Название | Die Seele im Unterzucker |
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Автор произведения | Mica Scholten |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783991072393 |
Manchmal war ich ein Quälgeist. Bekam ich meinen Willen nicht, so nörgelte ich so lange herum, bis des lieben Friedens willen endlich einer nachgab. Somit hatten meine Eltern zwar ihre Ruhe und ihr Gewissen entlastet, allerdings glaube ich heute, dass mir erziehungs- und disziplintechnisch fürs Leben kein allzu großer Gefallen getan wurde. Hätte man mich doch nur ein- oder zweimal länger quengeln lassen. Das mochte zwar damals eventuell etwas nervtötender gewesen sein, aber ich hätte wesentlich früher einen besseren Bezug zu Regeln, Grenzen und Realität gehabt. Das ist jedoch alles andere als vorwurfsvoll gemeint. Es ist nur so ein Grundgedanke, welcher mich gelegentlich beschäftigt.
Im Nachhinein weiß ich, dass man es immer gut mit mir meinte. Außerdem waren meine Eltern ebenfalls beide mit vielerlei eigenen Sorgen beschäftigt, welche sie belasteten. Davon bekam ich in frühen Kindertagen jedoch niemals etwas mit, was ich ihnen bis heute sehr zugute halte. Wenn man sich dagegen viele andere Rabeneltern ansieht, welche in Gegenwart ihrer Kinder brüllen, mit Dingen schmeißen, Gewalt anwenden oder sich mit diversen Rauschmitteln ausklinken. In dieser Hinsicht waren bzw. sind meine Eltern mehr als ein Griff in den Glückstopf.
Der lässige Onkel
Als ich etwa 5 Jahre alt war, nahm ich zur Kenntnis, dass ich fast jedes Wochenende zusammen mit meiner Mutter auf Besuch zu einem guten alten Bekannten, Ernie Beck, fuhr. Etwa eine Stunde Fahrt entfernt von zuhause, inmitten der Berge im Allgäu. Ein Jugendfreund von ihr, mit welchem sie bereits seit ihrem 16. Lebensjahr eine Art On-Off-Beziehung hatte. Das war noch bevor sie meinen Vater kennenlernte, welcher damals in der ehemaligen DDR auf Besuch war. Auch ihr damaliger Freund Ernie Beck immigrierte wie meine Mutter nach der Wende in den Westen. Ich hatte ihn schon öfter mal gesehen, wenn er bei uns zu Festlichkeiten eingeladen war, ihn aber bis dahin niemals als tragende Rolle in unserem Leben wahrgenommen. Für mich war er stets nur der lässige „Onkel Beck“, welcher mir gelegentlich seinen Gameboy zum Spielen auslieh. Aber natürlich ahnte ich als Kind noch nicht, dass ER der baldige Anlass zur Trennung meiner Eltern sein würde.
Dass es damals zwischen meinen Eltern kriselte, davon bekam ich niemals etwas mit. Das Einzige, was mir bewusst auffiel, war, dass meine Mutter gegen Ende des gemeinsamen Zusammenlebens mit meinem Vater vermehrt im Gästezimmer schlief. Hinterfragte ich dies damals überhaupt? Keine Ahnung. Und wenn, so könnte ich mir vorstellen, dass simple Ausreden benutzt wurden, um mich nicht unnötig zu verunsichern. Beispielsweise,,Papi schnarcht“ oder so. Jedenfalls interessierte es mich auch nicht sonderlich. Ich war schon immer viel eher mit mir selbst beschäftigt, als mich um andere Menschen zu kümmern. Selbst dann, wenn sie mir nahe standen. Wird schon seinen Grund gehabt haben.
Meine Mutter erzählte mir im Nachhinein, dass Onkel Beck nur der Anlass zur endgültigen Trennung war, jedoch nicht die Hauptursache. Über die Jahre hatte sich schlichtweg herausgestellt, dass meine Eltern vom Wesen her zu unterschiedlich waren. Dass es sich jemals um die „ganz große Liebe“ beiderseits handelte, bezweifle ich heute. Beide stritten dies im Nachhinein mehrfach ab.
Mein Vater war beispielsweise sehr unternehmungslustig. Beinah jedes Wochenende wollte er etwas Besonderes mit der ganzen Familie unternehmen, um ganz besonders mir als Kind eine große Freude zu bereiten. Was er auf seine Art lieb meinte, war für meine Mutter häufig eine Spur zu viel. Sie wollte auch hin und wieder ihre Ruhe haben und einfach nur gemütlich auf dem Sofa sitzen und Formel 1 schauen.
Ich glaube, dass mein Vater die Beziehung in gewisser Weise aus jener Intension heraus einging, um seiner konservativ und traditionell eingestellten Familie zu gefallen und deren Ansprüchen in Form vom „erfolgreichen Geschäftsmann mit Ehefrau und Kind“ zu entsprechen. So wie es sich in der guten Gesellschaft „eben gehört“.
Bei meiner Mutter war es nach ihren eigenen Angaben wohl anfänglich das „große Los mit dem erfolgreichen Wessi“, wie sie es mir später selbst einmal umschrieb und im Laufe der Zeit dann eben das gewohnte Alltagsmuster, welchem sich die meisten Menschen nach und nach zu fügen lernen. Gezielt geplant war ich laut Erzählungen nicht. Allerdings traf man auch keine Maßnahmen, welche eine Schwangerschaft gänzlich verhindert hätten.
