Название | Die Seele im Unterzucker |
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Автор произведения | Mica Scholten |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783991072393 |
Eines Tages wurde mir berichtet, dass ich mit meiner Mutter bald umziehen würde. In eine neue Wohnung in der Nachbarortschaft. Gleich neben dem Kindergarten, in welchem sie als Erzieherin arbeitete. Jedoch ohne meinen Vater. Aber warum? Das verstand ich nicht.
Für mich fühlte es sich am Anfang noch wie ein großes Abenteuer an. Ich erinnere mich bis heute, dass ich einmal quer durch den Kindergarten rannte und allen euphorisch von meinem baldigen Umzug berichtete.
Höchstwahrscheinlich war ich mit 5 Jahren noch zu klein, um eine Scheidung zu verstehen. Plötzlich hatte ich eben zwei Zuhause. Eines bei Mami, bei welcher ich unter der Woche lebte, das andere bei Papi, bei welchem ich von nun an nur noch die Wochenenden verbrachte.
Die neue Wohnung war nicht sonderlich groß und absolut kein Vergleich zu unserer alten Wohnung, in welcher mein Vater noch eine Weile nach unserem Auszug verblieb. Unter anderem, weil sich sein Geschäft direkt darunter befand. Die neue Bleibe, in welche ich gemeinsam mit meiner Mutter umzog, hatte nur zwei Zimmer. Eines für meine Mutter und eines für mich. Es gab noch nicht einmal Türen, nur eine Art Bogen, welcher die beiden Zimmer offen trennte. Daneben eine kleine Küche und ein winziges Bad mit Dusche. Vollkommen ungewohnt für mich, zum damaligen Zeitpunkt kannte ich nur Baden in der Wanne. Diese Wohnung diente fürs Erste nur zur Überbrückung. Meine Mutter plante, so bald wie möglich mit Onkel Beck zusammenzuziehen, sobald sie eine passende Wohnung in dessen Heimatstadt gefunden hätten, welche etwa eine gute Stunde Autofahrt von unserem alten Zuhause entfernt lag. Eine, welche genug Platz für UNS DREI bieten würde. Dachte ich damals zumindest …
Sehr bald erfuhr ich, dass sich mein schon länger andauernder Wunsch nach einem Geschwisterchen in naher Zukunft erfüllen sollte. Meine Mutter erwartete ein weiteres Kind. Allerdings nicht von meinem Vater, wie ich anfänglich dachte, sondern von Onkel Beck. Auch diese Tatsache ging damals weit über meine kindliche Vorstellungskraft. Ich war nach wie vor noch nicht aufgeklärt. Mehrmals fragte ich zur Absicherung, ob mein ungeborenes Geschwisterchen tatsächlich von Onkel Beck war. Und nicht doch ganz zufällig von meinem Vater, wie ich innerlich hoffte Als meine Mutter dies immer wieder bestätigte, glaubte ich es auch irgendwann. In jenem Fall würde es sich um ein Halbgeschwisterchen handeln, welches ich persönlich jedoch niemals so ansah.
Recht bald stellte sich heraus, dass ein Brüderchen unterwegs war. Schon lange vor seiner Geburt malte ich mir in bunten Farben aus, wie wir beide einmal zusammen Nintendo spielen würden und ich ihm eines Tages sämtliche Spiele und Strategien zeigen würde. Ich freute mich darauf, ein großer Bruder zu werden.
Ich kann nicht mehr genau sagen, wann sich der genaue Zeitpunkt bestätigte, dass meine Mutter schwanger war. Jedenfalls warf diese Neuigkeit meinen Vater ziemlich aus der Bahn. Ohnehin hatte ihn die Trennung ziemlich mitgenommen. Seine kleine heile Familienwelt, für die er doch stets alles gegeben hatte, lag in Trümmern. Kurz darauf begann er, regelmäßig Alkohol zu trinken, verfiel in schwere Depressionen und magerte unmittelbar nach der Trennung auch etwas ab. Nachdem er von der Schwangerschaft meiner Mutter erfahren hatte, erlitt er seinen ersten körperlichen Zusammenbruch infolge eines epileptischen Anfalls, welcher durch den nun regelmäßigen Konsum von Alkohol noch bestärkt wurde. Die Kombination Epilepsie und Alkohol ist alles andere als förderlich. Von diesem ersten Zusammenbruch bekam ich als Kind allerdings nichts mit, es wurde mir erst viel später erzählt. Zum besagten Zeitpunkt war ich nicht bei ihm, sondern bei meiner Mutter.
Dass mein Vater nach Feierabend gerne ein oder zwei Gläschen Bier trank, war kein Geheimnis. Das ist auch absolut nichts Verwerfliches, viele Menschen tun dies. Aber nach der Trennung meiner Eltern nahm es wohl Überhand.
