Название | Fern von hier |
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Автор произведения | Adelheid Duvanel |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783038552208 |
Ihre Ehen waren für sie beklemmende Träume, die sie vergessen hatte. Sie hatte nie geliebt; für den fremd bleibenden Legionär, den Vater ihres Kindes, hatte sie eine etwas verrückte Leidenschaft empfunden, die erst nach seinem Verschwinden – dann aber schnell – erloschen war, was sie enttäuscht hatte; sie hatte erwartet, sie würde des Nachts leidend seinen Namen flüstern. (Nur in jener Nacht, als der Gatte das Weite gesucht hatte, hatte sie, obwohl sie von dem skandalösen Ereignis noch nichts wissen konnte, im Traum seine Fotografie vom Nachttisch heruntergeschlagen und das Glas zertrümmert.) Der nach Hausfrauenart pedantische Engländer samt Tabakpfeife und tantenhafter Furcht vor Katzen war ihr nur lästig gewesen. Deshalb bestürzte sie die Liebe zu ihrer Tochter; sie hatte in ihrem Leben nie Angst gekannt, nur Ekel und Widerwillen und Gleichgültigkeit und eine Trauer, die sie – wie einen großen, dunklen, fernen Falter – mit Dankbarkeit bewunderte. Nun hatte sie Angst um sich und um ihr Kind; sie fürchtete, sich selber oder das Kind zu verlieren.
Es war Abend. Das Töchterlein, das nach Veras Mutter Saskia getauft worden war, lag auf seiner Matratze in der hintern Ecke des einzigen Raumes, dort, wo helle und dunkle Wolken wie gute und böse Engel hinter dem Fenster vorbeiflogen; Hand in Hand oder Rücken an Rücken. Das Fenster hatte ein Stück des Ölbaumes abgeschnitten und eingerahmt. Saskias dunkle Lippen besaßen einen zarten, lilafarbenen Glanz wie die Lippen von Mulatten und öffneten sich leicht im Schlaf, die Wimpern glichen feinen, samtbraunen Blumenblättern. Scheu betrachtete Vera die nun vollendete Zeichnung, die das Mädchen selber an der Wand neben dem Fenster befestigt hatte, und mit einer seltsamen, schmerzlichen Freude erkannte sie, dass sie darauf die Farben, die sie soeben so eigenartig glücklich gestimmt hatten, wiederfand; als ob das Kind, fasziniert von seiner äußeren Erscheinung, versucht hätte, sie dem Papier mit den knapp erzählten Wahrheiten aufzuprägen: Braun und lila waren die beiden Sonnen, und lila und braun war die mächtige Prinzessin, der nun langes, starkes Haar zum Kopf herauswuchs wie ein Gewirr von Seilen. Nur der Zwerg war weiß geblieben, durchsichtig; er schien unter der Last der Farben über ihm zusammenzubrechen. Plötzlich glaubte Vera, in ihm sich selber und in der aufgeblähten Prinzessin, die wie ein mit zwei strahlenden Kronen versehenes Untier in der Mitte thronte, ihre Tochter zu erkennen – oder war es Martha, die hier Atem holte, um ihr ein letztes Mal Widerwärtiges ins Ohr zu zischeln? Ekel würgte sie, wie sie ihn, seit sie hier einsam wohnte – umgeben von sauberem Sand, roten Felsen, glänzendem Wasser und einem Himmel, der so reinlich war wie das geplättelte Badezimmer ihrer verstorbenen Mutter – nicht mehr gekannt hatte. Dann aber sah sie ihre Tochter im Traum lächeln; sie beugte das Knie und küsste das Kind auf die von der Sonne verbrannte Wange, auf welcher ein wenig Sand klebte.
Der Engel
Arthur war keineswegs gedankenfaul, und er bildete sich weiter, indem er Kurse besuchte, die ihm gewandte Umgangsformen, Kochen, Fotografieren und Stenografie beibrachten. Er bemühte sich, den menschlichen Kontakt zu pflegen, doch wo er sich auch in die unsichtbaren Zelte einschleichen wollte, in welchen er die andern einzeln oder in Gruppen vermutete – stets stand ein Engel davor und verwehrte ihm den Eingang mit der Geste eines Coiffeurs, der es bedauert, keine weitere Kundschaft mehr bedienen zu können.