Natürlich verstand ich mit 5 Jahren noch nichts von Treue und sonstigen Vereinbarungen zweier Menschen innerhalb einer Ehe. Ich wusste nur so viel, dass Mami und Papi eben zusammengehörten, ohne irgendwelche Einzelheiten zu kennen. Ich war bis dato auch noch nicht aufgeklärt. Einst fragte ich meinen Vater einmal, wo denn eigentlich die Kinder herkämen. Er meinte damals nur zu mir, wenn sich Mami und Papi zusammen beide ganz fest ein Kind wünschen, dann kommt es irgendwann ganz automatisch in den Bauch der Mami. Aus heiterem Himmel eben, von Gott, dem Storch oder woher auch immer. Ich hinterfragte damals keine weiteren Einzelheiten.
Als ich einige Jahre später (es muss im 1. oder 2. Grundschuljahr gewesen sein) von einem Mitschüler erfuhr, wie Kinder tatsächlich entstehen, so konnte ich das zunächst gar nicht recht glauben. Ich befürchtete, dass mich mein Klassenkamerad verarschen wollte.
Dass meine Mutter und Onkel Beck bereits vor der Ehe meiner Eltern eine Beziehung hatten, war mir damals nie bewusst gewesen. Ab einem gewissen Zeitpunkt war es dann auch völlig normal, dass wir die Wochenenden bei Onkel Beck verbrachten. Wir verstanden uns prima. Ich mochte die lässige Atmosphäre. Alles war so locker und unkompliziert. Was mir als Kind ganz besonders viel Spaß machte, waren die gemeinsamen Spieleabende an der geliebten Nintendo 64, von welcher auch Onkel Beck ein Modell besaß. Wir spielten gemeinsam Mario-Kart und lieferten uns stundenlange Kämpfe, indem wir Jagd auf unsere Gegenüber machten, um ihnen im „Battle-Mode“ die Ballons wegzuschießen. Noch heute überkommt mich eine Art nostalgisches Gefühl, wenn ich daran denke, wie viel Spaß wir damals mit dem Spiel in der herrlichen Retro-Grafik hatten. Die heutigen Spiele sind alle so furchtbar hektisch und aufdringlich. Auch wenn die tolle Grafik keinerlei Vergleich mehr darstellt.
Durch Onkel Beck lernte ich auch mein baldiges neues Lieblingsspiel, Tetris, kennen, welches ich fortan nonstop auf seinem Gameboy spielte. Auch die erste Version von Snake auf dem alten Nokia Handy wurde schon bald von mir über Stunden „gesuchtet“, wie man heute so schön sagt. Für Geduldsspiele dieser Art konnte ich mich stundenlang begeistern.
Onkel Beck kannte sich außerdem sehr gut mit Computern aus. Bisher war ich nie großartig damit in Kontakt gekommen, außer gelegentlich im Geschäft meines Vaters, welcher jenen aber nur für Kundenkontakte, Buchführung oder Bestellungen benutzte. Für mich als Kind größtenteils uninteressant. Onkel Beck dagegen spielte an dieser neuen interessanten Entdeckung sämtliche Spiele, welche mich in Kindertagen weitaus mehr faszinierten als Rechnungswesen und Tabellen. Ich schaute Onkel Beck wiederholt bei „Moorhuhn 2“ und „Melker“ über die Schulter und beobachtete ihn dabei, wie er in einem weiteren Retrospiel durch unterirdische Gänge lief, um Gegner abzuknallen. Auch ich durfte mich immer mal wieder daran versuchen. Weiterhin war Onkel Beck in Bildbearbeitung und Fotografie äußerst gewandt. Jenes Hobby begann meine Mutter schon sehr bald mit ihm zu teilen. Gemeinsam gingen sie stundenlang in die freie Natur und machten die schönsten Aufnahmen.
Auch meinem Vater schwärmte ich fortan von den coolen Stunden mit Onkel Beck und meiner Mutter vor. Was diesen im Nachhinein betrachtet sehr verletzt haben muss. Doch so weit dachte ich als Kind noch nicht. Plump und unüberlegt, so wie die meisten Kinder, plapperte ich stets heraus, was ich gerade dachte.
Im Nachhinein kann ich gar nicht wirklich verstehen, warum mein Vater das alles so bedingungslos hinnahm, dass meine Mutter Wochenende für Wochenende mit mir zu Onkel Beck fuhr. Ganz eindeutig in dem Wissen, dass dort zwischen ihnen deutlich mehr lief als nur entspannte Foto-Ausflüge und gemütliche Konsolen-Abende. Was für mich in jungen Jahren nur nach harmlosen Besuchen bei einem lockeren Freund aussah, war tatsächlich das nahende Ende der Ehe meiner Eltern.
Liebte mein Vater meine Mutter nicht genug, um sie zurückzuhalten? Sollte er überhaupt noch Kraft in eine Sache investieren, die doch schon eindeutig gegessen zu sein schien? War er zu weich und gutmütig? Wie tief saßen ihre Differenzen tatsächlich? War es jemals Liebe oder einfach nur ein gescheiterter Versuch, welcher