Geisel des Piraten. Keira Andrews

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Название Geisel des Piraten
Автор произведения Keira Andrews
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783960894810



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verfluchte sich dafür, wie sein erhitzter Körper auf Hawks Nähe reagierte und sich anspannte. Aber da drehte Hawk sich schon wieder um und setzte sich an den Schreibtisch. Er entrollte eine Seekarte und öffnete sein Logbuch, nahm die Feder auf und tauchte sie ins Tintenfass ein. Minutenlang kratzte die Feder über das Papier und Nathaniel stand mit dem Rücken an der Wand, unsicher, was er tun sollte.

      Schließlich ließ er sich wieder zu Boden sinken, und Hawk blinzelte nicht einmal, sondern ignorierte ihn völlig. Als ein Mann mit Wasser und der Essensration für Nathaniel eintrat, schaute er kaum auf.

      Nathaniel entschied, dass er mit dem Essen warten würde, bis Hawk die Kabine wieder verließ. Er zog die Knie an die Brust, hielt seinen Blick auf den Boden und die Holzbohlen gerichtet. Wartete. Und wartete. Und wartete.

      Dann stand er auf und nahm einen Schluck von dem lauwarmen Wasser, dabei beobachtete er Hawk aus den Augenwinkeln. Nichts. Es war, als sei er gar nicht da, und irgendwie fühlte sich Nathaniel dadurch noch niedergeschlagener und verzweifelter, als er es mit Hawks festem Griff um seinen Hals gewesen war. Warum sollte er die Aufmerksamkeit des Schurken wollen, der ihn vielleicht umbringen würde? Nein, natürlich tat er das nicht.

      Nach einiger Zeit kam der Quartiermeister. Er hielt kurz inne, als er Nathaniel entdeckte, als hätte er vergessen, dass sie einen Gefangenen an Bord hatten. Hawk stellte ihm eine Frage und ignorierte weiterhin Nathaniels Anwesenheit. Mr. Snell tat es ihm schließlich nach, als er von Navigationsproblemen und dunklen Wolken in der Ferne sprach. Doch hin und wieder wanderte sein Blick zurück zu Nathaniel und er verlagerte sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen, während er sich auf die Vorderseite des Schreibtischs stützte, hinter dem Hawk immer noch saß.

      Als Snell ging und Hawk weiter in sein Logbuch schrieb, als wäre er allein, wanderten Nathaniels Gedanken weiter und zu seiner zukünftigen Frau. Er kannte die Pflichten eines Ehemannes und würde tun, was er tun musste. Vielleicht konnten Elizabeth und er gute Freunde werden, und irgendwann Kinder zu haben, um die er sich kümmern könnte, wäre nicht unangenehm, ganz und gar nicht. Er hatte kleine Kinder immer sehr gemocht.

      »Träumst du davon, deine hübsche kleine Zukünftige zu vögeln?«

      Er wusste nicht einmal, wie Elizabeth aussah. Sie war nicht mehr als eine Vorstellung, eine vage Ahnung von vollen Röcken und blumigem Parfüm, von einer Dame. Nicht, dass es eine Rolle spielte, denn egal wie schön ihr Gesicht war, sie würde seine unnatürlichen Neigungen nicht ändern können. Er drückte seine klebrige Hand und erschauderte, heiße Scham stieg in seinem Bauch auf. So oft hatte er Mr. Chisholm fragen wollen, was manche Männer zu solchen Scheusalen machte, aber er hatte es nie gewagt. Sein Instinkt hatte ihm gesagt, dass er sich verraten würde, wenn er es täte. Obwohl Mr. Chisholm nie Andeutungen gemacht hatte, hatte sich Nathaniel manchmal gefragt, ob er die Wahrheit ahnte. Aber etwas zu vermuten oder etwas zu wissen waren zwei unterschiedliche Dinge.

      Warum nur war er so geboren? Wurde er dafür bestraft, dass er seine Mutter getötet hatte, um zu leben? Denn er hatte sie getötet, genauso wie es der Pirat Nathaniels Vater vorgeworfen hatte. Es war Nathaniel gewesen, der ihren Leib aufgerissen und ihr den letzten Atemzug geraubt hatte. Er war zu einem halben Mann herangewachsen, aber sein Gehirn war fehlerhaft. Unfähig zu lesen, mit unnatürlichen Begierden.

      Falsch.

      Nathaniel bemerkte, dass Hawks Federkiel nicht mehr über das Papier kratzte. In der Stille wagte er einen Blick und sah, wie Hawk auf seinen frisch geschriebenen Logbucheintrag pustete, damit die Tinte nicht verschmierte. Hatte der Pirat irgendwo eine Frau? Eine Mätresse? Oder er besuchte vielleicht einfach die Bordelle, von denen Nathaniel gehört hatte, dass sie auf den Westindischen Inseln wie Unkraut sprossen.