Seit mehreren Monaten lebte ich nun mit meiner Mutter in der kleinen Wohnung direkt neben ihrer Arbeitsstätte, dem Kindergarten. Die letzten Monate vor meiner baldigen Einschulung (welche in der Heimatstadt von Onkel Beck im Allgäu geplant war), verbrachte ich nun aufgrund der Trennung in diesem Kindergarten, weil es die damalige Situation handlicher machte. So konnten meine Mutter und ich täglich ganz bequem rüber laufen, es waren nur rund 100 Meter
Ich traf einige Kinder wieder, welche ich aus meinem ersten Kindergartenjahr an diesem Ort bereits kannte. Mit einigen wenigen hatte ich auch zwischenzeitlich Kontakt gehalten bzw. unsere Mütter. Zum damaligen Zeitpunkt, Anfang 1999, gab es noch keine sozialen Messenger wie wir sie heute kennen. Für Menschen, welche damals schon ganz gut in puncto Computer unterwegs waren, gab es zwar Möglichkeiten sich auszutauschen, aber lange noch nicht für Kinder. Noch nicht einmal wirkliche Handys, welche den heutigen Anforderungen nur ansatzweise entsprachen. Kein Vergleich zur heutigen Kindheit. Man verabredete sich noch telefonisch. Als Kinder bezeichneten wir es als „etwas ausmachen“ für den Nachmittag. So verbrachte ich noch ein zusätzliches Jahr im Kindergarten, im Alter zwischen 5 und 6 Jahren.
Ich war sehr gerne dort. Die Tatsache, dass meine Mutter mitunter als meine Erzieherin fungierte, schränkte unser Verhältnis in keinster Weise ein. Auch den anderen Kindern gegenüber wurde ich nicht bevorzugt. Mit den anderen Erzieherinnen verstand ich mich ebenfalls gut.
Sehr gerne denke ich noch heute an die naiven, unbeschwerten Zeiten zurück. An die vielen Stunden auf dem Spielplatz, die St. Martin-Umzüge, die Nikolaus-Besuche, die lustigen Stuhlkreise, Mal- und Bastelarbeiten, einige Aufführungen vor den Eltern und die Besuche in der Turnhalle. Die lustigen Kasperletheater, welche meine Mutter zusammen mit einer Kollegin regelmäßig vor uns Kindern aufführte, habe ich noch heute in sehr guter Erinnerung. Als wir im letzten Jahr den Regenbogenfisch aufführten, war die gesamte Familie anwesend und applaudierte laut, als ich als glitzernder Fisch verkleidet in ein Mikrofon sang.
In diesem Zeitraum kam ich außerdem zum ersten Mal mit dem Thema Tierquälerei in Verbindung, welches mich schon im zarten Alter von 6 Jahren ziemlich mitnahm. Wir saßen zuhause in unserer kleinen Wohnung und im Hintergrund liefen Musikclips, welche meine Mutter damals auf Videokassette aufgezeichnet hatte. Meine Mutter mochte Michael Jackson und plötzlich kam der Videoclip von „Earth Song“. Was mir sofort ins Auge stach, waren die toten, schwer geschändeten Elefanten. Als ich den Delfin sah, welcher mit aller Kraft versuchte, dem Netz zu entfliehen, wurden meine Augen glasig. Als wenige Sekunden später irgendein Drecksack auf eine unschuldige Robbe einschlug, heulte ich aus tiefster Seele. Ich fragte meine Mutter, warum in diesem Video Tiere zu sehen wären, welchen so sehr wehgetan wird und was diese Schlimmes getan hätten um das zu verdienen. Meine Mutter erklärte mir im altersgerechten Schema, dass es viele Menschen gibt, welche Tiere aus Profitgier fangen und töten, um mit ihnen Geld zu verdienen. Dass Robben beispielsweise getötet werden, um aus ihren Pelzen Kleidung zu machen. Ich konnte es nicht fassen. Wie widerlich konnten Menschen nur sein? Das Thema verschwand nie wieder aus meinem Hinterkopf.
Mein Vater ließ sich für sämtliche Wochenenden, welche ich fortan bei ihm verbrachte, nach wie vor immer etwas Großartiges einfallen, um mir eine schöne Zeit zu ermöglichen. Besuche in Freizeitparks und sonstige Ausflugsziele für Familien waren einige schöne Aspekte. Auch Unternehmungen mit dem Stammtisch standen weiterhin auf unserem Programm. Im Herbst gingen wir regelmäßig im Wald Pilze suchen, welche später zuhause zu einem sensationellen Gericht verarbeitet wurden. Mein Vater war stets ein leidenschaftlicher Koch, welcher die köstlichsten Gerichte zauberte.
Das Vergnügen des Pilzesammelns teilte ich ebenfalls mit meinen Großeltern, welche mir noch zusätzliches Wissen über essbare und giftige Pilze entgegenbrachten. In Bezug auf Tiere und Pflanzen kannten sich meine Großeltern ohnehin sehr gut aus. Diese Fähigkeiten nutzten sie außerdem für ihren großen Garten, in welchen sie tagtäglich viele Stunden Arbeit investierten. Gelegentlich half auch ich in Kindertagen dort