Fern von hier. Adelheid Duvanel

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Название Fern von hier
Автор произведения Adelheid Duvanel
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783038552208



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geheimnisvollen Umgangs mit dem Engel des Bildhauers. Er beobachtete das Lächeln, das sie jener Gipsfigur schenkte, und das Nicken und Flügelschla­gen, mit welchen der holde Jüngling sie oft begrüßte, war ihm nicht ­entgangen. Allerdings hatte diese Angelegenheit bei der Scheidung keine Rolle gespielt, da er sich geschämt hätte, seine Eifersucht auf die Statue eines unbedeutenden Künstlers zu verraten.

      Einmal erschien ihm der Engel im Traum, schüttelte die Locken und sprach, Arthur habe richtig vermutet, er sei der Engel, der die Zelte der Menschen bewache, worauf Arthur ihn fragte, ob er auch vor seinem Zelt stehe, doch der Engel erwiderte zungenschnalzend, Arthur besäße kein Zelt, sondern nächtige unter freiem Himmel, auf der nackten Erde, weder von einem Strauch, noch von einer Frau liebkost. Er fuhr wörtlich fort: «Du gleichst einem Apfelkern, der auf einer gefrorenen Schneedecke liegt – ein hungriger Vogel wird dich finden.» Da es nach diesen seltsamen Worten genau sechs Uhr früh war und der Wecker schrillte, löste sich der Engel in nichts auf.

      Es wurde dunkel. Der Nachmittagshimmel zog sich mit seiner Sonne wie ein Trompeter mit seinem Instrument zurück. Die Stimmen einiger Kinder, die noch immer draußen spielten, liefen wie das Schreien von Affen und Vögeln zusammen. Die Lampen spannten Lichtbänder über die Wege. Eine Katze strich vorbei, und Arthur fiel ein, dass Martha Tiere geliebt hatte. Sie brachte ein fettes Meerschwein in die Ehe, das sie «Onkel Andreas» nannte, und eine tote Grille in einem kleinen, selbstgezimmerten Sarg, die Glück bringen sollte. Arthur aß gerne Hasenbraten oder Geflügel, doch weiter reichte sein Interesse für Tiere nicht; es hatte ihn geekelt, wenn seine Frau Onkel Andreas’ Nase geküsst hatte, und die Stimme besagten Onkels war ihm unangenehm gewesen. Auch den Sarg mit der toten Grille auf dem Nachttisch hatte er nicht geliebt.

      Arthur beobachtete Cäcilia, die in ihrer Wohnung ans geöffnete Fenster trat. Er dachte, dass ihr gewiss schwindlig sei, dass sie in einem Nebel lebe, ungeliebt, ihrer selbst überdrüssig, doch jetzt würde sie als Schatten zu ihm durch die Luft schwimmen und unter seiner Liebe aufleuchten. Er zit­terte, während er seine Finger wie dünne, schwarze Äste über das Gesims streckte, um Cäcilia aufzufangen. Ihre Brillengläser funkelten, und Arthur beobachtete argwöhnisch das Erröten des Engels, das nicht zu übersehen war. Eine Frau, die himmlische Erscheinungen hatte, ging vorbei. Arthur grüßte sie nie, da sein Verstand sich bei ihrem Anblick wie das Gefieder eines fröstelnden Vogels sträubte, doch nun fühlte er das Bedürfnis, mit ihr zu sprechen, hielt jedoch nach dem ersten Wort inne, als er sah, dass Cäcilia und der Engel durch die Luft schwebten, um eine himmlische Erscheinung vorzutäuschen, doch die Frau ließ sich nicht irreführen, sondern schüttelte den Kopf, verdeckte ihr Gesicht und entfloh. Da Cäcilia wohl zu allerlei gespenstischem Schabernack aufgelegt, jedoch ein an Leib und Seele gesundes Mädchen war, gelüstete es sie nicht, die Nacht schwebend an der Seite eines Gipsengels zu verbringen, weshalb sie den Beschützer der zeltenden Menschen auf den Balkon zurückgeleitete, sich mit einem Kopfnicken von ihm verabschiedete und durchs Fenster in ihre Wohnung kletterte, wo alsbald das Licht erlosch.

      Arthur erwog, ob Cäcilia auch zu den Menschen gehöre, die kein Zelt besitzen, doch das eben Geschehene schien ihm das Gegenteil zu bestätigen; ihr vertrauter Umgang mit dem Gipsengel ließ befürchten, dass Arthur umsonst hoffte, sie würde eines Tages seine Liebe erwidern. Es erschien ihm natürlich, dass derjenige, der ein Dach über dem Kopf besitzt, einem armen Vagabunden keine Beachtung schenkt. Glich sie nicht dem Vogel, von dem der Engel prophezeit hatte, er würde Arthur wie einen Apfelkern aufpicken? Traurig wandte er sich vom Fenster ab, schlüpfte im Dunkeln aus seinen Kleidern und ging zu Bett. Der Schlaf schlich herbei und legte sich so sanft neben ihn, wie keine Frau es tut.

