Der Tod - live!. Philipp Propst

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Название Der Tod - live!
Автор произведения Philipp Propst
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783858827401



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nicht genügend. Das hatte Sandra schnell gemerkt. Ihr hatte der Ausweis gefehlt. Diesen hatte sie sich allerdings schnell angeeignet. Sie hatte sich einen Kaffee geholt, dann gezielt eine Ärztin angerempelt und ihr den Kaffee über den Kittel geschüttet. Dann hatte sie der «Kollegin» geholfen, sich zig-mal entschuldigt, den riesigen Kaffeefleck verwischt, ihr dabei den Ausweis aus der Brusttasche geklaut und damit den Namen «Dr. Elfriede Kasalski» angenommen. Die Security-Leute hatten sie seither freundlich gegrüsst und ihr sämtliche Türen aufgehalten.

      Jetzt hatte sie alles im Kasten. Sie verliess das Spital, zog den Arztkittel aus, versenkte das Stethoskop in ihrer Tasche und rannte zum Kiosk an den Blumenrain hinunter. Dort kaufte sie sich Zigaretten, rauchte zwei und rief Peter Renner an. Er sagte ihr, dass er sie liebe. Danach stürzte sie sich in die Fasnacht. Es war 11.55 Uhr. Der Publikumsaufmarsch hielt sich allerdings in Grenzen, obwohl am Dienstag jeweils Kinderfasnacht war.

      Verrückte Welt, dachte Sandra. Aber das war egal. Sie hatte ganze Arbeit geleistet. Pervers. Aber gut. Sandra lächelte.

      REDAKTION AKTUELL, WANKDORF, BERN

      «Kirsten was?», schnauzte Chefredaktor Jonas Haberer seinen Nachrichtenchef an. «Ich kenne diese verdammte Kirschtorte nicht!»

      Peter Renner regte sich nicht auf. Er wusste, dass sein Chef sämtliche Namen verhunzte und wunderte sich deshalb nicht im Geringsten. Hauptsache, sein Chef hämmerte nicht schon wieder auf seiner Schulter herum.

      «Sie schreibt für uns die Computer- und Game-Kolumne.»

      «Was?»

      «Ja, mein Lieber, wir haben eine Computer- und Game-Kolumne in unserer Zeitung.»

      «Ach, die Schach- und Halma-Tante.»

      «Ja, ja, mein Lieber, Schach und Halma spielte man noch kurz nach dem Krieg, du alter Schafseckel!» Jonas Haberer lachte drauflos. So heftig, dass er einen Hustenanfall bekam und zu ersticken drohte. Sein langes, fettiges Haar vibrierte.

      «Geht’s, Jonas?», fragte Peter Renner.

      Haberer beruhigte und räusperte sich. Dann sagte er: «Los, was will die Halma-Tante, diese Kirschtorte?»

      «Sie hat eine Nachricht aus dem Darknet erhalten, in der ihr mitgeteilt wurde, dass der Anschlag von Basel nur der Anfang wäre. Und dass du auf die Halma-Tante stehen würdest, falls du sie mal sehen würdest.»

      Haberer bekam erneut einen Lachanfall. Er dauerte rund zwanzig Sekunden. Danach fragte er: «Wie war das mit der Nachricht? Mit diesem Darknet-Zeugs? Was ist das überhaupt, verdammt?»

      «Das ist ein Schatten-Internet. Oder so ähnlich. Jedenfalls etwas Obskures.»

      «Und warum soll ich auf die Kirschtorte stehen?»

      «Weiss ich nicht.»

      «Sie soll herkommen! Sofort!»

      «Bist du sicher? Interessiert dich die Story? Ist das nicht zu unseriös?»

      «Pescheli, was ist los? Wir sind unseriös! Also her mit der Kirschtorte! Ich geh mich mal rasieren.» Haberer verliess den Newsroom. Renner hörte noch lange seine Schritte und vor allem sein ordinäres Lachen.

      CLARAPLATZ, BASEL

      Anders als in anderen Jahren füllte sich die Innerstadt nur langsam mit Fasnächtlern. Der Dienstag, der als der schönste Tag der Basler Fasnacht galt, weil kein offizieller Umzug stattfand, war irgendwie kein richtiger Fasnachtsdienstag. Das Attentat überschattete den Tag der Kinderfasnacht und der Guggenmusiken. Cliquen mit Kindern waren nur wenige unterwegs. Die Guggenmusiker trugen Transparente mit Parolen wie «Jetzt erst recht!», «Wir lassen uns die Fasnacht nicht nehmen!» und «Wir haben keine Angst!» Überall standen Polizisten. Nicht nur aus Basel. Das Nordwestschweizer Polizeikorps war aufgeboten worden. Es herrschte Ausnahmezustand.

