Der Tod - live!. Philipp Propst

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Название Der Tod - live!
Автор произведения Philipp Propst
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783858827401



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est morte?!» Henry zitterte. Er begann zu schluchzen.

      NOTFALLSTATION, UNIVERSITÄTSSPITAL, BASEL

      Die Warterei machte ihn madig. Zwar konnte Joël wegen seiner Verletzung durch das Gummischrot kaum noch etwas sehen, doch die grünen Wände des Eingangsbereichs der Notfallstation irritierten ihn. Zudem konnte er das Gestöhne und Gejammer der anderen Verletzten nicht mehr ertragen. Wer nicht in Lebensgefahr schwebte, musste in diesem grünen Raum warten und konnte darauf hoffen, dass irgendwann sein Name aufgerufen wurde.

      Wie er hierhergekommen war, wusste er nicht mehr genau. Jemand hatte ihn wohl auf der Strasse gefunden und hierhergebracht. Langsam kam er aber wieder zu sich. Er prüfte, ob er seine Fotokamera noch hatte. Ja, sie war da. Das war das Wichtigste.

      Jetzt müssen meine Bilder aber subito in die Redaktion geschickt werden, befahl er sich selbst. Wie spät ist es wohl? Meine Güte, ich verpasse den Redaktionsschluss! Und ich habe kein einziges Foto im Blatt!

      Er stand auf und ging Richtung Ausgang, stiess aber mit jemandem zusammen. Er tappte weiter und lief gegen eine Wand. Jemand fragte ihn, wohin er wolle. Er müsse hinaus, Luft schnappen. Die Person, vermutlich eine Frau, aber da war sich Joël nicht sicher, führte ihn hinaus und sagte, er müsse jemand anderen bitten, ihn zurückzuführen. Joël fragte, ob er oder sie so nett wäre, ihn auf dem Handy mit seinem Chef, Peter Renner, zu verbinden, denn Joël konnte auf dem Display nichts erkennen. Seine Augen waren viel zu stark verschwollen.

      «Alles okay bei dir?», fragte Renner.

      «Ja», log Joël.

      «Wo bist du?»

      «Vor dem Spital.»

      «Warum denn das?»

      «Spielt keine Rolle.»

      «Okay. Du triffst dich jetzt mit Flo und Alex. Die beiden sitzen beim Tinguely-Brunnen und schreiben Texte. Du musst alle Bilder von dir und auch jene von Henry und Sandra auswählen und subito mailen. Wir stehen unter Druck, Redaktionsschluss ist in einer Stunde. Verstanden?»

      «Okay. Warum können Henry und Sandra das nicht …»

      «Sie sind verletzt.»

      «Okay.»

      «Bei dir ist alles klar?», fragte Renner nach. «Du klingst irgendwie komisch.»

      «Nein. Geht schon.»

      «Was zum Teufel ist mit dir?»

      «Nichts. Kommt gut.»

      «Du bist auch verletzt, stimmt’s? Warum sagst du das nicht? Bleib, wo du bist! Wart, bleib am Telefon …»

      Joël hörte wie Renner über eine zweite Leitung mit Alex sprach. Er müsse Joël beim Spital abholen. «Nein, es geht schon, Peter. Gib mir einen Moment!» Renner antwortete nicht. «Ich Idiot», murmelte Joël. «Die schmeissen mich raus. Ich gehe einfach immer zu weit und bekomme auf die Schnauze, das …»

      «Joël?»

      «Ja!»

      «Alex und Henry kommen. Was ist los?»

      «Nichts. Ich habe es einfach vermasselt … ich wollte den Kerl foto… dann … scheisse, ich hab Durst …»

      «Joël!»

      «Ja. Hier. Wer ist am Telefon …»

      «Ich bin es, Renner, die Zecke, Peter!»

      «Kannst mich rausschmeissen, Zecke. Oder Haberer, der Kotzbrocken. Ich kann’s einfach nicht. Ich bin ein mieser Reporter … ein ganz mieser …»

      «Joël, beweg dich nicht von der Stelle! Die beiden werden gleich bei dir sein. Rede jetzt einfach mit mir. Hörst du? Was ist passiert? Erzähle es mir. Ruf um Hilfe!» Peter Renner klang plötzlich sehr weit weg.

      «Joël!»

      «Ich … ich …»

       24. Februar

      JURASTRASSE, LORRAINE-QUARTIER, BERN

      Nach knapp zwei Stunden Schlaf piepste Peter Renners Smartphone. Es war der Weckruf. Renner stellte sich kurz unter die Dusche und trank drei Espressi. Dann machte er sich auf den Weg in die Redaktion.

