Название | Einführung in die Psychomotorik |
---|---|
Автор произведения | Klaus Fischer |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783846348024 |
Die funktionale Perspektive
Die klassische Perspektive ist eher funktional ausgerichtet; sie umfasst den ursprünglichen Ansatz der Psychomotorischen Übungsbehandlung von Kiphard, das Konzept der Klinischen Psychomotorischen Therapie (Jarosch et al. 1993) sowie, aus der engen Zusammenarbeit mit Inge Flehmig am Institut für Kindesentwicklung in Hamburg, die Sensorische Integrationstherapie von Ayres (1984, 1998) in der Weiterentwicklung von Brand et al. (1985) sowie Kesper und Hottinger (1992, 2015), die Bewegung als Funktionsgeschehen betrachten. Hauptkriterien der funktionalen Perspektive sind: Gewandtheit, Wohlkoordiniertheit,Rhythmus, Sicherheit, Tempo, Kraft, Ausdauer, Tonusregulation. Der Ansatz orientiert sich traditionell stärker an der medizinisch-defizitorientierten Sichtweise, in der die vier Stationen Ursachendiagnostik, Therapieindikation, Durchführung der Therapie und Erfolgskontrolle programmatisch durchgeführt werden. In der Psychomotorischen Übungsbehandlung ist die Gruppentherapie mit ihrer sozialen Wechselwirkung von Anfang an wesentlich für den Erfolg. Sie zielt nicht nur auf die Verbesserung bestimmter Teilfunktionen. Das Kind soll durch die gezielte Sinnes- und Bewegungsschulung in seiner gesamten Persönlichkeit gefördert werden. Neuere Konzeptentwicklungen nehmen Bezug zur Systemtheorie (etwa Brüggebors, 1992), eröffnen eine ganzheitlich-dialogische (Kiesling 1999) oder eine symbolische Perspektive in Bezug auf die französische Psychomotorik (Esser 2011;Lapierre/Aucouturier 2002).
Die erkenntnisstrukturierende Perspektive
Die erkenntnisstrukturierende/kompetenztheoretische Perspektive:Dieser stärker an (kognitiven) Kompetenzen orientierte Ansatz, den u.a. Schilling (1977a) und Zimmer (1981a) vertreten, lässt sich entwicklungstheoretisch auf Piaget (1975) zurückführen und enthält lernpsychologische Regeln. Bewegung wird als Strukturierungsleistung und als wichtiger Teil der Handlungsfähigkeit betrachtet. Um Bewegungsmuster zu generalisieren und sich dadurch der sich stetig verändernden Umwelt anzupassen, muss die Wahrnehmung des Kindes in einem Lernprozess umstrukturiert werden. Nach diesem Ansatz ist die Differenzierung von Wahrnehmungs- und Bewegungsmustern die wichtigste Grundlage der Handlungsfähigkeit. Dementsprechend findet der Ansatz eine starke Anwendung in der frühen Förderung, vor allem in vorschul-, grundschul- und heilpädagogischen Kontexten. Die Frage nach den Kompetenzen wird in den letzten Jahren stärker auf Aspekte des subjektiven Bewegungserlebens und die dahinterstehenden sozial-emotionalen Lebensthemen ausgeweitet. Die Konzepte der kindzentrierten psychomotorischen Entwicklungsförderung nach Zimmer (2012) und der psychomotorischen Entwicklungstherapie nach Krus (2004a) integrieren Erkenntnisse der nichtdirektiven Spieltherapie sowie der Selbstkonzepttheorien. Inhaltlich geht es in dieser Perspektive um die Stärkung eines positiven Selbstkonzeptes durch Selbstwirksamkeitserfahrungen in Problemlösesituationen durch Handeln. Insofern habe ich diesen Zugang in früheren Klassifikationen als identitätsbildende Perspektive bezeichnet (Fischer 2001a, b).
Der Verstehende Ansatz
Eine Besonderheit ist der Verstehende Ansatz von Seewald (2007). Er favorisiert eine phänomenologische Grundlegung und integriert tiefenpsychologische Aspekte. Gegenstand der Methode sind Bewegungs- und Spielsituationen, in denen Lebensthemen bespielt werden können. Es geht um das Ausleben von Erlebnissen, Gefühlen und Bedürfnissen der Kinder. Es werden Geschichten und Spielsituationen inszeniert, um ein dialogisches Verstehen der dahinterstehenden Lebensthemen zu ermöglichen.
Die ökologischsystemische Perspektive
Die ökologisch-systemische Perspektive: Dieser Ansatz zielt auf eine Perspektivenerweiterung, da das Kind nicht länger individuumszentriert, sondern im Zusammenhang mit seiner Umwelt betrachtet wird. Zur Entwicklung braucht das Kind Sozialpartner, vor allem die Eltern, Geschwister und Gleichaltrigen sowie die Zeit und den Raum für gemeinsame Aktivität. Somit wird Bewegung zum sozialen und sozialräumlichen Phänomen, weil ein Verstehen der kindlichen Verhaltensweisen nur im Kontext sinnvoll ist (Fischer 1996b, d). Das neue Interesse des Pädagogen oder Therapeuten richtet sich auf den partnerschaftlichen Dialog in der Fördersituation, um die dominierenden Lebensthemen des Kindes zu verstehen (Seewald 1993) und entwicklungsfördernde Angebote zu machen. Das Interesse richtet sich aber auch auf die Frage, unter welchen Bedingungen (z.B. bei Überforderungen) Probleme sichtbar werden und wie Lebensräume (z. B. Spielräume) und Beziehungen gestaltet sein müssen, um eine Vermittlung zwischen individuellen, sozialen und kulturellen Anforderungen zu ermöglichen (Balgo 1998a, 2004, 2009).
