Pine Ridge statt Pina Colada. Katja Etzkorn

Читать онлайн.
Название Pine Ridge statt Pina Colada
Автор произведения Katja Etzkorn
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783948878122



Скачать книгу

besser den Einblick, vom Morgen wieder vor Augen. Er sammelte sich für einen Moment, aber es gelang ihm nicht recht.

      Er klopfte ihr auf den Oberschenkel und sagte: „Inajjn yo!“ – Steh auf! „Zeit zum Schlafengehen.“

      Sannah versuchte, die Füße vom Tisch zu nehmen, und verzog schmerzhaft das Gesicht.

      „Was ist?“, fragte Josh.

      „Muskelkater“, jammerte sie.

      Josh stand auf und hob sie einfach hoch. „Dann muss ich dich wohl ins Bett tragen“, stellte er mit einem anzüglichen Lächeln fest.

      Sannah kreischte leise. „Wie gut, dass an mir nichts dran ist“, zitierte sie ihm schnippisch zu.

      „Meinst du zum Tragen oder fürs Bett?“, konterte er.

      Jetzt war es an ihr, rote Ohren zu bekommen. Er trug sie amüsiert die Treppe hoch und stellte sie artig vor ihrer Zimmertür ab. „Den Rest schaffst du allein“, versuchte er möglichst neutral zu sagen.

      „Danke dir. Schlaf gut.“ Sie schenkte ihm ein Lächeln und humpelte in ihr Zimmer.

      Josh fand keinen Schlaf. Die Tatsache, dass Sannah von ihrem Ex verprügelt worden war, hatte seinen Beschützerinstinkt geweckt und machte ihn wütend. Er hatte nicht übel Lust, diesem Kerl den Hals umzudrehen. Die Tatsache, dass er wütend wurde, beunruhigte ihn wiederum. Sie war erst knappe zwei Wochen da, hatte sein Leben auf den Kopf gestellt, und überraschenderweise gefiel es ihm. Er mochte die abendlichen Gespräche auf der Veranda und die kleinen humorvollen Wortgefechte am Morgen. Sannah war so, wie er sich Chloe gewünscht hätte. Er hatte Chloe geliebt, jedenfalls dachte er das damals. Aber Chloe war ein Apple. Außen rot, innen weiß. Sie wollte ein „weißes“ Leben führen, in irgendeiner großen Stadt mit Shopping Center, Kinos und Clubs. Weit weg von alten Traditionen und dem Elend im Reservat. Sie verleugnete ihre Herkunft und ihre Familie. Chloe hasste die Pferde, die Ranch, die Ruhe und Abgeschiedenheit. Sie hatte ihn verspottet für seine Art zu leben, seine Werte, die Powwows und seine traditionellen Ansichten. Sogar für seine langen Haare. Irgendwann hatte sie ihre Sachen gepackt und war verschwunden. Und das war gut so, aber er hatte lange gebraucht, um das einzusehen.

      Sannah war ganz anders. Sie liebte die Pferde, strahlte von innen heraus, wenn sie im Sattel saß. Sie genoss die Ruhe, engagierte sich für soziale Projekte und behandelte jeden mit Respekt. Von dem Geld, das sie ihm gezahlt hatte, hätte sie sich einen Luxusurlaub leisten können, stattdessen war sie hier und mistete den Stall aus. Aber auch Sannah würde wieder gehen, denn sie gehörte trotz allem ebenso wenig hierher wie Chloe.

      Er wälzte sich in seinem Bett herum und fluchte. Warum geriet er immer an Klapperschlangen? Sam hatte recht. Es wurde Zeit, endlich aus dem Schneckenhaus rauszukommen. Seine selbstgewählte Einsamkeit hatte aus ihm einen Außenseiter gemacht, und es wurde langsam Zeit, sich nach einer Kornnatter umzusehen. Aber besonders reizvoll fand er diesen Gedanken nicht. Er grübelte noch lange darüber nach, was er eigentlich wollte, kam aber zu keinem Ergebnis.

       Erkenntnisse

      Sannah machte Frühstück und wunderte sich, dass Josh noch nicht aufgestanden war. Seinen mörderisch lauten Wecker hatte sie auch noch nicht gehört. Dafür klingelte das Telefon. Oben rührte sich nichts, also nahm sie das Gespräch an.

      „Bei White Cloud?“ Es entstand eine kurze Pause, bis der Anrufer sich meldete.

      „Mark Thompson hier, endlich erreiche ich Sie; ich versuche schon seit einer Woche, Josh zu sprechen. Ist er da?“

      ‚Blöde Frage‘, dachte Sannah, es war kurz nach sechs Uhr morgens. „Ich hole ihn, bleiben Sie bitte kurz dran, Sir“, antwortete sie stattdessen höflich.