      Vermutlich war der gestrige Tag der bisher schlimmste seiner ganzen Journalistenkarriere gewesen. Nicht die Ereignisse und die Hektik hatten ihn kaputt gemacht, sondern die Tatsache, dass er von fünf Reportern drei verloren hatte. Hatte er zu viel von ihnen gefordert? Lohnte es sich wirklich, die Gesundheit, ja vielleicht, das Leben aufs Spiel zu setzen für eine Reportage? Übten er, Jonas Haberer und auch Emma Lemmovski, zu viel Druck auf die Mitarbeitenden aus?

      Renner versuchte sein schlechtes Gewissen mit den Tatsachen zu beruhigen. Denn Henry würde sich schnell erholen, er hatte wirklich nur einen Schock erlitten. Joël hatte zugeschwollene Augen und eine Gehirnerschütterung. Das brauchte zwar Zeit, doch Joël würde ziemlich sicher wieder ganz gesund werden. Allerdings war noch eine Untersuchung seiner Augen nötig.

      Sorgen machen musste man sich hingegen um Sandra Bosone. Sie lag mit einem Schädel-Hirn-Trauma im Koma. Es war noch unklar, ob das Trauma ein schweres oder ein mittelschweres war. Deshalb waren auch ihre Heilungschancen noch ungewiss. Mehr hatte Peter Renner gestern Nacht nicht erfahren. Er hatte kurz mit Sandras Mutter telefoniert und ihr von Seite der ganzen Redaktion Unterstützung und Mitgefühl zugesagt. Das hatte Frau Bosone aber nicht beruhigen können. Sie hatte während des Telefonats die ganze Zeit geheult, während ihr Mann am Steuer sass. Bosones waren mit dem Auto von ihrem Wohnort Gockhausen bei Zürich nach Basel unterwegs.

      Reporterin und Politikjournalistin Sandra Bosone gehörte zu jenen Opfern, die in Lebensgefahr schwebten. Davon gab es fünf. Insgesamt wurden bei der Massenpanik auf dem Barfüsserplatz drei Personen getötet, darunter ein Kind. Neben den fünf, die mit dem Tod kämpften, waren dreiundvierzig Personen verletzt worden, davon sechzehn schwer. Einundsiebzig Personen mussten ambulant behandelt werden.

      Ein Terrorakt konnte noch nicht vollständig ausgeschlossen werden – so die aktuellste Medienmitteilung der Basler Staatsanwaltschaft von 23.57 Uhr. Doch bis jetzt deute alles auf eine Panik hin, ausgelöst durch eine Gruppe schwarz-maskierter Personen, die Pyros und Knallkörper abfeuerten. Die Identität dieser Personen sei unbekannt, es würden Zeugen gesucht.

      Peter Renner und das Redaktionsteam von «Aktuell» hatten den Redaktionsschluss überzogen. Das Material der Reporter vor Ort war von solcher Dramatik, dass Chefredaktor Jonas Haberer die ganze Zeitung mit der Basler Katastrophe füllte. Gegen ein Uhr morgens hatte Haberer am Telefon einen fürchterlichen Streit mit dem Druckereichef gehabt. Peter Renner hatte nebst all seiner anderen Arbeit die Verlegerin Emma Lemmovski angerufen, die sich des Druckereichefs annahm und ihm die aussergewöhnliche Situation erklärte. Jedenfalls gab es danach keine Probleme mehr mit dem Druckzentrum.

      Als alles fertig war, wollte Haberer mit Renner unbedingt ein Bier trinken. In Haberers Büro tranken die beiden kurzerhand ein Sixpack. Haberer redete kein einziges Wort über die Story, sondern diskutierte mit Renner, was mit ihren Reportern wohl passiert sei und ob sie beide als Vorgesetzte etwas falsch gemacht hätten.

      «Wir beide sind Haudegen», sinnierte Haberer. «Wir setzen unsere Leute zu fest unter Druck. Wir sind doch bloss Journalisten, es geht doch eigentlich um nichts. Bloss Rock’n’Roll, was, Pescheli?» Renner antwortete nichts darauf. Für ein Mal war er es, der seinem Kollegen auf die Schulter klopfte. Es war aber mehr ein Tätscheln.

      Punkt sieben Uhr stand er vor dem schmucklosen Betongebäude im Wyler, in dem sich die Redaktion befand. Er wollte gerade hineingehen, als ein grosser Wagen hupend auf ihn zuraste und abrupt bremste. Es war ein schwarzer Toyota Land Cruiser V8. Renner kannte diesen Panzer, wie er ihn nannte. Die Scheibe wurde heruntergelassen und Jonas Haberer schrie: «Pescheli, heute machen wir alle fertig, nicht wahr? Heute beweisen wir, dass die Zecke und der Kotzbrocken alle anderen an die Wand spielen können. Ha, das wird ein geiler Tag!» Er hupte, gab Gas und raste Richtung Tiefgarage.

      INNERSTADT, BASEL

      Es