Название | Rafiki Beach Hotel |
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Автор произведения | Peter Höner |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783038551126 |
Neben Mettler hat ein deutsches Ehepaar Platz genommen, beide um die Vierzig, schlanke Leute, die – ihr Kind zwischen sich – einander leise die Speisekarte vorlesen. Ihre Kommentare lassen Mettler vermuten, dass ihnen die fremden Gerichte nicht geheuer sind. Einerseits weil sie die phantasievollen Bezeichnungen nicht verstehen, andrerseits weil sie unter den vielen Fischgerichten kaum etwas entdecken, das ihren Essgewohnheiten, vor allem im Hinblick auf das Essen für das Kind, entspricht. In der Mitte des Raumes haben sich zwei Paare niedergelassen, die sich in Englisch, das aber nicht ihre Muttersprache zu sein scheint, erzählen, was sie bereits alles gesehen und erlebt haben, nicht nur hier in Lamu, sondern in Kenia überhaupt. Sie scheinen sich gegenseitig beweisen zu wollen, wer von ihnen das Land besser kennt. Offenbar leben sie schon ziemlich lange hier, was eine der Frauen dazu veranlasst, fast ein bisschen theatralisch, auszurufen: «Wir sind doch unerwünscht!»
Eine Bemerkung, von der Mettler nicht genau weiss, ob sie ganz allgemein zu verstehen ist, oder sich auf die lange Wartezeit bezieht. Aus einer der entfernteren Ecken schallt fröhliches Gelächter, laut und störend, offensichtlich glaubt jemand, vielleicht ein Reiseleiter, er müsste die Wartezeit für die ihm anvertrauten Touristen mit Anekdoten überbrücken. Mettler, der die Geschichten nicht versteht, den nur das salvenartige Gelächter immer wieder von seiner Lektüre aufschauen lässt, schüttelt halb verärgert, halb belustigt den Kopf: «Immer diese Italiener.»
In die gegenüberliegende Ecke gequetscht, hocken zwei Männer, ein dicker Koloss, der Mettler den Rücken zukehrt und ein blasser, schnauzbärtiger Mann, der trotz seiner grauen Haare, noch ziemlich jung aussieht und den Mettler für einen Architekten oder Entwicklungshelfer hält. Der Mann erwidert Mettlers Gesten mit einem zustimmenden Schmunzeln, was den Koloss, mit dem er in ein Gespräch vertieft ist, dazu veranlasst, sich ebenfalls nach Mettler umzudrehen und diesem, ohne zu wissen warum, freundlich zuzunicken. Mettlers Aktenbündel enthält neben der Beschreibung seines Auftrags, einem Lebenslauf der verwitweten Gertrud Hornacker, geborenen Lang, ein paar Fotografien Gertruds, einer Karte Kenias und einem halben Dutzend Quittungen und Notizen, vor allem einen leeren Schreibblock. Mehr aus Langeweile, denn aus wirklichem Interesse liest Mettler in seinen Notizen: «Unattraktive Frau zwischen fünfundzwanzig und dreissig, verheiratet, kinderlos. Auf G.H. eifersüchtig. (Warum?) Erbverzichtsvertrag, Wunsch des Vaters, nicht unterzeichnet. ... Über Tochter von G.H.»
Seinen Auftrag hat er ebenfalls auf einem Zettel festgehalten: «Gertrud Hornacker, die vor einem Monat nach Lamu reiste, allerdings nicht zum ersten Mal, nachfliegen, um die etwas über fünfzigjährige Witwe zu beobachten, die von ihren Kindern, vor allem der Tochter, verdächtigt wird, das Familienvermögen in leichtfertiger Weise zu verschleudern.»
Auf einem weiteren Papierschnitzel hat er sich den Verdacht der Tochter aufgeschrieben: «Die Mutter hat in Lamu einen Liebhaber.»
Mettler erinnert sich nur sehr ungern an das Gespräch mit der Tochter: «...und dass das klar ist, Diskretion. Diskretion. Nie darf ‹Mam› erfahren, dass wir ihr einen Privatdetektiv ... um Gottes Willen! Ein Skandal ...»
Ein Kellner führt einen weiteren Gast herein und bittet ihn, nicht ohne Mettler zu fragen, sich an dessen Tisch zu setzen. Leider zeigt es sich sehr schnell, dass der ältere Herr, der sich als Raffaele Di Polluzzi vorstellt, ein Schwätzer ist, und Schwätzern ist der wortkarge Mettler mehr oder weniger hilflos ausgeliefert.
