Название | Drachenwispern |
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Автор произведения | Christian D'hein |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783991075288 |
»Die Last der Toten ist nur schwer zu tragen, nicht wahr, mein Sohn?«, ertönte plötzlich eine sanfte Stimme direkt vor ihm.
Zu Tode erschrocken fuhr Ardun halb auf und seine Hand glitt automatisch zu dem Dolch an seinem Gürtel und riss ihn aus der Scheide. Vor ihm war von ihm völlig unbemerkt eine Gestalt erschienen, die sich in einen tiefschwarzen Umhang gekleidet hatte, der mit der umgebenden Nacht perfekt verschmolz. Der Neuankömmling hob beschwichtigend die Hände und schob sich langsam die Kapuze vom Kopf. Zum Vorschein kam das Gesicht einer wunderschönen Frau, wie Ardun sich selbst eingestehen musste, das von langen blonden Haaren und zwei spitzen Ohren gerahmt wurde. Eine Elfe! Sie sah ihn aus klugen Augen an und sprach dann wieder mit ruhiger, sachlicher Stimme:
»Zweifellos trägst du die Schuld an dem Tod dieses Mädchens.«
Diese Aussage schockierte Ardun noch mehr als das plötzliche Auftauchen der Elfe und er wollte wütend aufbegehren, doch die Elfe unterbrach ihn mit einer Handbewegung.
»Ich weiß genau, was sich zugetragen hat, also versuche nicht, meine Worte zu leugnen und mich zum Narren zu halten!«, brauste sie mit plötzlicher Härte auf, ehe ihr Ton wieder bitterweich und verständnisvoll wurde, »Die Wahrheit darf niemals geleugnet werden, Sohn, denn sonst belügen wir nur unsere eigene Seele. Ich weiß, dass du ihren Tod nicht wolltest und im Sinn hattest, ihr zu helfen. Doch das ändert nichts an der Tatsache, dass sie noch am Leben wäre, wenn du nicht gehandelt hättest. Innerlich zerbrochen und geschändet, das ja, aber immerhin am Leben.« Ardun hatte einen Kloß im Hals. Er wusste nicht, was er darauf entgegnen sollte, denn die Wahrheit ihrer Worte traf ihn wie ein Schlag und er schaute beschämt zu Boden. Dann kochte mit einem Mal Zorn in ihm hoch. Wer war diese Fremde, dass sie sich anmaßte, so mit ihm zu sprechen? Sie wusste rein gar nichts über ihn und die Entbehrungen, die er schon hatte erleiden müssen. Überhaupt war sie noch nicht einmal ein Mensch und doch stand sie hier und urteilte über ihn, als wäre sie seine Mutter!
»Wenn das alles ist, was Ihr zu sagen habt, dann verschwindet Ihr jetzt besser, sonst finden mich wegen Euch noch die Wachen!«
Die Elfe sah ihn tadelnd an.
»Immerfort davonzulaufen wird dir niemals das bescheren, wonach dein Herz sich so verzehrt. Aber ich sehe die Reue in deinen Augen für die Taten, die du begangen hast, und deshalb möchte ich dir ein Angebot machen. Wenn dies dein Wunsch ist, biete ich dir an, Teil der Aquiron zu werden.«
Verständnislos sah Ardun sie an. Was das Elfenweib da von sich gab, ergab absolut keinen Sinn. Und wer zum Teufel sollte dieser Aquiron sein?
Als hätte sie seine Gedanken erraten, erklärte die Elfe: »Die Aquiron sind eine Gilde von Kriegern, wenn wir uns auch von gewöhnlichen Soldaten unterscheiden. Man muss gewisse Kriterien erfüllen, um aufgenommen zu werden. Nur jene mit einem besonderen Talent, einer Gabe, dürfen beitreten. Aber es wird niemand gezwungen. Im Grunde sind wir eine große Familie, in der jeder auf den anderen aufpasst, und kämpfen an eben jenen Fronten, an denen eine normale Armee in wenigen Augenblicken versagen würde. Denk über meine Worte nach. Ach und eins noch, mein Name ist Lian.«
Damit wandte sie sich, ohne seine Antwort abzuwarten, ab und war in der Nacht verschwunden, ehe Ardun etwas dagegen tun konnte. Mit gemischten Gefühlen stand er da und blickte ihr nach. Frustriert schleuderte er den Dolch in den weichen Waldboden, wo die kurze Klinge stecken blieb, und versuchte, wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Er beschloss, das Gespräch zu vergessen, und machte sich daran, ein Grab für das Mädchen auszuheben, um ihr wenigstens diese letzte Ehre erweisen zu können. Die körperlich anstrengende Arbeit tat ihm gut, auch wenn er sich zahlreiche Schnittwunden an den Händen zuzog, da es ihm an Werkzeug für solche Arbeiten fehlte. Da legte sich plötzlich kalter Stahl an seinen Hals und drückte sich leicht in die Haut, sodass einige Blutstropfen hervorquollen. Ardun erstarrte. Er wusste, wenn er sich auch nur einen Deut bewegte, würde das Schwert seine Kehle durchtrennen.
Eine hämische Stimme flüsterte ihm selbstzufrieden ins Ohr: »Genug Katz und Maus gespielt, kleiner Scheißer. Jetzt kommst du schön brav mit, damit wir ein bisschen Spaß mit dir haben können, bevor du baumeln darfst.« Dann traf ihn etwas hart am Hinterkopf und ihm wurde schwarz vor Augen.
2
»Du wurdest trainiert, du wurdest getestet und hast es bis hierher geschafft. Nur wenige erblicken jemals die Finsternis dieser Kammer. Deshalb frage ich dich, meine Schülerin, bist du bereit, die Aufgabe zu übernehmen, zu der du erwählt wurdest?«
Sie hob langsam das Haupt, welches sie zuvor in Demut gesenkt gehalten hatte. Ein sanftes Kitzeln prickelte auf ihrer Wange, als eine Strähne ihres langen, schwarzen Haares sich löste und ihr ins Gesicht fiel. Ihre grünen Augen waren weit geöffnet, doch auch wenn sie mit der Fähigkeit der Klarsicht geboren worden war und selbst in tiefster Nacht deutlich zu sehen vermochte, versagte ihr Augenlicht in diesem Raum. Dennoch unterdrückte sie den Drang, wild mit den Augen umherzuzucken, und konzentrierte sich auf einen Punkt Schwärze. Auch zitterte ihr Körper nicht, obwohl sie nackt auf dem kühlen Steinboden kniete, denn ihr Wille war stärker als die Kälte, die sie zwar spürte, welche ihr aber nichts anhaben konnte. Sie war eine Kriegerin. Nein, sie war sogar mehr als das. Ihr Körper war gestählt und doch nicht muskulös, sondern von betörender Weiblichkeit, ihr Wille war stark wie ein unbändiges Feuer und, noch viel wichtiger, sie war niemand. Der Ort der Aufnahmezeremonie war nicht umsonst gewählt, sondern mit Absicht ein Hort der völligen Dunkelheit.