Название | Pine Ridge statt Pina Colada |
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Автор произведения | Katja Etzkorn |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783948878122 |
„Wenn du deine Schuhe hier stehen lässt, solltest du sie morgen früh gründlich ausschütteln.“
„Warum?“, fragte sie ahnungslos.
„Wegen der Taranteln“, sagte er trocken. „Für Schlangen sind deine Schuhe zu klein“, fügte er hinzu, als er amüsiert ihren entsetzten Gesichtsausdruck bemerkte. Er öffnete die Fliegengittertür, Sannah ging hinein und stand in der Küche, die nahtlos ins Wohnzimmer überging. Dort war sogar ein Kamin, aus Natursteinen gemauert.
Josh ließ ihr keine Zeit sich umzusehen. „Die Treppe hoch und dann rechts“, wiederholte er knapp seine Wegbeschreibung. Sie lief die Stufen hinauf, während er mit Kennerblick ihr Hinterteil begutachtete. Diamantklapperschlange, lautete sein Urteil, als sie oben angekommen waren. Er stellte ihren Koffer ins Zimmer.
„Danke“, sagte Sannah und versuchte es noch mal mit einem Lächeln, doch es verwandelte sich in Schneeflocken, noch ehe es den Eisberg erreicht hatte.
Josh deutete mit unbeweglicher Miene auf eine Tür neben ihrem Zimmer. „Dort ist das Bad. Wenn du duschen möchtest, mach es bitte jetzt. Ich werde das Essen in den Ofen schieben und würde nach dem Essen selbst gern duschen. Der Boiler braucht eine Weile, bis das Wasser wieder heiß ist.“
Sannah nickte.
Josh lief die Treppe hinunter und verschwand in der Küche. Die Tatsache, dass Josh sich um das Essen kümmerte, verriet ihr, dass wohl keine Mrs. White Cloud auftauchen würde, um die wortkarge Eiszeit etwas aufzutauen. Sie suchte sich ein Handtuch aus dem Koffer und kramte Duschgel und Shampoo-Fläschchen von dem Hotel in Denver aus der Handtasche. Im Badezimmer bestätigte sich ihre Vermutung. Auf der Ablage über dem Waschbecken befand sich Zahnpasta, eine Zahnbürste, Rasierschaum, Deo und ein Rasierer. In einem kleinen Regal lag noch eine Haarbürste. Kein Anzeichen eines weiblichen Wesens. Sie war allein mit diesem Eisberg. Beklommen schlüpfte Sannah aus ihren dreckigen Klamotten und drehte das Wasser auf.
Josh hatte unterdessen Tiefkühllasagne in den Ofen geschoben, saß nun auf der Veranda und trank kalten Kaffee vom Vormittag. Seine Laune hatte sich etwas gebessert. Sannah war nicht so schlimm, wie er anfangs befürchtet hatte. Dieser schreckliche Akzent war ihm erspart geblieben, außerdem redete sie ohnehin nicht viel. Beim Reiten hatte sie sich recht geschickt angestellt. Um ehrlich zu sein: Sie war die Erste, die es überhaupt geschafft hatte, beim gestreckten Galopp über die Weide oben zu bleiben. Aber trotz allem war sie eine Klapperschlange und keine Kornnatter, wenn auch nur eine kleine. Er grinste, „Sintéchla cik‘ala“ bedeutete „kleine Klapperschlange“ in der Sprache seines Volkes. Ein passender Spitzname. Ihr Anblick auf dem Pferd ging ihm durch den Kopf. Er beschloss, sie weiter auf Abstand zu halten. Schöne Klapperschlangen waren, seines Erachtens, besonders gefährlich.
Sannah öffnete die Tür des Badezimmers einen Spalt und prüfte, ob die Luft rein war. Sie wollte nicht, nur mit einem Handtuch bekleidet, Josh in die Arme laufen. Schnell huschte sie in ihr Zimmer und schloss die Tür. Nachdem sie sich angezogen hatte, räumte sie den Inhalt ihres Koffers in den kleinen Schrank und rubbelte sich die Haare trocken. Den Föhn hatte sie zu Hause gelassen. Als sie sich aufs Bett setzte, versank sie fast in der weichen Matratze. Das Zimmer war klein und gemütlich, die Möbel alt, aber gepflegt. Zwei Fenstergauben gingen nach Osten und Westen hinaus und boten zur einen Seite einen Blick auf die Bäume und Büsche an der Zufahrt zur Ranch, auf der anderen Seite einen atemberaubenden Blick über die Weiden. Der gemauerte Schornstein des Kamins zog sich vom Erdgeschoss an der Wand hoch zum Dach. Im Winter wäre es hier bestimmt mollig warm. Ein kleiner Tisch und ein Stuhl standen unter dem Ostfenster. Das Bett stand unter der Dachschräge. Mehrere Traumfänger hingen an der Wand, einige von ihnen sahen uralt aus – handgeknüpft, mit Perlen aus Knochen und Horn verziert und mit Rohhaut umwickelt. Nicht wie dieser billige, kunterbunte Kitsch für Touristen, den man an jeder Ecke kaufen konnte. Auf dem Bett lag ein farbenfroher Quilt, eine Patchwork-Decke, mit einem komplizierten und sehr aufwändigen Sternmuster. Ebenfalls Handarbeit. Sannah streckte sich auf dem Bett aus und merkte, wie müde sie war. Aber auch hungrig. Ihre letzte Mahlzeit hatte aus einem Sandwich am Flughafen von Rapid bestanden. Der verlockende Duft des Essens hatte ihr Zimmer erreicht, und so rappelte sie sich mühsam aus dem Bett und ging in die Küche.