Nachdem Di Polluzzi erst einmal sämtliche Menüs der Speisekarte laut durchgelesen hat, beginnt er das Kind am Nachbartisch zu necken. Er treibt Faxen, die die Kleine, oder ist es ein Junge, zum Lachen bringen sollen, schreit «Uhuu» und «Cucù», was das Kind verunsichert, so dass es zu weinen beginnt, ein Umstand, der den Eltern peinlich ist. Sie bemühen sich, die Grimassen Polluzzis lustig zu finden, in der Hoffnung, ihre gespielte Heiterkeit werde das Kind beruhigen, worauf das Kind laut zu schreien anfängt, bis die Mutter schliesslich entschieden aufsteht, das Kind vom Stuhl zerrt und mit ihm hinausgeht, nicht ohne eine wütende Bemerkung zu ihrem Mann zu machen, der sich immer noch darum bemüht, über Polluzzis Scherze zu lachen und sich jetzt von Polluzzi in ein stupides, halb auf Deutsch, halb in Italienisch geführtes Gespräch über Bambini verwickeln lässt, das Polluzzi aber plötzlich abbricht, weil er eine Katze entdeckt, die er nun mit Gesäusel und Geschmatze an den Tisch lockt, ein mageres, hochbeiniges Tier, über dessen Eigenart er Mettler, der verzweifelt in seine Akten starrt, einen Vortrag hält, der schliesslich Ausgangspunkt für eine Beurteilung Lamus wird, das er vor der Unabhängigkeit Kenias schon einmal besucht hat.
«Oh, was war Lamu für ein Kleinod, wie freundlich waren diese Leute. Und heute? Ein stinkendes, korruptes Nest. Schuld sind die Neger aus dem Landesinnern. Kikuyus. Überall machen sie sich breit. Nur weil Kenias erster Präsident ...», und er schlägt die Hände zusammen, «Geschichten, mein Herr! Geschichten!»
Auch während des Essens, das nun endlich serviert wird und das Mettler schmeckt, zu dem er sich ein zweites Bier bestellt, das er allerdings nie erhält, schwatzt Di Polluzzi fast pausenlos. Erst ist das Essen völlig missraten, da alle Gerichte mit Kardamom gewürzt sind.
«Was für eine Barbarenküche!»
Dann meckert er an den Kellnern herum oder belästigt Mettler mit einer abstrusen Geschichte über eine weisse Frau, die ertrunken sei, so werde erzählt, wenn er dies auch nicht glaube, denn die Frau sei eine gute Schwimmerin gewesen, viel wahrscheinlicher sei, dass die Frau mit einem der fürchterlichen Rauschgifte, die einem hier ja bald an jeder Hausecke angeboten würden, vergiftet worden sei.
«Vielleicht hat man sie auch kaltblütig ermordet. Man muss ja nur die Zeitungen lesen. Diese Brutalität. – 5o Frauen und Kinder von Viehdieben massakriert, drei Frauen mit Panga erschlagen, ... Jeden Tag. – Aber was zählt ein Mensch für diese Leute? Nichts. Ein Menschenleben? Nichts»
Als dann auch noch ein alter Mann mehrere Siwas, mit vielen Schnitzereien verzierte Holzhörner, zum Verkauf auf ihrem eh kleinen Tisch ausbreitet, um eines der Hörner an den Mund zu pressen und dem Instrument seltsame Brunstrufe zu entlocken, die er mit merkwürdigen Sprüngen begleitet, weiss sich Mettler, dem die Situation auf den Magen schlägt, nicht mehr zu helfen. Er kauft dem Alten eines seiner Krummhörner ab, bezahlt und verlässt den verdutzten Polluzzi, um, immer noch hungrig und durstig, eine Siwa unter dem Arm, was soll er damit, so schnell als möglich zurück in sein Quartier zu flüchten.
Der Eseltreiber Hamischi Kamani bindet seine Esel fest. Er schätzt die paar Minuten, die er bei seinen Eseln steht, bevor er sich zu seiner Familie legt, die um diese Zeit längst in die wenigen Betten geschlüpft ist. Er denkt über die letzten Tage nach, träumt in die Zukunft oder setzt sich noch zu einem Nachbarn, den er bei seinen Eseln im Schatten des Mangobaumes hocken sieht. Man wechselt ein paar Worte, spricht über die Arbeit, die Familie, Feste oder schweigt, schaut in den afrikanischen Sternenhimmel, lauscht den Geräuschen des nahen Wassers, das an die Kaimauer klatscht oder den Klängen eines Radios, das aus der nahen Stadt durch die Nacht plärrt.
In letzter Zeit jedoch wird er immer öfters von Fragen gequält, die sich nicht verdrängen lassen. Wie lange wohl wird er mit seinen Eseln noch ein Auskommen finden, von dem seine Familie lebt, seine Kinder zur Schule gehen, sie alle genügend Kleider und zu essen haben? Viele Leute sagen, Lamu dürfe sich nicht länger dem Fortschritt verschliessen, es müsse endlich eine Brücke zum Festland gebaut werden. Eine Autofähre! Wenigstens eine Autofähre. Eine Fähre zwischen Lamu und Mokowe. Aber sind die Autos erst einmal da, dauert es nicht lange, bis der Sand, den er und viele andere mit ihren Eseln auf die Bauplätze bringen, mit Lastwagen transportiert wird, ihm und seinen Kollegen bleibt die mühsame Arbeit des Sandschaufelns, wenn nicht auch dafür eine Maschine eingesetzt wird. Zwar wurden alle Vorschläge bis jetzt immer wieder abgewehrt, doch was rund um die Inseln wirklich geschieht, wissen sie alle nicht. Die Annahme des Entwicklungshilfeprojekts