Der Tod - live!. Philipp Propst

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Название Der Tod - live!
Автор произведения Philipp Propst
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783858827401



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Renner ein.

      «Das ist keine Ente. Dieser John Knox …»

      «Fox!»

      «Ist ja egal. Also, dieser Kerl hat uns die gestrige Show auf dem Platz in Basel angekündigt. Wir hatten alles exklusiv. Also, was willst du mehr? Der blufft nicht. Ich sage dir, Pescheli, da ist ein ganz grosses Ding im Gang. Da geht es um eine riesige Sache. Und wir sind mittendrin. Wenn mich dieser Fux kennt, dann von früher, als ich Politjournalist im Bundeshaus war. Der führt etwas im Schilde. Und wir werden herausfinden was. Und wir werden auch herausfinden, wer dieser Kerl ist. So schwierig kann das nicht sein. So viele kommen nicht in Frage. Der Anteil an dummen Nüssen ist unter Politikern extrem hoch. Also wird das für uns kein Problem sein. Und dann machen wir ihn fertig. Dann machen wir ihn und die ganze Organisation, die dahinter steht, kaputt!»

      «Was ist denn mit dir los? Ich bin es normalerweise, der sich so in eine Story verbeisst, Jonas. Ich bin die Zecke. Du bist bloss der Kotzbrocken.»

      «Werde ich auf der Redaktion immer noch so genannt?» Jonas Haberer schaute seinen Stellvertreter plötzlich mit reuigem Hundeblick an. Ein Ausdruck, den Renner erst ein- oder zweimal gesehen hatte. Und dann war immer mindestens eine Frau dabei. Eine mit langen, blonden Haaren …

      «Logisch, du bist ja auch ein Kotzbrocken.»

      «Gut. Das gefällt mir. Ich eröffne gleich ein Facebook-Profil. Jonas Kotzbrocken. Gefällt …»

      «Stopp, stopp, stopp», rief Renner laut und hoffte, einen erneuten Lachanfall seines Chefs zu unterbinden. Aber er hatte keine Chance. Der Dreck wurde durch einen heftigen Schlag von Haberers Beinen auf den Tisch in die Höhe katapultiert und über die ganze Fläche verteilt.

      «Sag mal, Pescheli», sagte Haberer ganz ruhig. «Was spürst du im Urin? Topstory oder Flop?» Peter Renner schloss die Augen.

      «Na? Mach‘s nicht so spannend!»

      Renner, die Zecke, liess sich Zeit. Dann sagte er zögernd: «Top …»

      Haberer prustete los, schlug Renner auf die Schulter und marschierte davon. Klack – klack – klack.

      INTENSIVSTATION, UNIVERSITÄTSSPITAL, BASEL

      Eine Maschine piepte im Rhythmus von Sandras Herzen. Henry Tussot machte dieses Geräusch schier wahnsinnig. Am liebsten hätte er den Apparat aus dem Fenster geworfen.

      Er selbst hatte sich von seinem Schock einigermassen erholt. Sandra durfte er nur besuchen, weil ihre Eltern es ihm erlaubten. Er hatte sich ihnen gegenüber nicht nur als Arbeitskollege, sondern auch als Sandras bester Freund ausgegeben. Und da Sandra ihren Eltern offenbar schon einiges über Henry erzählt hatte, liessen sie ihn zu ihr. Sandra lag im Koma. Wie stark ihre Hirnverletzung war, konnte noch nicht diagnostiziert werden. Sagten jedenfalls die Ärzte. Henry regte sich darüber auf. Aber irgendwie half ihm auch das nicht weiter. Es war einfach elend. Er hielt ihre Hand. Sie war so wunderschön zart. So verletzlich.

      «Mach keinen Scheiss», flüsterte er Sandra zu. «Wir sind Reporter, keine Opfer, hörst du?» Er drückte ihre Hand. «Wir schaffen das! Du bist stark! Wir sind stark!» Er küsste Sandras Hand.

      KRIMINALKOMMISSARIAT, WAAGHOF, BASEL

      Als Kaltbrunner von der Toilette zurückkam und erneut zum Fenster hinausschaute, brach ein lautes «Goppeloni!» aus ihm heraus. «Was ist los?», fragte Giorgio Tamine.

      «Das musst du gesehen haben: Hier wimmelt es von Soldaten der Schweizer Armee!» Tatsächlich marschierten Hunderte von Armeeangehörigen vom Zoo Richtung Innenstadt. «Das kann ja heiter werden», kommentierte Kaltbrunner. «Endlich haben die Deppen etwas Gescheites zu tun.»

      CLARAPLATZ, BASEL

      Ab 13.30 Uhr strömten trotz Fasnachtsverbot Hunderte von Kostümierten in die Innerstadt. Es spielte niemand auf seinem Instrument, nur wenige sprachen miteinander im Flüsterton. Es war ein wunderbarer Sonnentag. Alle trugen einen schwarzen Schal, eine schwarze Mütze oder ein schwarzes Kostüm. Viele hatten Blumen dabei.

