Pine Ridge statt Pina Colada. Katja Etzkorn

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Название Pine Ridge statt Pina Colada
Автор произведения Katja Etzkorn
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783948878122



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mit einem anzüglichen Blick.

      „Die gibt es nachher“, meinte sie knapp und stand auf, um Nachschub zu holen.

      Josh machte keine Anstalten, ihr Platz zu machen, und grinste sie frech an. Sie kletterte umständlich über seine Beine. Sam beobachtete diese kleine Szene amüsiert. Sannah verschwand mit dem Kuchenteller um die Ecke.

      „Sannah kommt aus Deutschland und ist Fotografin“, versuchte es Josh jetzt mit der Wahrheit.

      Sam warf seinem Freund einen strafenden Blick zu. „Klar! Sieht man auf den ersten Blick. Und wir sind Schweden“, spottete er mit einem ironischen Grinsen.

      Sannah kam mit Kaffee- und Kuchennachschub zurück und stellte den Teller demonstrativ auf Sams Seite des Tisches. Zur Strafe für diesen Verrat ließ Josh sie wieder über seine Beine klettern und amüsierte sich köstlich.

      „Ich bin keine Fotografin“, korrigierte sie ihn. „Ich bin Unfallchirurgin.“

      Josh sah sie erstaunt an. Im Gegensatz zu Sam glaubte er ihr.

      „Das wird ja immer exotischer!“, rief Sam mit gespielter Entrüstung.

      Mit Sannahs Fassung war es endgültig vorbei. Sie saß hier, mitten in der Valla Pampa eines Reservates, umringt von Taranteln und Giftschlangen, bei Kaffee und Kuchen mit zwei Lakota, und die fanden eine langweilige Touristin aus Deutschland exotisch. Das war für sie so paradox, dass sie Tränen lachte. Josh begriff, warum sie lachte, und konnte nun auch nicht mehr an sich halten.

      Sam gab auf. Aus den beiden würde er heute kein vernünftiges Wort mehr herausbringen. Er beobachtete amüsiert die Szene, die sich ihm bot und freute sich ehrlich für Josh. Er hatte seinen Freund schon lange nicht mehr lachen sehen.

      Josh beruhigte sich langsam. „Jetzt erzähl doch mal, was der Moccasin Telegraph denn für Gerüchte verbreitet“, forderte er Sam auf.

      Auch Sannah wartete gespannt. Das konnte ja was werden!

      Sam verdrückte genüsslich noch ein Stück Kuchen und ließ die beiden schmoren.

      Als er fertig war, lehnte er sich zurück und sammelte die Fakten, als würde er in einem Fall ermitteln. „Mehrere Zeugen berichteten übereinstimmend, dass du kürzlich mit einer jungen Frau im Supermarkt aufgetaucht bist. Allein diese Tatsache erregte schon großes Aufsehen. Laut Aussagen der Zeugen trug sie eine schmutzige Jeans, genau wie du, und hatte Pferdemist an den Stiefeln.“ Sam zündete sich eine weitere Zigarette an und nahm einen tiefen Zug, bevor er weiter erzählte. „Daraus schloss man, dass sie bei dir arbeitet. Ihr habt besprochen, was sie kochen soll, und hattet einen kleinen Streit über Tee zum Frühstück. Sie sorgt dafür, dass du Obst isst, und du packst ihre Einkäufe ein. Also lebt ihr zusammen. Aber noch nicht lange, da ihr getrennt bezahlt. Sie ist eine Lakota, dem Akzent nach aber nicht aus Pine Ridge. Ein Baby ist noch nicht unterwegs“, beendete Sam seine Ausführungen. „Für mich klingt das alles wesentlich glaubhafter als die Märchen, die ihr mir auftischt.“

      Josh köchelte auf kleiner Flamme vor sich hin, und Sannah kicherte. Wenn die Hersteller von Tampons wüssten, welche Signalwirkung der Erwerb ihrer Produkte hatte, würden sie ihre Werbestrategie ändern.

      Sam versuchte ein letztes Mal sein Glück. „Welche von diesen ganzen Geschichten stimmt denn nun?“

      „Ich bin nicht schwanger“, bestätigte sie trocken.

      Josh prustete in seinen Kaffee und wechselte hastig das Thema.

      „Was ist jetzt mit der versprochenen Pizza? Ich habe Hunger“, quengelte er in Sannahs Richtung.

      „Nach den Bergen von Kuchen?“, fragte sie entsetzt.

      „Ich hatte heute morgen nur Cornflakes und seitdem nichts mehr“, stellte er nach Mitleid heischend fest.

      ‚Ah! Doch keine Freundin‘, dachte Sannah. Erstens fuhr Mann da abends hin und kam morgens wieder zurück. Nicht umgekehrt. Und zweitens hätte sie ihn nach geleisteten Diensten doch zumindest abgefüttert. Sie stand auf und blieb vor seinen ausgestreckten Beinen stehen. „Nur, wenn du mich diesmal durch lässt“, forderte sie.

