Rafiki Beach Hotel. Peter Höner

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Название Rafiki Beach Hotel
Автор произведения Peter Höner
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783038551126



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der Anblick der braunen Brühe vermuten liess.

      Ein feines Rascheln in den Blättern der Kokospalmen kündigt das Aufkommen eines Windchens an, so dass Mettler sich zu einem Spaziergang durch die Stadt entschliesst. Mettler überlässt sich, da er ohne ein bestimmtes Ziel durch die Gassen schweift, dem Menschenstrom, in dem die wenigen Touristen, einmal von ihren weissen oder oft krebsroten Köpfen abgesehen, nicht weiter auffallen und ihn auch nicht interessieren.

      Die Frauen Lamus flattern in ihren schwarzen Buibuis in die Häuser, die Gassen gehören immer mehr den Männern, die in ihren bodenlangen, weissen Kleidern, ein gesticktes Mützchen auf dem Kopf, vor den Moscheen sitzen, miteinander plaudern oder, echte Muftis, ihre Koransuren vor sich hinplappern. Andere sind mit einer Arbeit beschäftigt. Sie schieben einen Karren durch die engen Gassen, balancieren aufgetürmte Waren durch die Menge oder gehören zu einem der vielen Läden und Handwerksbetriebe, in denen, jetzt, da die Hitze das Tages nachlässt, fleissig gearbeitet wird. Geschickte Schneider fertigen aus bunten Tüchern Hosen und Blusen an, der Duft frischer Samozas vermischt sich mit dem Seifenangebot eines Krämers, Staub und Hobelspäne einer Schreinerei fliegen auf die Strasse, in der die für Lamu typischen Betten, Stühle und Truhen hergestellt werden; vis-à-vis wird Stroh zu Körben und Matten geflochten, und bevor wieder ein Stoff-Tücher-Sisaltaschengeschäft mit Spiegeln und Neonlicht in die Tiefen seiner Räume lockt, kommt vielleicht eine Teestube, ein Buchladen oder ein Kino, von dem man nicht weiss, ob es nicht doch nur ein Coiffeur ist, der mit alten Filmplakate seinen Laden ausschmückt.

      Auf dem Markt rund um die ehemalige Festung durchwühlen Esel die Abfallhaufen, wo Gemüsereste, Fischköpfe, ja ganze Tierkadaver verrotten, was aber niemanden davon abhält, hier Gemüse, Früchte, Fische und Gewürze einzukaufen und sich mit Miraa oder Betel, den beliebtesten Drogen einzudecken, die trotz des staatlichen Verbotes überall und ohne Scheu gekaut werden.

      Hinter dem Markt, immer weiter der Hauptgasse entlang, beginnt das Gewirr von Läden und Werkstätten, Moscheen und Teestuben erneut und endet erst kurz vor dem Elektrizitätswerk, einer schmierigen und lärmigen Generatorstation, wo sich die Hauptstrasse in viele Gässchen gleichsam ausfranst, wie überhaupt die alte Stadt von neueren, aber durchwegs ärmeren Quartieren umgeben ist.

      Die Uferstrasse ist um diese Zeit mindestens so belebt wie die Hauptstrasse. Die leichte Brise und der rege Bootsverkehr locken eine Menge Schaulustiger, Müssiggänger und Touristen an, von denen wiederum all jene angezogen werden, die, für den heutigen Abend oder den morgigen Tag, ein Geschäft einzufädeln versuchen. Mettler weicht allen Gesprächen aus und antwortet auf die entsprechenden Eintrittsfloskeln wie «Woher kommst du?», «Wie gefällt dir Lamu?» stereotyp mit «Okay», was immer als Verweigerung verstanden wird, was es auch ist.

      Die einzige, ziemlich wackelige Landungsbrücke, wird von zahlreichen Motorbooten angelaufen, die zum grossen Teil vom Badestrand Shelas kommen und voller Touristen sind, die in die Stadt zurückkehren.

      Auf dem Landungssteg balanciert ein Mann mit einem riesigen Sombrero, einer für Lamu aussergewöhnlichen Kopfbedeckung. Mettler hält den Burschen, der die Ankommenden wie alte Bekannte begrüsst und immer wieder versucht, ihnen etwas zu verkaufen, das er in einer grossen Kühltasche aufbewahrt, für einen Eisverkäufer, der sich, seiner Meinung nach, allerdings einen denkbar ungünstigen Platz für sein Geschäft ausgesucht hat, denn wer kauft auf einem Bootssteg ein Eis, solange er damit beschäftigt ist, das Boot zu verlassen und das sichere Ufer zu erreichen? Aber ohne dass sich Mettler erklären kann warum, empfindet er so etwas wie Sympathie, vielleicht ist es auch Mitleid, für den Burschen, so dass er «Sombrero» ans Ufer winkt und ihm, da es sich tatsächlich um einen Eisverkäufer handelt, eine Plastiktüte mit gefärbtem Zuckerwassereis abkauft. Aus purer Höflichkeit und nur um den Burschen nicht zu verletzen, der ihn ein paar Schritte begleitet und in einer Weise mustert, die ihm unangenehm und peinlich ist, lutscht er das Zuckereis, wenigstens zur Hälfte, auf.

