Drachenwispern. Christian D'hein

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Название Drachenwispern
Автор произведения Christian D'hein
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783991075288



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welche Art der Folter er hatte durchstehen müssen, Ardun hätte nicht antworten können. Die Erinnerung war nicht klar zu fassen, denn sie bestand nur aus einer einzigen Empfindung: Schmerz. Und auch jetzt, da er allein in seiner Zelle war, blieb ihm der Schmerz nicht erspart, denn bei der morgendlichen Behandlung hatten Idans Knechte ihm seinen rechten Arm gebrochen. Und eben diesen Arm hatte er gerade aus Versehen zu bewegen versucht, weshalb er sich nun stöhnend zusammenkauerte. Vor seinen Augen blitzten grelle Lichter und er vermied es, auf den gebrochenen Knochen hinabzusehen, da er in einem grotesken Winkel von seinem Körper abstand. Dann biss Ardun die Zähne zusammen und atmete tief ein und aus, während er sich wieder aufrichtete und versuchte, die Schmerzenswellen zu ignorieren. Dabei stach ihm der beißende Gestank seiner eigenen Exkremente in die Nase, der inzwischen die gesamte Zelle erfüllte. Denn ihm war keine andere Möglichkeit geblieben, als seine Notdurft in einer Ecke des kleinen Raumes zu verrichten. Doch das störte ihn inzwischen längst nicht mehr und er machte sich wieder an die Arbeit, die er zuvor unterbrochen hatte. Vor wenigen Tagen noch hatte ihn die Angst vor dem Tod erstarren lassen und er hätte alles getan, um am Leben zu bleiben, doch inzwischen schrie sein Geist und jede einzelne Zelle in seinem Körper dem Tod entgegen, er wolle ihn doch schnell zu sich holen. Denn nur so konnte Ardun den Schmerzen entgehen. Und wenn er eins verstanden hatte, dann, dass er schon längst tot war. Sein Wille, sein Geist und selbst sein Körper starben bereits. Und als wäre sein Flehen tatsächlich erhört worden, hatte ausgerechnet Idan ihm einen Ausweg geboten. Der Fürstensohn war am fünftem Tag nach seiner Inhaftierung gekommen und hatte sich an der Folter ergötzt, ehe er ganz nah an Ardun herangetreten war, sodass dieser den stinkenden Atem des Fürstensohnes auf seinen geschundenen Wangen gespürt hatte und ihm mit boshafter Freude erklärt hatte: »Weißt du, ich war schon immer der Meinung, dass eine Kanalratte nicht gut genug ist, um Hündchen bei den Adligen zu spielen. Mein Vater war anderer Meinung und hat dir eine Chance gegeben und dich aufgenommen, statt dich sofort zu töten, wie ich es ihm empfohlen habe. Und nun schau an, was aus dir geworden ist. Ich hatte offensichtlich recht. Aber keine Sorge, ich werde seinen Fehler schon bald ausmerzen. Aber ich bin kein Monster. Du selbst darfst den Tag deiner Hinrichtung bestimmen. Und bis es so weit ist, darfst du jeden Tag mit deinen beiden neuen Freunden hier spielen.«

      Mit diesen Worten hatte Idan Ardun fünf dünne, lange Seile in die Hand gedrückt und ihn ohne ein weiteres Wort in der Hölle zurückgelassen. Doch Ardun brauchte keine Erklärung. Er kannte die Traditionen und wusste, wozu die Seile gedacht waren. Seit jeher war es in Wackenstein Brauch, dass Hochverräter öffentlich hingerichtet wurden. Oder präzise ausgedrückt, er sollte hängen. Und zwar an dem Tage, an dem der Strick vollendet wurde. Der Strick, durch den er sterben würde und den er sich nun selbst flechten musste. Als er jetzt daran dachte, wie sehr ihn diese Vorstellung früher abgeschreckt hatte, entrang sich seiner Kehle ein raues, freudloses Lachen, welches in der Dunkelheit verhallte. Er war immer der festen Überzeugung gewesen, dass dies der Höhepunkt der Grausamkeiten war, die man einem Menschen antun konnte und zweifelsohne dachte Idan ebenso. Aber nun verstand er es besser. Es war ein letztes Geschenk an die Gefangenen, die in ihren letzten Augenblicken ihr Schicksal doch noch selbst bestimmen durften. Nie zuvor hatte Ardun so viel Macht über sein eigenes Leben besessen wie in diesem Moment und trotz seiner elenden Lage kam ein Teil von ihm nicht darum herum, es zu genießen. Allerdings hatte er nicht vor, dieses Privileg lange zu genießen, denn er wollte den Strick so schnell wie möglich vollenden. Doch das war nicht einfach, da er nur seinen ungeschickten linken Arm gebrauchen konnte und es so zu einer komplizierten Arbeit wurde, die Seile zu verflechten, die er sich zwischen die Beine klemmte, ehe er umständlich das Knüpfen begann. Gleichwohl ging er äußerst sorgfältig vor, denn in einem zynischen Moment war ihm ein altes Sprichwort eingefallen: »Wie man sich bettet, so schläft man«.