      Die Polizei und die Armee beobachteten die Leute. Der Stadtpräsident, die Polizei– und die Armeeführung waren zum Schluss gekommen, den angekündigten Trauerzug zum Barfüsserplatz nicht zu verhindern. Über Facebook und Twitter und über Radio und Fernsehen hatte die Polizei allerdings gebeten, danach sofort wieder nach Hause zu gehen.

      Um 13.45 Uhr formierte sich der Zug am Claraplatz beziehungsweise an der Clarastrasse. Zuvorderst stand die Guggenmusik Negro-Rhygass ein. Danach weitere grosse Guggenmusiken wie die Ohregribler, bei denen normalerweise Olivier Kaltbrunner mittrompetete, die Schränz-Clique, die Schotte-Clique und andere, dahinter die grossen Trommel- und Pfeifervereine wie die Vereinigten Kleinbasler, die Wettstai-Clique oder die Olymper.

      Punkt 14 Uhr pfiff der Major der Negro. Es wurde noch stiller in der Stadt. Ein grossgewachsener Tambour in einem Clownkostüm mit einer Plastiksau auf dem Kopf rief: «Langer Wirbel, vorwärts, Marsch!» Trommelklänge und Paukenschläge hallten durch die Strassen und Gassen. Danach intonierten die Blasmusiker der diversen Guggenmusiken den Gospel-Song «Just a Closer Walk with Thee». Der riesige Zug setzte sich langsam in Bewegung. Schritt für Schritt. Es wurde eine Prozession. Als der Zug am Barfüsserplatz ankam, legten die Fasnächtler ihre Blumen auf die grosse Treppe. Niemand sprach ein Wort.

      REDAKTION AKTUELL, WANKDORF, BERN

      Der Trauerakt in Basel gab für Peter Renner eine schöne, emotionale Reportage ab. Sein Reporter Alex Gaster würde einen ergreifenden Text verfassen, Fotograf Joël Thommen die passenden Bilder dazu liefern. Renner machte sich diesbezüglich keine Sorgen. Leider war noch vor dem Aufschalten der Bilder und Clips von Joël auf «Aktuell»-Online ein Video auf Youtube zu sehen. Gegen diese gigantische Plattform hat niemand eine Chance, sagte sich Renner und ärgerte sich nicht wirklich darüber.

      Was ihn mehr beschäftigte, war der Gesundheitszustand von Sandra Bosone und die Reaktion von Henry Tussot. Renner hatte bis heute nicht gewusst, dass die beiden ein Verhältnis hatten. Allerdings hatten auch alle anderen Journalisten, die Renner gefragt hatte, nichts davon gewusst. Umso mehr erstaunte ihn Henrys Totalausfall. Der etwas dickliche Romand spielte normalerweise gerne den harten Hund und den Charmeur, was bei Frauen meist gut ankam. Allerdings nur für einen Abend. Dass Henry Tussot sich verlieben könnte – das konnte sich eigentlich auf der ganzen Redaktion niemand vorstellen. Henry war doch ein Lebemann, ein Gigolo, ein Dandy.

      Was dem Nachrichtenchef aber am meisten zusetzte, waren die Botschaften aus dem Deep Web. Haberer hatte bereits den Titel kreiert: Terroristen wollen Schweiz ausradieren, Untertitel: «Aktuell»-Exklusiv: Weitere Anschläge geplant! Renner war zwar mit allen journalistischen Wassern gewaschen, doch das machte sogar ihm irgendwie Angst. Zumindest löste es ein ziemlich ungutes Gefühl in ihm aus. In einer Stunde würde die oberste Chefin, Verlegerin Emma Lemmovski, auftauchen und ein Machtwort sprechen. Auf sie musste selbst Chefredaktor Haberer hören. Zumindest musste er sie anhören. Renner könnte sich dann aus der Verantwortung ziehen. Schliesslich war er nur Nachrichtenchef und Stellvertreter des Chefredaktors.

      Peter Renner liebte seinen Job. Er wusste allerdings auch, dass er keinen anderen mehr finden würde. Zu lange war er im Boulevard-Journalismus tätig. Zu lange bildete er ein Gespann mit Jonas Haberer. Zu lange war er letztlich der willige Helfer einer der umstrittensten Figuren im Schweizer Journalismus.

      Renner hatte schon früh an diesem Tag seinen Reporter und Wirtschaftsfachmann Flo Arber aus Basel nach Bern zurückbeordert. Er musste ihm bei dieser schwierigen Recherche helfen. Ihm und der Internet-Spezialistin Kirsten Warren. Die beiden waren seit Stunden daran, zu telefonieren, zu googeln und zu schreiben. Renner war froh, dass er zwei seriöse und genau recherchierende Journalisten an seiner Seite wusste.

      Um 16.34 Uhr flog die Glastür zu seinem Newsroom auf. Renner hatte für einmal Haberers Schritte nicht gehört. Oder versuchte Haberer tatsächlich, mit seinen Boots weniger laut aufzutreten? Denn hinter ihm betrat Emma Lemmovski das Büro. Die langen, blonden Haare trug sie offen. In ihren High-Heel-Stiefeln war sie gleich gross wie Haberer. Sie sah wie immer umwerfend aus. Fand Renner. Trotzdem versuchte er, cool zu bleiben.

      KRIMINALKOMMISSARIAT,