      Tag im Wind

      Das Fenster trägt durchsichtige Unterkleider und warme Übergewänder, der Wind aber ist nackt, der sich gegen das Fenster presst, die Scheiben ganz aufstößt und in die Vorhänge fährt, so dass sie davonflattern wollen. Auch die Wolken bauschen sich: Über die braune Haut des Flusses zittern Kälteschauer, und er zieht sich zusammen wie eine kranke Schlange. Der Tag ist in der Frühe stehengeblieben; es wird nicht hell. In meinem Schlafzimmer brennt Licht. Ich bin aufgestanden, habe ein wollenes Tuch über mich geworfen, sitze still auf meinem Stuhl und stelle mir vor, ich sei ein Riesenschaf. Später ziehe ich mich an und gehe in die Stadt. Ich sehe ein Kind; es überquert eine Straße und hält mit beiden Händen den Schleier seines Haares zurück, den der Wind über sein Gesicht werfen will; mit weichen Lippen lächelt es in den Aufruhr, in die wippende, sich drehende Welt. Und dann sehe ich Johannes; sein Haar wird rundum geschleudert, seine Augen stecken wie zwei nasse Muscheln im sandhellen Gesicht; er winkt mit gespreizten Fingern und tritt vor mir her durch eine Tür in ein Restaurant; wir setzen uns an einen Tisch. «Wie siehst du nur aus?», sagt Johannes, und ich frage erstaunt, ob ich denn aussähe. Wir schweigen, trinken Wein und betrachten uns; er trägt noch immer den Ring mit dem Löwen, der einen Rubin mit den Lippen hält; ich deute darauf: «Daran sieht man, dass es kein richtiger Löwe ist, nur ein Wappenleu; ein richtiger hielte Fleisch oder mindestens einen Knochen zwischen den Zähnen», erkläre ich. Johannes lacht. In seinen Augen glimmt ein Feuerchen; seine Hand, auf die ich die meine lege, ist heiß. Meine kalte Hand wärmt sich an der seinen; ich spüre den Schlag seines Herzens gegen meine Handfläche – oder ist es mein Herz, das aufgetaut ist und nun im Blut schwimmt, spritzt und stampft? In plötzlichem Schwindel falle ich in diesen Blut- und Weinwirbel; an den Haaren reißt Johannes mich heraus und hält mich hoch in die Luft: «Keine Angst!», ruft er.

      Das unheimliche Geschehen in jener Nacht

      Ich zählte acht Jahre. Die Bäume rührten sich seit einigen Ta­gen nicht mehr und die Stadt war ohne Farbe. Mutter schrieb an Großmutter, die ein Haus über dem See bewohnte; sie wähnte mich dort gut aufgehoben, während sie zu einer Operation ins Spital musste.

      Ich wurde vom Großvater im Auto abgeholt. Er läutete und wartete unten; er war kein Mann, der sich mit überflüssigen Eindrücken oder Gedanken belastete. Er war der Stiefvater meines früh verstorbenen Vaters und liebte Mutter nicht. Ich hatte ihn erst einmal gesehen, erinnerte mich aber nicht an ihn. Mutter schleppte den Koffer die Treppe hinunter und ich folgte. Der Großvater nahm Mutter den Koffer ab und reich­te ihr die Hand, ohne sie anzublicken; er verstaute ihn im Gepäckraum des Wagens und sagte dann, ich solle mich neben ihn setzen. Mutter umarmte und küsste mich. Während der Großvater losfuhr, befahl er «wink», und ich drehte mich um und winkte; Mutters Gesicht war eine kleine Maske. Ich schaute auf die Straße; das Auto schien sie in sich hineinzusaugen wie ein Staubsauger.

      Bald hatten wir die Stadt verlassen. Der schwarze Himmel blähte sich wie ein Vorhang im Wind, und nun prasselte der Regen aufs trockene Land. Auf den Wiesen bildeten sich schnell gelbbraune Seen, und zu beiden Seiten des Autos spritzte das Wasser meterhoch. Ich wünschte, der immer heftiger fallende Regen möge die Straßenarbeiter in ihren leuchtenden Wettermänteln, die nun langsam rollenden Autos und die Bäume, die sich wie zerzauste Riesenvögel aneinanderschmiegten, mit einem gurgelnden Meer zudecken, dann schlief ich ein.

      Als ich die Augen öffnete, sah ich durchs Wagenfenster das Gesicht eines Clowns mit runden Augen und einem elastischen Mund. Der Großvater öffnete die Autotür und sagte, dies sei die Großmutter. Der Clown zog mich an sich; er überragte mich nur um wenige Zentimeter. Der Großvater trug den Koffer ins Haus und die Großmutter schob mich hinter einen weißen Tisch, der in einem bunten Garten stand: Brot, Konfitüre, Käse, Milch, Kaffee und Butter türmten sich vor mir, aber ich konnte nicht essen.

      Als ich im Bett lag, brachte die Großmutter Bilderbücher und ich betrachtete die Titelbilder, dann zog ich die Beine an und glaubte, im Auto bergab zu rollen in ein mit Wasser gefülltes Tal; tote Tiere und Männer in grellgelben Regenmän­teln trieben auf dem Rücken vorbei und Autos, die die Räder in die Luft streckten. Sie wurden für einen Zirkus am Ende des Tales gebraucht; es war ein Wasserzirkus. Ich verstand nicht, was die Großmutter immer wieder rief, doch ich wusste, dass es der Name des Zirkus war.

      Weiße Blumen betupften mit ihren Köpfen die Fensterscheibe; sie hoben sich ab von einer Mauer, vor welcher der Großvater stand und mit einer Gießkanne Wasser schüttete. Der Himmel bestand aus schleimigen Wolken, und Kälte strömte zum halb geöffneten Fenster herein. Ich lag still und betrachtete die sich senkende Türfalle;