Pine Ridge statt Pina Colada. Katja Etzkorn

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Название Pine Ridge statt Pina Colada
Автор произведения Katja Etzkorn
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783948878122



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ja‘, dachte sie. Wenn ich das hier nicht überlebe, hat er wenigstens ein neues Hobby. Im Trab wurde es schon etwas brenzliger. Der Wallach riss wieder den Kopf hoch und fing an zu tänzeln. Sie versuchte, ruhig zu bleiben, korrigierte die Kopfhaltung und ritt weiter. Bei Josh hatte das leichter ausgesehen. Sannah bekam den Wildfang in den Griff, und Josh drückte weiter auf den Auslöser.

      „Die letzten Runden im Galopp“, rief er und lehnte sich in der Ecke des Platzes an den Zaun. Bislang hatte sie das Temperament des vierbeinigen Rebellen noch zügeln können, aber als die ersten Pferde galoppierten, brach es aus ihm heraus. Er raste Runde um Runde über den Platz. Sannah stemmte sich zwischen Steigbügeln und Cantle fest und versuchte, das Pferd wieder unter Kontrolle zu bringen. Die Kinder hatten sich mitsamt ihrer Pferde an der kurzen Seite des Platzes in Sicherheit gebracht. Josh blieb gelassen am Zaun stehen und hob gelegentlich die Kamera wie ein Kriegsberichterstatter im Urlaub. Sannah war mittlerweile sauer auf diesen Macho unter ihr. Sein ganzes Verhalten war nichts weiter als Imponiergehabe und Angeberei. Der Wallach war nicht bösartig, er benahm sich nur wie ein sechshundert Kilo schwerer, pubertierender Teenager. Er wollte gerade laut schnaubend und mit hoch erhobenem Kopf seine Showeinlage beenden, als sie ihn weitertrieb.

      „Wenn du rennen willst, bitte! Aber ich sage, wann Schluss ist!“, sagte sie zu dem Pferd. Sie galoppierte ihn weiter, korrigierte immer wieder die Kopfhaltung und ließ ihm seine Sperenzien nicht mehr durchgehen. Irgendwann wurde er langsamer und begann sich zu benehmen. Er senkte den Kopf und gab nach. Sannah parierte durch zum Schritt und lobte ihn. Der Wallach schnaubte und kaute zufrieden auf seinem Gebiss.

      Die Kinder verließen ihre Ecke und ritten auch noch ein paar Runden im Schritt mit. Tyler gesellte sich zu Sannah und meinte anerkennend: „Nicht schlecht!“

      „Habe ich für heute genug gelernt?“, fragte sie ihn, völlig außer Atem.

      Er nickte stumm. Sie sah rüber zu Josh, der immer noch entspannt am Zaun lehnte und lächelte. Er hängte die Kamera an den Zaunpfahl und ging in die Mitte des Platzes. „Schluss für heute“, rief er. „Samstag machen wir einen Ausritt.“ Die Kinder jubelten. Sannah stieg mit zitternden Knien vom Pferd.

      Josh stand neben ihr. „Wenn alle blutigen Anfänger so gut reiten würden, wäre ich arbeitslos“, stellte er fest.

      Sie lockerte den Sattelgurt. „Gut nennst du das?“, erwiderte sie. Er stemmte seine Hände links und rechts neben ihr auf den Sattel. Sie drehte sich zu ihm um und war nun gefangen zwischen seinen Armen und dem Pferd im Rücken. Er sah sie mit seinen dunklen, sanften Augen an, und ihre Knie verwandelten sich endgültig in Pudding.

      „Das war sogar sehr gut“, sagte er ernsthaft.

      “Warum hast du mir nicht geholfen?“, fragte sie mit einem kleinen Vorwurf in der Stimme.

      Josh lächelte. „Weil du meine Hilfe nicht gebraucht hast. Du bist ganz allein mit ihm fertig geworden und mit deiner Angst. Hätte ich dir geholfen, würdest du immer noch an dir zweifeln. Diese Lektion musstest du heute lernen. Beim nächsten Mal hast du keine Angst mehr vor ihm.“

      Sannah schluckte, aber er hatte recht. Seine besonnene weise Art, die Dinge zu betrachten und allem etwas Positives abzugewinnen, erstaunte sie immer wieder. Josh strahlte eine unglaubliche Ruhe aus, sie umgab ihn wie ein Energiefeld. In diesem Moment empfand sie ein tiefes Gefühl von Geborgenheit und nahm nicht mehr wahr, was um sie herum geschah. Die Kinder kicherten. Josh ließ die Arme sinken und wendete sich dem Pferd zu. Der Zauber war vorbei, das Gefühl von Geborgenheit blieb.

      Nach dem Abendessen kochte sich Sannah einen Tee und setzte sich steifbeinig auf die Veranda. Nach der ungewohnten Anstrengung im Sattel fühlte sie sich wie handgeschnitzt. ‚Morgen ist das ein veritabler Muskelkater‘, dachte sie. Sie legte die Füße auf den Tisch und entspannte sich.