      Die Polizeibeamten, die die Leiche der ertrunken Weissen quer durch die Stadt zum alten Spital brachten, werden dort nicht gern gesehen. Der Chefarzt, der von Tetu informiert wurde, versuchte, die Annahme zu verweigern. Aus Platzgründen. Schliesslich musste er aber einsehen, dass die Tote nicht irgendwo untergebracht werden kann, dass er ebenfalls dazu verpflichtet ist, die Todesursache festzustellen und den Tod der Frau zu bescheinigen. Etwas, das er unter normalen Umständen widerstandslos getan hätte, aber, wegen der herrschenden Verhältnisse, immer dazu benutzt, auf den katastrophalen Zustand des Spitals hinzuweisen, vor allem auf die Tatsache, dass der Spitalneubau, obwohl schon lange fertig, nicht bezogen werden kann. Er lässt die Beamten mit der Leiche warten,

      «Tote haben Zeit, meine Kranken nicht»,

      um erst kurz vor Feierabend zu schreien: «Die ertrunkene Frau Hornacker in den Operationssaal!»

      ein Zynismus, der die biederen Beamten beleidigt, sie wissen nicht warum, aber trotzdem, handelt es sich doch um «ihre» Leiche, der man nicht mit der notwendigen Hochachtung begegnet. Tatsächlich trifft es aber zu, dass der Operationssaal der einzige, freie Raum ist, der, vorübergehend, als letzte Ruhestatt für eine Leiche dienen kann.

      Der Eisverkäufer Ali Maiwa, von den Touristen wegen seines grossen Strohhutes «der Mexikaner» oder «Sombrero» genannt, betritt, kurz vor Dunkelheit, seine Hütte am Rand der Stadt. Er hängt seinen Hut an den dafür vorgesehenen Nagel über seiner Schlafstelle, schiebt seine Kühltasche, ohne die restlichen Eisbeutel herauszunehmen, in eine Ecke und zieht sich aus. Die aufgetauten Beutel wird er morgen in die Tiefkühltruhe eines Freundes legen und seine Tasche mit frisch gefrorenen füllen, um sie übermorgen, wenn sie wieder gefroren sind, wieder gegen aufgetaute einzutauschen. Ein Vorgehen, das nicht ausschliesst, dass immer wieder dieselben Beutel auftauen, wieder gefroren werden, auftauen, was aber dem wässrigen Inhalt kaum schaden kann. Nachdem Maiwa die wenigen Münzen und Scheine, die Tageseinnahmen, aus seinen Kleidern klaubte und, ohne sie zu zählen, in eine verbeulte Zigarrendose warf, zieht er unter seiner Matratze eine Hose und ein Hemd hervor, die ihn in einen smarten, leicht schmierigen Schönling verwandeln, dessen Eleganz an einen Aushilfskellner oder Coiffeurgesellen erinnert, ein Eindruck, der durch eine Halskette und ein Wollmützchen allerdings wieder aufgehoben wird.

      Aus einem schäbigen Schränkchen, das umständlich mit einer Kette und einem Vorhängeschloss gesichert ist, nimmt Maiwa ein Päckchen Zigaretten, getrocknete Bananenschalen, ein kleines, in Aluminiumfolie geschlagenes Stück Haschisch und ein paar Betelnüsse. Er legt alles auf ein auf dem Tisch ausgebreitetes Stück einer glattgestrichenen Plastiktüte, und, nachdem er sich vergewissert hat, dass die Türe geschlossen ist, setzt er sich an den Tisch, wo er konzentriert, im schwachen Licht einer Paraffinlampe, mit einem kleinen, scharfen Messer erst einen Teil der Bananenschale in feine Streifchen schneidet, danach den Tabak zweier Zigaretten über den Bananenstreifchen zerkrümelt, ein Stückchen des gepressten Haschischs abbricht und mit dem Messerschaft zerdrückt, schliesslich eine Betelnuss zu Pulver schabt, um abschliessend die Ingredienzen seiner Rauschgifte zu mischen, zu kneten und die Masse, in die er auch mehrmals hinein gespuckt hat, zu kleinen, marmelgrossen Bällchen zu formen, die er, alle einzeln, in kleine Fetzchen Aluminiumfolie gewickelt, in den Taschen seiner Hose verschwinden lässt. Nachdem er alles, was noch auf dem Tisch liegt, wieder sorgfältig ins Schränkchen zurückgeräumt hat, das er erneut mit dem Vorhängeschloss sichert, löscht er die Lampe und verlässt seine Hütte.

      Am Haus seiner Mutter vorbeischlendernd, erreicht er die abendlich belebte Hauptgasse, wo er sich unter die Leute mischt, um unauffällig nach möglichen Käufern für seine Kügelchen zu schauen. Seine Verkaufstaktik ist einfach. Nachdem er sich für einen Kunden entschieden hat, verwickelt er ihn geschickt und liebenswürdig in ein Gespräch, um ihm, hat er ihn erst einmal an der Angel, mit seinem Angebot zu überraschen, das dieser, ohne ihn zu beleidigen, kaum noch auszuschlagen wagt.

      Nach ein paar missglückten Versuchen setzt sich Ali zu seinen Freunden in einer Teestube.

      «Es heisst: Lady Gertrud sei ertrunken, die Sugarmama von‹Jambo›. Gestern Nacht. Der alte Kamani hat die Leiche gefunden, heute Morgen, am Strand, als er mit seinen Eseln draussen war. – Ich Maiwa, ich glaub das nicht.»

      Mettler sitzt im Restaurant des Hotels «Baobab Inn» und wartet auf sein Nachtessen. Obwohl das Hotel um diese Jahreszeit