      In seinem Falle würde es ein ewiger Schlaf werden. Plötzlich wurde er aus seinen Gedanken gerissen, als seine Zellentür laut knarrend aufschwang. Ardun sah gar nicht erst auf, denn er wusste, dies konnte nur bedeuten, dass ihm neue Folter bevorstand. Umso mehr überraschte es ihn, als ihn eine hohe Stimme ansprach: »Bewundernswert, wie weit deine Arbeit trotz deines bedauernswerten Zustandes schon fortgeschritten ist!«

      Ardun, der soeben mit der Schlinge begonnen hatte, hob schwerfällig den Kopf, eine kleine Bewegung, die dennoch mit starken Schmerzen verbunden war, und blinzelte dumpf. Im schummrigen Licht einer kleinen Handlaterne stand vor ihm die Elfe Lian und lächelte mitleidig zu ihm herunter.

      »Habe ich dir nicht versprochen, dass ich dir einen Ausweg biete?«, fragte sie ihn, offensichtlich ohne ernsthaft mit einer Antwort zu rechnen.

      Dennoch brachte Ardun ein schwaches »Was wollt ihr von mir?« hervor.

      Lian lächelte einladend, ehe sie wie beiläufig erklärte:

      »Nichts anderes, als ich auch schon bei unserem letzten Treffen wollte. Ich will dich einladen, den Aquiron beizutreten. Und außerdem möchte ich dir helfen, noch einmal deinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen.«

      Kurz kicherte sie über ihre eigenen Worte.

      »Wie passend diese Redewendung in deinem Fall doch ist! Also wie steht es? Willst du dich uns anschließen?«

      Ardun hatte tausende Fragen auf der Zunge, doch sie alle waren jetzt nicht wichtig. Er hatte sein Zusammentreffen mit der Elfe und ihr seltsames Angebot unter der Folter schon längst vergessen, doch nun stand sie wieder hier und bot ihm tatsächlich eine Alternative zum Tod. Denn er war sich zwar immer noch nicht sicher, ob es tatsächlich klug war, ihr zu vertrauen, doch was hatte er in seiner Lage schon groß zu verlieren? Es blieb ihm also nichts anderes übrig, als zur Antwort nur knapp zu nicken. Das Lächeln der Elfe wurde noch breiter. Dann hielt sie ihm ihre schlanke Hand hin, um ihm aufzuhelfen. Er ergriff sie und ließ sich von ihr emporziehen. Ihre Haut fühlte sich angenehm warm und weich in seiner Hand an. Wankend kam er auf die Beine.

      »Ich hoffe, du kannst selbst laufen«, äußerte sich Lian besorgt, »denn ich habe die Wachen zwar mit einem starken Betäubungsmittel ausgeschaltet, aber ich habe nicht die Kraft, dich aus der Burg zu tragen.«

      Ardun verkniff sich die bissige Antwort, welche ihm schon auf den Lippen lag, und machte stattdessen einen entschlossenen Schritt in Richtung Tür. Doch erst jetzt bemerkte er, wie schwach sein Körper tatsächlich war und er musste sich an der Wand abstützen, um nicht zu stürzen, als durch Schmerz und Übelkeit die Welt um ihn herum sich zu drehen begann. Unfähig, es zurückzuhalten, erbrach er sich mehrere Male auf den Boden, ehe er sich mit dem Handrücken über den Mund wischte und einen weiteren schwankenden Schritt wagte. Es ging besser, auch wenn er weiterhin Gefahr lief, zu stürzen. Lian nickte einigermaßen zufrieden und drückte sich an ihm vorbei, um zuerst die Zelle zu verlassen. Mit einer Hand hielt sie sich angewidert die Nase zu. Ardun folgte ihr etwas langsamer, doch auch er erreichte schnell den Gang. Kaum war er aus der Tür getreten, warf Lian sie auch schon hinter ihm zu und schob den Riegel vor. Ardun hatte das Gefühl, als lägen seine Gedanken hinter einem dichten Nebel und es fiel ihm schwer, logisch zu denken oder auch nur einen klaren Satz zu formulieren, deshalb dauerte es, bis ihm seine Frage über die Lippen rutschte: »Wieso … wieso schließt ihr die Tür? Sie werden doch sowieso bemerken, dass ich nicht mehr da bin!«

      Die Elfe sah ihn an, als habe er den Verstand verloren und schüttelte missbilligend den Kopf.

      »Ich habe den Wachen das Betäubungsmittel in ihrem Essen verabreicht. Wenn sie aufwachen, werden sie starke Kopfschmerzen haben und nicht wissen, was geschehen ist. Vielleicht werden sie es erstmal nicht bemerken«, erklärte sie knapp und fügte dann etwas leiser hinzu: »Außerdem sind sie nur Menschen. Keiner von ihnen wird den Mut haben, vor Fürst Ergon zu treten und einzugestehen, seine Pflichten versäumt zu haben, selbst wenn sie Verdacht schöpfen sollten.«

      Normalerweise war dies die Stelle, an der Ardun vehement widersprochen hätte, denn ihm gefiel die pauschale Abwertung der Menschen durch das Spitzohr ganz und gar nicht, aber in seinem jetzigen Zustand hatte er nicht die Kraft für eine derartige Debatte und außerdem war Lian schon vorausgelaufen und fast am Ende des Ganges angelangt. Er biss die Zähne zusammen und folgte ihr so schnell wie möglich. In regelmäßigen Abständen waren Fackeln an den Wänden angebracht, die Licht spendeten und wilde Schatten tanzen ließen, sodass er immerhin keine Probleme hatte, den Weg vor sich zu sehen. Und nachdem er einige