschirr, Eisenwaren, Werkzeuge. Wird heute von ihrem Bruder und dessen Frau geführt. Ausbildung als Sekretärin. Versicherungsgesellschaft in Zürich. Dort lernte sie auch den Versicherungskaufmann Rolf Hornacker kennen. Mai 1960 Heirat mit Rolf H. Brachten es zu einem bescheidenen Wohlstand:
a) Viel Arbeit.
b) Erbe der väterlichen Schreinerei (1967)
c) Erbe aus dem Vermögen von G.H.s Eltern, (Anteilmässige Auszahlung des Bruders bei Geschäftsübernahme, 1972)
1968 Bau eines Einfamilienhaus in Bassersdorf, Heimatort von Rolf. Zwei Kinder, ein Mädchen, Rita Susanna. (Mandantin), zwischen 23 und 26 Jahre alt. (geschätzt J.M.) Sohn, Hans Thomas. (Alter ?)
1984, kurz vor dem fünfzigsten Geburtstag, Tod Rolf Hornackers (Herzinfarkt).
Gertrud allein in Einfamilienhaus (Schatzacker in Bassersdorf). Zahlreiche Reisen in fremde Länder: Amerika, Kenia, Ceylon, Capri, Sizilien, Madeira, Sardinien, Korsika, ... (pflegte sich auf ihre Reisen gründlich vorzubereiten)
Frühling 1986 erste Reise nach Lamu. In der Adventszeit des gleichen Jahres zweite Reise nach Lamu.
März 1987 offizielles Reiseziel Sizilien.
August/September 1987 angeblich (Verdacht der Tochter) auf einer Kreuzfahrt.
Oktober 1987 Lamu.
November 1987 Verkauf des Hauses in Bassersdorf, Protest der Kinder, den Gertrud aber nicht berücksichtigt. Die Kinder sind finanziell unabhängig.
Januar 1988 Übersiedlung nach Lamu.
Mettler weiss, dass man ihn für einen pingeligen Bürokraten hält, aber: Saubere Papiere, Ordnung, Disziplin und gewissenhafte Recherchen, das sind die Qualitäten, die ein Detektiv braucht. Das bisschen Genie – Phantasie und Kombinationsgabe – spielt kaum eine Rolle. Vielleicht noch: Fragen muss man können.
Es ist nur Mettlers Pflichtbewusstsein zuzuschreiben, dass er sich nach dem Frühstück, trotz seines miesen Zustands – er erbrach das Tässchen Tee, kaum war er in seinem Zimmer oben – an den Strand aufmacht, um nach Frau Hornacker auszuschauen. Und weil er hofft, Gertrud vielleicht schon auf dem Weg nach Shela zu finden, sich andrerseits nicht getraut, seinen gereizten Magen dem Schaukeln eines Bootes auszusetzen, entschliesst er sich, die paar Kilometer den Strand entlang zu Fuss zu gehen.
Der Chef der Kriminalpolizei, Tetu, versucht schon das dritte Mal, die Schweizer Botschaft in Nairobi anzurufen, um sie über den Tod Gertrud Hornackers zu informieren. Aber entweder ist die Linie nach Nairobi überlastet, oder diese Schweizer sind derart beschäftigt, dass es unmöglich ist, jemanden an den Apparat zu bekommen. Doch Tetu, der sich für heute diesen Anruf vorgenommen hat, nicht mehr, aber auch nicht weniger, wählt immer wieder eine der Botschaftsnummern, immer wieder erfolglos. Schliesslich wirft er ärgerlich den Hörer in die Gabel, nimmt mit beiden Händen den ganzen Apparat und knallt ihn mehrmals auf die Tischplatte. Und, oh Wunder, der nächste Versuch: «Schweizer Botschaft, Hänslin?» stellt die Verbindung her.
In knappen Worten schildert Tetu die gestrigen Vorfälle, wohlwissend, dass die Vorzimmerdame ihn, nachdem sie ihre Neugier befriedigt hat, mit dem Konsul oder gar dem Botschafter verbinden wird, und er dort seine Geschichte noch einmal von vorne beginnen muss.
«Ertrunken, sagen Sie?»
«Ja, ertrunken.»
«Aber, wie ist das möglich? – Wissen Sie, ich kenne Lamu gut, ach es ist wunderschön, diese Ruhe und die Leute. Der Strand ist doch völlig ungefährlich, ich kann mir gar nicht vorstellen ...»
«Gertrud Hornacker heisst die Frau. Wenn Sie dann bitte die Familie der Frau informieren möchten.»
«Hohlacker, nie gehört. Sind Sie sicher, dass es sich um eine Schweizerin handelt?»
«Ja.»
«Und lebt in Lamu?»
«Ja.»
«Dann muss ich Sie mit dem Konsul verbinden, aber der ist nicht da und ...»
«Warum geben Sie die Meldung nicht einfach weiter?»
«Ja, sicher, natürlich werde ich das. Aber der Konsul wird bestimmt Fragen haben. Kann er Sie denn zurückrufen?»
Ein sinnloser Anruf, Tetu wusste es. Irgendwann heute Nachmittag, vielleicht schon früher, vielleicht aber auch erst morgen, wird sich die leicht blasierte Stimme eines Herrn der Schweizer Botschaft nach den näheren Umständen erkundigen, und er wird sich einen Vortrag anhören müssen, was jetzt alles zu machen sei. Man wird sich höflich voneinander verabschieden, höflich sind die Leute, aber ohne jede Achtung, und so werden sowohl er als auch der Konsul nichts anderes denken als: «Ein mühsamer Kerl.»
Tetu versteht die Weissen nicht. Auch nach Uhuru, der Unabhängigkeit Kenias, immer strahlen diese Leute eine Art von Überlegenheit aus, als ob sie nach wie vor die Herren hier im Lande wären. Selbst in den unmöglichsten Situationen, für die sich seine Landsleute schämen würden, schauen sie einem frech ins Gesicht und sagen die Wahrheit, ob man sich dafür interessiert oder nicht. Ungehobelte Leute, ohne jeden Anstand. Tetu geht ihnen aus dem Weg. Er kann nicht verstehen, wie sich Kollegen von den Leuten grinsend ein paar Scheine zustecken lassen, sich auf eine Kumpanei einlassen als seien sie Freunde, wo doch jedermann sehen kann, mit welcher Arroganz und Missachtung die Fremden ihr Geld an sie abgeben. Das ist nicht die Folge eines Handels, sondern Erniedrigung eines armen Habenichts, den man sich mit einer Banknote vom Leibe hält.
Sonnenöle sind Mettler ein Gräuel. Er kauft sich einen Kikoi, ein Baumwolltuch und einen Sonnenhut. Das Tuch legt er über den Kopf und presst es mit dem Hut fest, so dass es seine Arme und seinen Nacken bedeckt, ein besserer Schutz als alle Sonnenöle, Faktor zwölf, oder was auch immer angegeben wird.
Es ist kurz nach elf Uhr. Den ganzen Morgen hatte die Sonne Zeit, den Sandstrand zwischen Lamu und Shela aufzuheizen. Jetzt, kurz bevor die Flut wieder einsetzt, scheint die Natur den Atem anzuhalten. Kein Lüftchen regt sich.