Geisel des Piraten. Keira Andrews

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Название Geisel des Piraten
Автор произведения Keira Andrews
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783960894810



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sein könnte. Viel schlimmer.«

      »Ich bin von Piraten entführt worden. Wenn das kein wütendes Geschick ist, weiß ich auch nicht.«

      Da hatte nicht ganz unrecht, und Hawk unterdrückte ein Lächeln, das zu einem Lachen zu werden drohte. »Dein Los könnte weitaus schlimmer sein als der Wunsch nach einem Bad und als die offensichtliche Langeweile, unter der du leidest, obwohl ich dir Dutzende Bücher angeboten habe, um dir die Zeit zu vertreiben. Natürlich könntest du dich auch auf eine andere, eher körperlichere Weise amüsieren.«

      Er musste nicht zu seinem Gefangenen hinübersehen, um zu merken, dass er knallrot angelaufen war. Der Spott hatte den beabsichtigten Effekt und minutenlang herrschte Schweigen. Die unbeabsichtigte Folge dagegen war, dass Bilder des Jungen, wie er sich selbst befriedigte, in Hawks Gedanken auftauchten. Die geschwungenen Lippen, die sich leicht öffneten, um leise Schreie auszustoßen, sein angespannter Schwanz … wie er sich in ein paar Minuten der Unbefangenheit, der Freiheit verlor. Der Junge hatte einen ruhelosen Geist, den Hawk bei Walter Bainbridges Sohn am allerwenigsten erwartet hatte. Obwohl er nach einem Bad gejammert hatte, hatte Hawk eher das Gefühl, dass es ihm darum ging, wieder nach oben an Deck zu kommen, um sich frei bewegen zu können. Er war wie eine zusammengedrückte Sprungfeder, die verzweifelt versuchte, sich zu beherrschen, und doch unaufhörlich hin und her zappelte. Hawk hatte eine viel trägere Kreatur erwartet.

      Und prompt sagte der Junge: »Wenn ich doch nur an Deck gehen könnte, wenn es das nächste Mal regnet. Wie ich den Regen vermisse. Früher bin ich dann stundenlang draußen gewesen, um alles zu erkunden. Und wenn es nur ein paar Minuten wären …«

      »Welche List auch immer du dir ausgedacht hast, vergiss es.«

      »Es ist keine List! Seit Tagen schon ist es bedeckt, und es wird bestimmt bald regnen. Ich möchte nur frische Luft atmen und sauber werden.«

      Die Heckfenster in Hawks Kabine waren zum Schutz gegen den kühlen Seewind geschlossen, und wenn der Bengel sich nicht die Mühe machte, sie von Zeit zu Zeit zu öffnen, dann zum Teufel mit ihm. Ganz offensichtlich war er also einfach faul. »Nein.«

      »Wenn ich so unbrauchbar bin, warum lasst Ihr mich dann nicht da rauf? Was könnte ich denn schon auf einem Schiff voller Piraten ausrichten?«

      »Abgesehen davon, im Weg zu stehen?«

      »Ich sagte, ich würde helfen. Ich bin sicher, ich könnte es lernen.«

      Hawk lachte schroff. »Du weißt wahrscheinlich nicht einmal, wie man einen einfachen Haken an der Leine festknotet.«

      »Ich könnte es lernen«, wiederholte er. »Ich wette, ich kann es.«

      Hawks ohnehin schwelende Gereiztheit flammte erneut auf. »Eine Wette? Na gut, wenn du willst. Stellen wir dich auf die Probe. Du bekommst es einmal gezeigt und du bekommst eine Chance, es selbst zu knoten.«

      Der Junge nickte und sprang eifrig auf die Füße. »Wenn ich gewinne, darf ich die Tage oben an Deck verbringen. Ich werde nicht versuchen zu fliehen, und niemanden verletzen.«

      »Als ob du das könntest. Und, nein. Wenn du gewinnst … Wenn du gewinnst, werden dir ein Eimer Wasser und ein Stück Seife zugestanden.«

      Mit zusammengepressten Lippen nickte der Junge. »Abgemacht.« Er wippte auf und ab. »Los geht's.«

      Hawk ging zurück zu seiner Karte und nahm seinen Zirkel auf. Das kühle Messing erwärmte sich in seiner Hand, während er die Küstenlinie einer Insel westlich von Nassau vermaß. »Wir werden gehen, wenn ich es sage.«

      Während er seine Arbeit fortsetzte, verlagerte der Junge sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen, dann ging er in der Kabine auf und ab. Die Minuten verstrichen. Hawk hätte längst aufhören können, aber er ging zum Bücherregal und holte eine weitere Karte heraus, bevor er sich wieder hinter seinen Schreibtisch setzte und sich über die zunehmend unruhigen Schritte seiner Geisel amüsierte.