Arthur versuchte sich Bilder zu machen über einige Frauen und Männer und Kinder, die in seiner Straße wohnten, während andere ihm gleichgültig waren. Die Straße hieß Wölkleinstraße und ihre Häuser waren grau und unterschieden sich nicht voneinander. Auf einem Balkon stand ein Engel aus Gips, der ein niedliches Doppelkinn hatte und schon erwähnt wurde – vielleicht in einem etwas unverständlichen Zusammenhang; dort wohnte ein Bildhauer. In Gedanken stellte Arthur das Buffet der Leute, das er durchs Fenster sah, ihre Art, sich am Kragen zu zupfen, und ihre Wünsche, die den seinen glichen, zusammen, wie ein Kind sich aus einem Blatt, aus Zündhölzern, aus einem Apfelstiel und aus einem Taschentuch ein Haus baut, in welchem nicht nur seine Puppe wohnt, sondern auch es selbst, seine Freundin, ein Zwerglein aus einem Märchen und der Buchstabe R, den es neulich in der Schule lernte. Zu den Kindern hatte er aber keine Beziehung – er konnte sich kaum an seine Kindheit erinnern; wenn man ihn danach gefragt hätte, hätte er geantwortet: «Ich habe gespielt», doch niemand fragte ihn etwas, niemanden gelüstete es, ihn zu schütteln, wie man es mit einem Getränk in einer Flasche tut, bevor man es braucht. Er arbeitete in einem Büro, wo er jeden Morgen «Beginne!» las, ein Wort, das er auf ein Stück Karton gemalt und an die Wand geheftet hatte, und wo er während der Arbeit hie und da eine Bemerkung über ein Fußballspiel fallenließ. Er besaß keine Laster – selbst das Tragen einer Sonnenbrille bereitete ihm Unlust, da er sich durch sie betrogen fühlte; er liebte die Verdunkelung oder Verschleierung der Welt nicht, sondern fürchtete alles, was die Klarheit beeinträchtigte, oder das, was er für Klarheit hielt. Dass Worte mit der Endung «-ung» ihn mit Schauern des Wohlbehagens durchrieseln durften, war etwas anderes – er sprach sie mit einer wohlklingenden Stimme aus, die verblüffend laut aus seinem winzigen, lippenlosen Mund strömte: «Sitzung», «Verschiebung», «Ordnung». Einmal war ihm aufgefallen, dass die linke Hälfte seines Gesichts stumpf aussah, gewalttätig, furchterregend, während die rechte Hälfte den Ausdruck eines schlafenden Kindes hatte. Diese Entdeckung beunruhigte ihn flüchtig, wie es jemanden erschreckt, wenn er merkt, dass er das Licht anknipst, um besser hören zu können.
Arthur war Grundbuchbeamter, geschieden, und liebte heimlich ein Mädchen, das ebenfalls in der Wölkleinstraße wohnte, ein Stockwerk höher als der Bildhauer, auf dessen Engel es manchmal hinunterblickte. Es hieß Cäcilia, war Krankenpflegerin und glich einem schönen, kräftigen Vogel, der eine Brille trägt. Arthur stellte sich Cäcilia keusch, klavierspielend und stickend vor. Als er sich bei ihr nach einem kranken Bürokollegen erkundigt hatte, den sie im Spital pflegte, bemerkte er, dass sie stockend und ungenau sprach. Ihre Stimme erinnerte ihn an Nebel, genauer gesagt, an eine Fahne, die an einem nebligen Tag von einem Aussichtsturm weht, doch im Tal sieht sie niemand, und wen gelüstet es, einen dunklen Berg zu erklimmen, wenn unten die Sonne scheint?
Eines Abends, als Arthur am offenen Fenster stand, bemerkte er einen Knaben, der über die Straße tänzelte und einem jüngeren Mädchen befahl, Kieselsteine in die Sandalen zu füllen, worauf er dasselbe tat. Anschließend rannte er mit der Kleinen um die Wette, doch entfernte er vorher heimlich seine Steine und wurde Sieger, während die Verliererin mit schmerzerfülltem Gesichtchen um die Hausecke humpelte. Der Himmel schwamm über die Dächer und zwischen den Ästen und Blättern hinter den Häusern und in den Augen der Kinder, die keine Farbe zu haben schienen. Der Knabe hatte einen glänzenden schwarzbraunen Haarwirbel, und seine Bewegungen schienen stets sportliche Übungen zu sein. Die weißen Arme des Mädchens wuchsen wie Raupen aus dem roten Kleidchen und erinnerten Arthur an die Arme seiner Frau Martha. Es war ihm bis zu diesem Augenblick nie geglückt, sich seine Frau, mit welcher er drei Jahre verheiratet gewesen war, genau vorzustellen, sie zu sehen, wie man einen Stuhl sieht; man weiß um seine vier Beine, selbst wenn er das vierte verstecken sollte, und man kennt die Beschaffenheit seiner Lehne, auch wenn ein Kleidungsstück darüberhängt. Marthas Augen waren ruhig und ein wenig drückend gewesen wie eine niedere, weiß getünchte Decke, die dunkler ist als der Boden, auf welchem das Lampenlicht liegt. Wenn er sah, dass ein Feuerlein aus ihren Pupillen sprang oder dass sie den Schritt verlangsamte, ohne ihn wissen zu lassen, weshalb, wurde er wütend und ratlos. Er schrieb in sein Notizbuch: «Sie ist träge, rührselig und eitel», um einen Beweis zu besitzen, dass diese ihre Eigenschaften vorhanden waren, um es immer wieder nachlesen zu können, dass er sie für falsch hielt: Ihr Wille, gut und angenehm zu scheinen, dünkte ihn schlechter als ihr Charakter. Manchmal weinte sie, ohne dass er den Grund für ihre Trauer hätte erraten können, und er war davon überzeugt,