      „Wie heißt das Zauberwort?“, fragte Josh fordernd und erwartete ein „Bitte“, doch seine Erziehungsmethoden fielen bei Sannah nicht auf fruchtbaren Boden.

      „Inajin ye!“ – Steh auf, scheuchte sie ihn resolut.

      Beide Männer lachten, und Josh nahm seine Beine aus dem Weg.

      „Isst du mit?“, fragte er Sam.

      Der winkte ab. „Nein, danke! Hailey wartet bestimmt schon mit dem Essen auf mich. Kommt ihr am Sonntag zum Football?“

      Sannah überließ Josh die Antwort und ging in die Küche.

      „Ist das wieder diese unsportliche und schmerzhafte Fehde zwischen euch Knüppelträgern und den Jungs von der Feuerwehr?“, fragte Josh nach.

      Sam nickte. „Gib dir einen Ruck und komm endlich aus deinem Schneckenhaus raus“, meinte Sam mit besorgtem Unterton. „Außerdem hat Stonefeather einen Büffel spendiert.“

      „Na, wenn das so ist“, seufzte Josh. „Dann muss ich wohl.“

      „Nimm Sannah mit, sonst kriegst du Ärger mit Hailey. Danke für den Kuchen“, rief Sam zu ihr hinüber und ging zu seinem Auto. Sannah winkte fröhlich durch die offene Küchentür.

      In der Zentrale angekommen, tauschte Sam den Dienstwagen gegen sein eigenes Auto und fuhr nach Hause. Auf der Fahrt grübelte er über Josh nach. Er hatte seinen besten Freund schon lange nicht mehr so entspannt und gut gelaunt erlebt. Wer oder was Sannah auch immer sein mochte, ihre Gesellschaft tat ihm gut. Er war mit Josh aufgewachsen und zur Schule gegangen. Sie hatten sich gegenseitig geholfen und beigestanden, wenn es schwierig wurde. Sam war regelmäßig zu Josh und dessen Vater geflüchtet, wenn sein eigener Dad betrunken zu Hause randaliert und um sich geschlagen hatte. Eine Kindheit auf Pine Ridge war hart und mitunter auch gefährlich. Besonders freitags, wenn die Sozialhilfe-Schecks für Alkohol eingelöst wurden. Bei den White Clouds hatte er sich immer sicher und willkommen gefühlt. Joshs Vater Joseph hatte keinen Alkohol geduldet. Er vermittelte den Jungen die alten Werte ihres Volkes, die sieben Tugenden der Lakota: Mitleid, Geduld, Weisheit, Tapferkeit, Bescheidenheit, Großzügigkeit und Respekt. Aber Joseph lehrte sie nicht nur die alten Traditionen, sondern sorgte auch dafür, dass sie in der modernen Welt bestehen konnten. Beide Jungen machten ihren Highschool-Abschluss, was bei den jungen Männern im Reservat eher selten vorkam. Sam fing danach bei der Tribal Police an, Josh ging nach Aberdeen auf die Universität. Als er nach vier Jahren zurückkam, hatte er ein Mädchen im Schlepptau. Sam hatte Chloe nie gemocht, er hielt sie für eine falsche Schlange und er sollte recht behalten. Aber Josh war völlig vernarrt in sie gewesen. Sie versuchte, einen Keil zwischen die Männer zu treiben, und wollte mit der Gemeinschaft im Reservat nichts zu tun haben. Josh zog sich immer mehr zurück, ging nicht mehr auf Powwows, obwohl er das immer geliebt hatte und einer der besten H‘oká witscháscha – Sänger an der Trommel, war. Chloe hasste die Pferde und das Leben im Reservat. Sie träumte von einer schicken Wohnung in der Stadt. Als der alte Joseph starb, drängte sie Josh, die Ranch zu verkaufen, doch zum ersten Mal weigerte er sich. Als sie ihren Willen nicht bekam, war es mit dem Frieden auf der Ranch endgültig vorbei.

      Sam fuhr auf die Einfahrt zu seinem Haus und parkte. Seine Frau Hailey wartete schon und begrüßte ihn an der Tür mit einem Kuss.

      „Du bist spät, gab es Ärger?“

      Sam legte ihr den Arm um die Taille und schüttelte den Kopf. „Nicht mehr als sonst, ich war nach Feierabend noch bei Josh.“ Hailey stellte das Abendessen auf den Tisch und setzte sich mit gespanntem Gesichtsausdruck.

      „Stimmt es, was erzählt wird? Hat er endlich eine neue Freundin?“, fragte sie neugierig.

      Sam begann zu essen und antwortete: „Es stimmt, dass eine junge Frau auf der Ranch arbeitet, aber ob sie seine Freundin ist, kann ich dir beim besten Willen nicht sagen. Aus den beiden war nichts rauszukriegen.“

      „O