      „Danke!“, sagte Thompson erleichtert.

      Sie legte den Hörer beiseite und lief etwas steifbeinig die Treppe hinauf. Der Muskelkater hatte sie voll im Griff. Auf ihr mehrfaches Klopfen reagierte Josh nicht, also öffnete sie die Tür einen Spalt breit.

      „Josh? Telefon!“ Nichts. ‚Nie hat man eine Handgranate, wenn man eine braucht‘, dachte Sannah schmunzelnd. Sie ging zu seinem Bett und rüttelte ihn sacht an der Schulter. „Josh? Wach auf! Telefon für dich!“

      „Mitten in der Nacht?“, brummte er ungehalten.

      „Es ist Viertel nach sechs, du hast verschlafen. Ein Mr. Thompson möchte dich sprechen, scheint dringend zu sein.“

      Josh öffnete mühsam die Augen und quälte sich aus dem Bett. „Shit, den hab ich völlig vergessen“, murmelte er zerknautscht und stapfte an ihr vorbei die Treppe runter. Dieses Mal wenigstens in Pyjamahose.

      Sannah lief hinterher und kümmerte sich weiter ums Frühstück während er telefonierte. Ein paar Minuten später sank Josh schlaftrunken auf den Küchenstuhl und rieb sich die Augen.

      „Ich brauche jetzt ganz dringend eine von deinen Koffein-Bomben“, stöhnte er und stützte seinen Kopf auf die Hände.

      Sie stellte ihm eine Tasse vor die Nase. „Schlecht geschlafen?“, erkundigte sie sich.

      Er schlürfte seinen Kaffee mit geschlossenen Augen. „Ich konnte nicht einschlafen, mir ging so viel im Kopf herum“, antwortete Josh ehrlich.

      Sannah stellte French Toast auf den Tisch, setzte sich und sah ihn nur fragend an. Er machte sich nicht, wie gewohnt, über das Frühstück her, sondern starrte nachdenklich in seine Tasse. „Kennst du das Gefühl, in einer Sackgasse zu stecken, aber du hast keine Ahnung, wie du da wieder rauskommst?“

      „Oh ja“, versicherte sie lächelnd. „Das kenne ich nur zu gut.“

      „Und was hast du dagegen gemacht?“, wollte er wissen.

      Sannah lachte kurz auf. „Ich bin, zum Entsetzen von dir und Annegret, in den Flieger gestiegen und hierher gekommen.“

      „Hat es dir geholfen, hier zu sein?“, fragte er.

      „Für den Moment, ja“, meinte sie. „Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob das immer noch so sein wird, wenn ich wieder zu Hause bin. Ich brauche einen Neuanfang, und ich fürchte mich ein bisschen davor, dass ich zu Hause wieder da ankomme, wo ich aufgehört habe. Ich hoffe, dass mir in diesen drei Monaten klar wird, was ich will. Bis dahin habe ich wenigstens meine Ruhe vor Annegrets gutgemeinten Ratschlägen.“

      „Wieso war sie entsetzt darüber, dass du hierher kommst?“, fragte er erstaunt.

      „Ich glaube, sie hat befürchtet, dass ich von irgendwem aufs Pferd gezerrt und verschleppt werde“, frotzelte Sannah mit einem Augenzwinkern. Sie wollte die katastrophalen Lebensumstände im Reservat nicht erwähnen, zumal es Josh deutlich besser ging, als dem Durchschnitt hier. „Annegret plädierte für Mittelmeer-Urlaub, Cocktails am Strand und braungebrannte Typen in engen Badehosen. Aber das ist ihre Vorstellung von Entspannung, nicht meine.“

      Josh lachte und fing an zu essen. „Was hast du gegen braungebrannte Typen in Badehosen einzuwenden?“ Der Schalk blitzte in seinen Augen.

      Sie durchschaute ihn. „Fragte der braungebrannte Typ in Pyjamahose“, gab sie zurück und grinste breit.

      Josh warf ihr einen unschuldigen Blick zu. „Ich bin nicht braungebrannt, bei mir ist das Standard“, beteuerte er.

      „Bei mir auch“, erwiderte sie, als ließe sie diese Ausrede nicht gelten, und nahm sich noch ein Toast „Ich habe nichts gegen braungebrannte Typen“, erklärte sie schmunzelnd. „Aber würdest du dich an einem überfüllten Strand, mit einem halben Eimer Alkohol in der Birne und lauter notgeilen Bikinimädchen um dich herum wohlfühlen?“

      „Nein!“, antwortete er ohne zu zögern. „Aber an einem Strand wäre ich trotzdem gern mal. Ich war noch nie am Meer.“

      „Es ist wunderschön“, erzählte sie schwärmerisch.

      „Deine Freundin scheint dich aber nicht