      Josh erschien frisch rasiert und geduscht und entgegen seiner sonstigen Gewohnheit in Jeans statt in Jogginghose.

      „Hast du noch ein Date?“, rutschte es ihr raus.

      Er lächelte sie erstaunt an, persönliche Fragen hatte sie bisher noch nie gestellt. „Wie kommst du darauf?“, fragte er amüsiert und setzte ich neben sie.

      „Da, wo ich herkomme, rasieren sich die Herren der Schöpfung am Abend nur, wenn sie noch verabredet sind: außerdem trägst du eine Jeans, da dachte ich, du willst noch weg. Warum auch nicht?“, antwortete sie.

      „Willst du alle schmutzigen Details wissen?“, flüsterte er verschwörerisch.

      Sie nickte neugierig.

      „Die Jogginghose ist in der Wäsche, und ich bin morgens zu müde zum Rasieren“, hauchte er ihr zu.

      „Ich hatte ja keine Ahnung, dass du so eine romantische Ader hast“, seufzte sie theatralisch und kicherte.

      „Man tut, was man kann“, gab er schmunzelnd zurück. „Und ich hatte keine Ahnung, dass du noch schlimmer bist als unser lokaler Nachrichtendienst.“

      „Reine Übungssache. Klatsch und Tratsch sind bei uns in der Klinik an der Tagesordnung, wenn ich da einen Kollegen beim Einkaufen treffe, bin ich am nächsten Tag verlobt“, spottete Sannah.

      Josh lachte. „Wann ist die Hochzeit?“

      Sie hob abwehrend die Hände. „Na, hoffentlich gar nicht. Einmal reicht!“, stellte sie entschlossen fest.

      Josh entgleisten die Gesichtszüge. „Du bist verheiratet?“, fragte er entgeistert. Die Hemmschwelle der persönlichen Fragen war nun endgültig überwunden.

      Sannah griff nach ihrer Teetasse und nahm einen Schluck. „Nicht mehr, nachdem er seine Finger nicht von anderen Frauen lassen konnte und mich krankenhausreif geschlagen hat.“

      Er starrte sie fassungslos an. Sie wirkte so klein und zerbrechlich neben ihm. Es war für ihn unvorstellbar, dass ein Mann dazu imstande war, sie zu schlagen. Er verachtete Männer, die sich nicht im Griff hatten. Josh widerstand nur schwer dem Impuls, sie in den Arm zu nehmen, und knurrte stattdessen: „Dreckschwein!“ Sannah lächelte über seine indirekte Sympathiebekundung. „Du hast es erfasst!“, bestätigte sie boshaft.

      Josh nahm ihr die Tasse aus der Hand und nippte an ihrem Tee. „Gar nicht mal so schlecht!“, stellte er erstaunt fest. Als sie danach griff, hielt er die Tasse mit der anderen Hand zur Seite und damit außerhalb ihrer Reichweite.

      „Erst über meinen Tee die Nase rümpfen und ihn mir dann wegtrinken, ist aber nicht die feine englische Art“, protestierte sie lachend.

      „Könnte daran liegen, dass ich kein Engländer bin. Ich bin Lakota, und wir teilen alles. Sogar Tee“, bemerkte er, nahm einen großen Schluck und starrte nachdenklich in die Tasse. „Als man mir mitteilte, dass du hier auftauchen würdest, habe ich ja auch die Nase gerümpft“, gestand er.

      „Warum?“

      „Der Name Susannah ist hier ziemlich altmodisch. Ich dachte, es käme eine Mittfünfzigerin, blond und blauäugig, die den ganzen Tag hinter mir herrennt und mich mit diesem schrecklichen Akzent nervt. Deutschland heißt bei uns Iyáschitscha makchótsche, Schlecht-Sprecher-Land“, erklärte er.

      „Das passt!“, stimmte sie zu und kicherte.

      „Stattdessen bist du aus dem Auto gestiegen und hast mich eines Besseren belehrt, nicht nur was den Akzent angeht. Du hast so ziemlich all meine Klischees über den Haufen geworfen. Mittlerweile gefällt es mir, dass du da bist. Daran könnte ich mich gewöhnen, genauso wie an dieses Zeug hier“, fügte er scherzhaft hinzu und leerte die Tasse.

      „Danke“, sagte sie nur, gerührt über das Kompliment, das er ihr gemacht hatte. „Als du am ersten Tag auf mich zugekommen bist, wollte ich weglaufen“, gab sie zu.

      Josh sah sie erstaunt an und wartete auf eine Erklärung.

      „Du hast ein Gesicht gemacht, als wolltest du mich gleich fressen.

      Jetzt weiß ich auch, warum“, sagte sie.

      „Hatte ich auch vor“, räumte er ein und grinste hämisch.