      Um 13.33 Uhr zog eine Gruppe von rund dreissig Personen vom Claraplatz kommend durch die Rheingasse. Die schwarz angezogenen und mit Totenkopftüchern maskierten Menschen trommelten auf Konservendosen und Bratpfannen herum, einige schlugen Pfannendeckel zusammen. Ein Wachtmeister der Polizei fragte einen der Maskierten, zu welcher Clique er gehöre. Der Mann, der ununterbrochen auf eine grosse Büchse klopfte, sagte, sie seien ein «Zyschdigszyygli», ein Dienstagszug, zusammengestellt aus mehreren Trommlern diverser Cliquen. Der Wachtmeister gab diese Information an die Zentrale weiter. Mit dem Hinweis, dass der Mann kein Basler, sondern Zürcher Dialekt gesprochen habe.

      WAAGHOF, KRIMINALKOMMISSARIAT, BASEL

      Im Büro von Kommissär Olivier Kaltbrunner gab es eine heftige Diskussion. Anwesend waren neben Kaltbrunner Staatsanwalt Hansruedi Fässler, Stadtpräsident Serge Pidoux und Bundesanwalt Filipo Rizzoli. Am Telefon zugeschaltet waren Bundesrätin Christine Gugler-Herrmann, Vorsteherin des Justizdepartements, sowie Bundesrat Georg Bernauer, Chef des Verteidigungsministeriums. Kaltbrunner war bei dieser Konstellation alles andere als wohl. Er versuchte, sich in seinem Bericht auf das Wesentliche zu beschränken. Die vermeintliche Attentäterin sei vermutlich eine Frau namens Hildegard, genannt Hilde, Haberthür, sie war geistig stark behindert gewesen, hatte im Heim Sonnenstrahl gewohnt und in einer Werkstatt für behinderte Menschen gearbeitet. Ein Bombenattentat wurde ihr nicht zugetraut, wie die ersten Befragungen der Betreuer ergeben hätten. «Das heisst?», wollte Staatsanwalt Fässler wissen.

      «Wir stehen erst am Anfang unserer Ermittlungen, wir haben noch …»

      «Besteht die Gefahr für weitere Attentate?», fragte Bundesrätin Christine Gugler-Herrmann.

      «Also …», begann Kaltbrunner.

      «Nein», unterbrach Staatsanwalt Fässler. «Wir haben es mit einer kranken Person zu tun.»

      «Unsere Leute sind notfalls bereit», warf nun Militärminister Bernauer ein. «Wir sollten jegliche Panik verhindern. Wir lassen die Fasnacht laufen.»

      «Ich finde das keine gute Idee, weil …»

      «Danke, meine Damen und Herren, wir haben die Lage im Griff», sagte Stadtpräsident Serge Pidoux.

      «So, so, die Armee steht bereit», murmelte Kaltbrunner und lächelte. «Was sagen Sie?», wollte Fässler wissen und hielt sein Ohr zu Kaltbrunner.

      «Ich sagte nur: Die Armee steht also bereit.» Fässler schaute den Kommissär einen Moment an. Erst dann prustete er los.

      REDAKTION AKTUELL, WANKDORF, BERN

      Chefredaktor Jonas Haberer war beim Anblick von Kirsten Warren nicht mehr hundertprozentig zurechnungsfähig. Die Computer- und Gameredaktorin trübte seine Sinne, das wusste Nachrichtenchef Peter Renner sofort. In ihren engen Jeans, den Boots und den langen Haaren verkörperte sie alles, worauf sein Chef stand. Und er selbst eigentlich auch. Obwohl er vor allem auf die Verlegerin Emma Lemmovski stand. Aber Kirsten glich Emma. Sie war zwar etwas jünger, aber vom Typ her …

      «Warum arbeitest du nicht in unserem schönen Büro, sondern zu Hause?», säuselte Jonas Haberer zu Kirsten Warren. Peter Renner sass einmal mehr wie in Gips gegossen da, innerlich ärgerte er sich allerdings über Haberer.

      «Ich habe einen Sohn», sagte Kirsten Warren in ihrem Deutsch mit amerikanischem Akzent.

      «Das macht mir nichts aus …» Haberer lächelte.

      Kirsten Warren schaute ihn verdutzt an.

      «Also, Jonas, Kirsten ist hergekommen, weil …»

      «Ich weiss, Pescheli», unterbrach Haberer und strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. «Unsere süsse Kirschtorte hat eine obskure Nachricht aus dem geheimen Internet erhalten.»

      «Ach, geheim ist vielleicht falsch. Das Deep Web ist einfach eine andere Form des Internets, das noch sehr viel grösser ist als das normale Internet, aber nicht von Google und Co. gefunden wird. Das heisst, dass …»

      «Ist gut. Ist gut. Ist gut. Worum geht es?»

      «Ein Mann, der sichJohn Fox nennt, meldet, dass der Anschlag auf die Basler Fasnacht nur der Anfang war.»

      «Der