Durch die Fliegentür erspähte sie Joshs Stiefel auf dem Tisch und ging hinaus. Josh saß entspannt, mit geschlossenen Augen auf der Holzbank neben der Tür. Sein Kopf lehnte an der Hauswand, die Füße lagen auf dem Tisch. Er war mit der Kaffeetasse in der Hand eingeschlafen. Sannah lächelte. Schlafend sah er richtig friedlich aus. Sie wollte gerade wieder auf Zehenspitzen ins Haus schleichen, als er brummte: „Mit den Dingern solltest du besser nicht hier draußen rumlaufen.“
Sie erschrak, weil er wider Erwarten wach war.
„Welche Dinger meinst du?“, fragte sie irritiert. Er hatte die Augen immer noch geschlossen.
„Na, die Plastik-Latschen.“
Sie blickte auf die Flipflops an ihren Füßen. Langsam wurde er ihr unheimlich. „Woher weißt du …?“
„Man hört das Schlappen durchs ganze Haus“, erklärte er. „Hast du keine anständigen Stiefel?“
„Doch“, antwortete sie betreten.
„Dann zieh sie an!“, erwiderte er schroff und öffnete die Augen. Sie wollte an ihm vorbei ins Haus flüchten, als er nach ihrer Hand griff und sie festhielt.
„Sannah!“ Er nannte sie zum ersten Mal bei ihrem Namen, und seine Stimme klang um einiges milder, als er bemerkte, dass er sie völlig aus der Fassung gebracht hatte. „Es ist wichtig, das du auf mich hörst. Wir sind hier nicht in Disneyland, sondern in der Wildnis. Hier draußen gibt es Taranteln und Schlangen. Sie kriechen überall hinein. In deine Schuhe, wenn du sie draußen stehen lässt, und auch ins Haus. Achte darauf, dass die Tür immer geschlossen ist. Egal, wie heiß es draußen ist, trage deine Stiefel. Greife niemals in dunkle Ecken oder unter Steine. Meide Erdlöcher und Sträucher, sie verstecken sich überall. Wenn du ein scharfes Rasseln hörst, mache einen großen Bogen drumherum. Du musst immer Augen und Ohren offenhalten. Der Biss einer Klapperschlange kann dich töten, wenn du das Gegengift nicht rechtzeitig bekommst.“
Josh sah sie ernst und eindringlich an, dann ließ er ihre Hand los.
Sannah setzte sich auf die gegenüberliegende Bank. Sie fühlte sich wie ein Kind, das gefährlichen Blödsinn angestellt hatte und nun zurechtgewiesen wurde. „Tut mir leid“, entschuldigte sie sich. „Ich hab mich benommen wie ein dummes Huhn.“
„Du musst dich nicht entschuldigen“, sagte er ruhig. „Gibt es bei dir zu Hause Giftschlangen?“
Sie schüttelte den Kopf.
„Dann bist du auch kein dummes Huhn“, lautete seine bestechend einfache Logik. In der Küche ratterte eine Eieruhr.
„Essen ist fertig“, verkündete Josh.
Während des Abendessens nahm Sannah ihn verstohlen etwas genauer in Augenschein. Er hatte eine hohe Stirn, gerade Augenbrauen und sanfte, mandelförmige Augen. Ähnlich wie ihre eigenen, nur noch dunkler, fast schwarz. Seine Oberlippe war voller als die Unterlippe. Eine lange Narbe zog sich vom Nasenflügel über die Lippen bis zum breiten, kantigen Kinn. Eine weitere Narbe lief über die halbe Stirn und endete rechtwinklig über dem Auge. Viele kleinere Narben waren über den Hals und seine breiten Schultern verteilt. Es sah aus, als wäre er kopfüber durch eine Glasscheibe geflogen. Sannahs berufliches Interesse war geweckt. In der plastischen Chirurgie gab es den Grundsatz: Je dunkler die Haut, desto stärker die Narbenbildung. Dem Kollegen, der diese Wunden behandelt hatte, war es gelungen, die Narbenbildung auf ein Minimum zu begrenzen. Es waren nur noch feine, helle Linien zu sehen, die Joshs Gesicht nicht entstellten. Am Anfang musste es allerdings schrecklich ausgesehen haben.
Josh schaufelte unterdessen unbeirrt die Lasagne in sich hinein. Und da man ja bekanntlich mit vollem Mund nicht spricht, fiel das Essen,