      Schließlich bemerkte er: »Ich bin sicher, du bist es gewohnt, alles, was du willst, mit einem Fingerschnippen zu bekommen. Leider wirst du an Bord dieses Schiffes diesbezüglich enttäuscht werden.«

      Der Junge lachte bitter auf. »Ich habe noch nie das bekommen, was ich wirklich wollte. Und das werde ich auch nie.«

      »Oh, und unter welchen armseligen, unerfüllten Sehnsüchten leidest du? Bitte erzähl.«

      Der Bursche schloss den Mund.

      Hawk fuhr fort. »Wenn du etwas über wahre Not erfahren willst: Wir haben im letzten Frühling ein Sklavenschiff befreit. Ein paar der Männer haben sich dafür entschieden, bei uns zu bleiben. Ich bin mir sicher, dass sie zu diesem Thema viel zu sagen haben.«

      Der Junge wurde rot und ließ die Schultern hängen. »Ja. Das haben sie bestimmt. Ihr habt recht.«

      Von der Kapitulation überrascht, starrte Hawk seinen Gefangenen ein paar Augenblicke lang an. Dann ließ er den Zirkel auf den Schreibtisch fallen und umrundete ihn. »Na schön, dann wollen wir dich mal auf die Probe stellen.« Er packte ihn am Arm und schob ihn aus der Kabine und die Leiter zum Hauptdeck hinauf.

      Fragende Blicke der Crew. Snell kam heran und fragte: »Was ist los?«

      Hawk drückte Bainbridge nach unten auf die Knie. »Ich habe eine kleine Wette mit unserem Gefangenen abgeschlossen. Er meint, er kann die Knoten genauso gut binden wie die meisten Männer an Bord.« Die Männer lachten schallend und Hawk spürte, wie angespannt die Schultern des Jungen an der Stelle waren, wo er ihn festhielt. Er konnte sich vorstellen, wie rot seine Wangen waren. »Was meint ihr? Sollen wir diese zarten Hände im Gegenzug für einen Eimer Wasser ihr Können unter Beweis stellen lassen?«

      Inmitten des Jubels und des Gelächters rief eine Stimme: »Ich dachte, Wetten sind auf dem Schiff nicht erlaubt.« Es war Tully. Er war nützlich gewesen, als sie an Bord des Handelsschiffes hatten gelangen wollen, und er hatte auch nicht ganz unrecht. Als jetzt aber einige Männer zu murren begannen, wünschte sich Hawk, Tully würde ab jetzt sein großes Maul halten, bevor er gezwungen war, es ihm für immer zu stopfen.

      Snell antwortete: »Das ist wahr. Aber da wir hier sowieso die Zeit totschlagen, während wir auf unser Lösegeld warten, können wir vielleicht dieses eine Mal eine Ausnahme machen.« Er warf einen Blick auf Hawk. »Vorausgesetzt, die Männer können ihre eigenen Nebenwetten abschließen.«

      »Natürlich. Nur dieses eine Mal.« Snell wusste immer, wie er Frieden unter den Männern wahren konnte, was ihn zu einem hervorragenden Quartiermeister machte. Der Bengel würde sowieso im Handumdrehen scheitern, und die Wetten würden nicht aus dem Ruder laufen. »In Ordnung!«, rief Hawk. »Wir fangen mit einem einfachen Halbschlag an. Mr. Lee, würden Sie es demonstrieren? Der Junge bekommt einen Versuch.«

      Während die Männer sich unterhielten und untereinander ihre Wetten abgaben, wandte der Junge den Kopf über seine Schulter nach oben. »Und wie viele Knoten muss ich hinbekommen, damit ich gewinne?«

      Hawk warf ihm ein wölfisches Grinsen zu. »So viele, wie ich es sage.« Er stieß kräftig mit dem Knie in den Rücken seines Gefangenen. »Na gut, beweis uns, dass wir falsch liegen. Leg das Seil.«

      Und dann … tat er es. Jeder Knoten und jeder Stek, den Lee vormachte, gelang ihm sofort. Achter, Kreuzknoten, sogar der Trompetenknoten. Hawk umrundete ihn und betrachtete die Konzentration auf seinem Gesicht, die rosige Zunge, die manchmal zwischen seinen Lippen hervorlugte, den Blick, den er auf Lees Hände gerichtet hielt, und wie er das lauter werdende Gemurmel der Crew ignorierte, die Lee Vorschläge für immer schwerere Knoten machten, um den Gefangenen zu verwirren. Aber das passierte irgendwie nicht. Das raue Seil rötete seine Finger und Handflächen, aber er zögerte kein einziges Mal, während er Lees Bewegungen nachmachte und ihn ganz genau beobachtete. Schweiß sammelte sich auf seiner Stirn, trotz der kühlen Brise des Tages. Unwillkürlich erwachte Bewunderung in Hawk. Der Bursche war ungebrochen, nicht eingeschüchtert. Ein paar Männer begannen ihn anzufeuern und die Wetten flogen nur so durch die Luft.

      Schließlich, als ihm auch ein Rückspleiß gelang, beendete Hawk es. »Finden wir, dass er seinen Preis verdient