Die dargestellten Perspektiven sind fachhistorisch nacheinander entstanden, setzen in der Betonung der zu erklärenden Aspekte im Theorie-Praxis-Bezug der Psychomotorik unterschiedliche Schwerpunkte. Im Praxisfeld existieren sie praktisch nebeneinander. So geht es in der „Ansatzdiskussion“ (Seewald 2009) eher um eine komplementäre Erklärungsweise und die psychomotorischen Forscher verfolgen heute eine integrative oder mehrperspektivische Vorgehensweise (Richter-Mackenstein 2014), was in eine veränderte Fachsystematik einmündet (Abb. 4).
Allgemeine Grundlagen• Historische Perspektive des Faches• Gesellschaftliche Funktion• Wissenschaftstheorie• Methodologie | ||
Themenfelder• Wahrnehmung/Bewegung• Körper/Leib/Embodiment• Entwicklung• Gesundheit• Diagnostik• Gesellschaftlicher Bezug | Paradigmen und Perspektiven/Ansätze Entwicklungsförderung• Funktionale Perspektive• Kompetenztheoretische Perspektive• Verstehender Ansatz• Ökologisch-systemische PerspektiveGesundheitsförderung Therapie Bildung/ Erziehung | Angrenzende Fachdiskurse• Sportpädagogik• Heil- und Förderpädagogik; Reha-Wissenschaften• Kindheitswissenschaften• Teilgebiete der Psychologie• Teilgebiete der Medizin• Entwicklungs-/Neurowissenschaften• PM in Europa• Adapted Physical Activity• Körperpsychotherapie |
Praxis Qualitätsentwicklung und Evaluation, z. B.:• Effekte- und Wirkungsforschung• spezifische und unspezifische Wirkfaktoren• Fallstudien |
Abb. 4: Weiterentwicklung des Faches Psychomotorik/Motologie (Seewald 2007; Fischer 2017)
Die Etablierung der Psychomotorik als Wissenschaftsdisziplin führte schließlich zu zahlreichen Schwerpunkten in Hochschulausbildungen der Lehrerbildung und in Studiengängen für psychosoziale Berufe, Kindheitswissenschaften und der Behindertenarbeit (z. B. in Bochum, Braunschweig-Wolfenbüttel, Darmstadt, Dortmund, Emden, Koblenz, Köln). Gegenwärtig gibt es zahlreiche Bestrebungen, die Konzepte in konsekutive Bachelor-Master-Modelle zu integrieren und auch die Motopädenausbildung zu akademisieren. Auf vier der Studiengangsentwicklungen wird nachfolgend wegen der konzeptionellen Besonderheiten überblicksartig hingewiesen. Zur Vertiefung sei auf die Homepages (Adressen im Anhang) verwiesen.
■ Der Masterstudiengang Motologie (Universität Marburg) integriert seit 2006 einen Studienschwerpunkt in Körperpsychotherapie in der Arbeit mit Erwachsenen und akzentuiert die Themenbereiche der Gesundheitsförderung und der Organisationsentwicklung (Wolf 2010a, b, 2016). Für Seewald (2010) hat diese Erweiterung neben inhaltlichen auch studienstrategische und berufspolitische Gründe.
Studiengangsentwicklungen
■ Eine Verknüpfung motologischer Inhalte mit Grundlagen anderer Gesundheitsberufe im Schnittfeld von Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention bietet der Interdisziplinäre Bachelorstudiengang Physiotherapie – Motologie – Ergotherapie an der Hochschule Emden/Leer (FH). Dieser zielt darauf ab, die Kooperation der im Gesundheitswesen tätigen Professionen Physiotherapie, Motologie und Ergotherapie transdisziplinär zu vernetzen, ohne das fachspezifische Profil zu vernachlässigen. Inhaltlich stellt der Studiengang ein bio-psycho-soziales Menschenbild in den Mittelpunkt seines Konzepts.
■ Die Neuorientierung der Bildungslandschaft in der Bundesrepublik Deutschland hat ein Zusammenwachsen der vorschulischen und der Grundschulausbildung in den Fokus des Interesses gebracht. Exemplarisch genannt seien die Bildungspläne des Landes Nordrhein-Westfalen (MGFFI & MSW 2010) und Hessen (HSM & HKM 2011), die einen Bildungsplan bzw. Bildungsgrundsätze für Kinder von null bis zehn Jahren aus einem Guss formulieren. Dieses wirft Schlaglichter auf eine veränderte Ausbildung von