      »Ich werde dafür sorgen, dass es dir gefällt.«

      Er konnte die Worte nicht aus seinem Kopf verbannen, und er grübelte erneut über die Bedeutung nach. Konnte es wirklich sein, dass der Piratenkönig Nathaniels Neigungen teilte? Natürlich konnten auch Männer auf See sich ihrer Anspannung entledigten und sich dabei gegenseitig zur Hand gehen, zumindest wenn es nach Nathaniels Cousins ging, die das angeblich aus zuverlässiger Quelle wussten. Sie alle hatten beim Gedanken daran geschaudert, während Nathaniel sich so sehr auf die Zunge gebissen hatte, um nicht nach weiteren Details zu fragen, dass sie geblutet hatte.

      Hawk würde wahrscheinlich einfach Freude daran haben, Nathaniel zu quälen, ihn zu kontrollieren, ihn zu bestrafen. Nathaniel hatte seines Wissens nach noch nie einen anderen Mann getroffen, der seine sündige Veranlagung wirklich teilte und einen Mann einer Frau vorzog, statt sich nur aufgrund der Umstände unnatürlichen Verbindungen hinzugeben. Einen Mann, der sich ebenfalls nicht nur nach den Berührungen eines Mannes sehnte, sondern auch nach seinen Küssen und seinem Lächeln, nach einer Beziehung, wie sie eine Ehefrau bieten würde. Nicht, dass das ein Gesprächsthema war, über das bei Abendessen und Gartenpartys gesprochen wurde.

      Scheinbar seine Aufzeichnungen überfliegend, krempelte Hawk abwesend die weiten Ärmel seines schwarzen Hemdes hoch und knöpfte sie am Ellenbogen zu. Schwarze Härchen wuchsen auf der gebräunten Haut, die Unterarme waren kräftig mit seilartigen Muskeln. Doch als er ihn jetzt ohne den ausladenden schwarzen Mantel sah, stellte Nathaniel fest, dass Hawk nicht ganz so groß war, wie er zunächst gedacht hatte. Zwar war er immer noch einen guten Kopf größer als er, aber nicht der Riese, für den er ihn zu Beginn gehalten hatte. Eine weitere Narbe verlief über den Rücken von Hawks rechter Hand, die neben dem Logbuch ruhte, während seine linke den zarten Federkiel mit präziser Genauigkeit in das Tintenfass tauchte. Mit der linken Hand zu schreiben, war angeblich das Erkennungszeichen des Teufels.

      Nathaniel fragte sich, warum ihn das trotzdem so überraschte. Die Vorstellung, dass er wirklich hier war, war der reinste Irrsinn. Hier. Auf einem Piratenschiff. Und dass er nicht in der schrecklichen Hängematte schaukelnd aufwachen und so tun würde, als schliefe er noch, während Susanna den Nachttopf benutzte. Keinen weiteren langen, langweiligen Tag auf dem Handelsschiff verbrachte, wo er weder rennen noch schwimmen oder auch nur klettern konnte.

      »Iss.« Hawk sah ihn nicht an, seine Augen immer noch auf sein Logbuch gerichtet.

      »Ich bin …« Nathaniel verstummte, ohne die Lüge auszusprechen. Er war hungrig. Es war sinnlos, es zu leugnen oder sich zu schwächen, indem er seine Essensrationen zurückwies.

      Gerade hatte er sich einen Löffel voller matschigem Fischeintopf in den Mund geschoben, die zu weichen Kartoffeln hinuntergewürgt und dann schmerzhaft in einen dünnen, steinharten Keks gebissen, als die Schiffsglocke läutete, Hawk die Kabine verließ und hinter sich den Schlüssel umdrehte.

      Nathaniel dachte an Primrose Isle, seinen Vater und an eine standesgemäße junge Dame namens Elizabeth, an ein neues Leben, das in der neuen Kolonie wartete. Ein neues Leben, das ihn noch mehr in die Enge treiben würde, als es ohnehin schon geschehen war. Dann lachte er laut auf. Vielleicht war es vorzuziehen, der Gefangene eines Monsters auf einem Piratenschiff zu sein oder sein Leben hier zu beenden. Irrsinn, in der Tat.

      Kapitel Sechs

      »Wird es mir irgendwann im Laufe des Monats gestattet werden, mich zu reinigen?«

      Hawk schaute nicht auf. Er studierte weiter die vor ihm liegende Karte. »Ja, lass mich schnell die Diener herbeirufen. Im Handumdrehen wird die Wanne mit perfekt temperiertem Wasser gefüllt sein. Mit Lavendel parfümiert. Oder darf es Jasmin sein?«

      Bainbridge räusperte sich aus seiner Ecke heraus. »Ich bin schon eine Woche hier unten.« Seine Stimme nahm einen hoffnungsvollen Unterton an. »Vielleicht könnte ich schwimmen gehen, wenn wir in der Nähe des Ufers vor Anker gehen? Nur ein paar Minuten? Das ist alles, worum ich bitte. Es ist nicht viel.«

      Hawk ließ mit offenkundig falschem Mitgefühl die Zunge schnalzen. »›Wahrlich, ich wurde geboren, um ein Exempel des Unglücks zu sein und eine Zielscheibe, auf die die Pfeile des Gegners gerichtet sind‹.« Er sah den Jungen an, der ihn wiederum verständnislos anstarrte. »Du hast doch sicher Don Quijote gelesen.«

      »Natürlich!«, versicherte sein Gefangener zu schnell und schaute mit geröteten Wangen zu Boden.

      Sonderbar.