Название | Einführung in die Psychomotorik |
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Автор произведения | Klaus Fischer |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783846348024 |
Für eine fachliche Vertiefung sei auf Fonseca (2004), Neto (2004) und Martins (2006) verwiesen.
Niederlande
In den Niederlanden ist der Terminus Psychomotorische Therapie (PMT) vorherrschend. Nach Bosscher (2006) sowie Bosscher/Probst (2001) etabliert sich die PMT historisch zuerst im psychiatrischen Kontext und wird dabei vor allem durch die „aktivere Krankheitsbehandlung“ psychiatrischer Patienten des deutschen Psychiaters Simon (1929) beeinflusst. Entsprechend übernimmt sie den Terminus „Aktivere Therapie“. Dahinter verbirgt sich die aus heutiger Sicht durchaus ressourcenorientierte Vorgehensweise, den „gesunden Teil“ des Patienten durch Arbeit, Körperübungen und Erholung zu aktivieren, wodurch das bisherige Fehlen von sinngebenden Aktivitäten in den psychiatrischen Krankenhäusern ausgeglichen werden sollte. Nach einer bewertenden Übersicht von van Praagh (2003) handelt es sich bei der Aktiveren Therapie bereits um einen systematisch durchgeführten therapeutischen Ansatz, denn es werden nach den Kriterien nötige Konzentration, Maß an selbstständigem Denken und Grad der Verantwortlichkeit fünf Niveaus unterschieden, auf denen mit den Patienten gearbeitet werden kann. Ausgehend von diesem Basiskonzept wird in den Jahrzehnten nach dem zweiten Weltkrieg systematisch ein Therapiekonzept entwickelt, das von den Wirksamkeiten der Bewegungsaktivitäten ausgeht und unter Hinzunahme anthropologischer und phänomenologischer Erkenntnisse ein umfassendes Erkenntnisinteresse entwickelt (Gordijn et al. 1975) und sowohl pädagogische als auch therapeutische Anwendungsfelder begründet (vgl. Bosscher 2006, 240; Emck 2004).
Der aktuelle psychomotorische Ansatz wird als eine Sichtweise beschrieben, die sowohl bewegungsorientierte als auch körperorientierte Behandlungsweisen integriert. Obwohl in der Praxis entstanden, etabliert sich die PMT in den Niederlanden zunehmend als theoriegeleitetes Konzept, das zudem in einem Zwei-Wege-System studiert werden kann. Weg eins führt über ein praxisorientiertes BA-Studium (vier Jahre) an den Fachhochschulen Windesheim in Zwolle und Arnheim Nijmegen und anschließender mindestens zweijähriger Berufspraxis zu einem Master-Abschluss. Der zweite Weg führt als wissenschaftliches Studium über den Bachelor of Science in Bewegungswissenschaften an der Freien Universität Amsterdam und anschließender (mindestens) zweijähiger Berufspraxis zu einem Master of Arts an der FH Windesheim/Zwolle. Aufgrund des sich wandelnden Anspruches im Gesundheitswesen verbunden mit einem erhöhten Kostendruck steigern sich die Anforderungen an die wissenschaftlichen Kompetenzen der Absolventen. Die Forderungen nach Qualitätssicherung und Effektivitätsnachweisen lassen die holländischen Kollegen mit ihren Partnern im Europäischen Forum für Psychomotorik bzw. den Hochschulausbildungsstätten der Nachbarländer zusammenrücken (vgl. Bosscher 2006, 246; Fischer 2006, 238).
Belgien
Enge konzeptionelle Verbindungen bestehen zum flämischen Teil Belgiens. Hier ist – wie in den Niederlanden – die psychomotorische Ausbildung seit etwa den 1980er Jahren universitär ausgerichtet (Leuwen) und den Fakultäten für Bewegungswissenschaften zugeordnet. Nach Simons (2000a, b) können in der PMT zwei Richtungen unterschieden werden. Die eine platziert sich im Rahmen der allgemeinen Therapiediskussion zwischen neurobiologischen, phänomenologischen und verhaltenstherapeutischen Modellvorstellungen, die andere Richtung entspricht dem holländischen Modell einer spezifischen und eigenständigen Behandlungsform mit den entsprechenden Erklärungsansätzen. Das belgisch-wallonische Ausbildungssystem folgt eher dem französischen Muster mit recht unterschiedlichen berufsspezifischen Akzentsetzungen zwischen Therapie und Pädagogik. Interessant ist, dass insbesondere der Ansatz von Aucouturier eine starke Berücksichtigung in der psychomotorischen Therapie gefunden hat.
Luxemburg
Die psychomotorische Erziehung in Luxemburg untersteht dem Erziehungsministerium und wird von einer kleinen Gruppe von Spezialisten, die meistens eine Aus- oder Weiterbildung in Frankreich oder Deutschland genossen haben, in unterschiedlichen Ausbildungsbereichen (Vorschule, Schule, klinischer und rehabilitativer Bereich) vertreten. Dabei hat das mehrsprachige Luxemburg schon immer eine Mittlerfunktion zwischen den deutschen und französischen Konzeptentwicklungen in Europa innegehabt. Robert Decker analysiert seit den 1960er-Jahren die spezifischen Entwicklungen und macht die psychomotorischen Prinzipien als Grundelemente für die Aus- und Fortbildung in Luxemburg nutzbar (Decker 1967; 1984; 2002). Schon im Jahre 1983 wird der „Letzeburger Aktiounskrees Psychomotorik“ (LAP) gegründet. Die therapeutischen Arbeitsfelder werden heute eher von in Frankreich ausgebildeten Psychomotoriktherapeuten, die pädagogischen eher von in Deutschland ausgebildeten Spezialisten besetzt. In jüngster Zeit wird die Frage der Sozialen Gerechtigkeit unter besonderer Berücksichtigung des Themas „Kinderarmut und Bildung“ diskutiert (Caritas Luxembourg 2008). Achten et al. (2008) nehmen dabei eine kindorientierte Perspektive ein und weisen der Bewegung/Psychomotorik eine herausragende Rolle für die nationale Bildungsdiskussion zu. Insbesondere in der (Vor-)schulischen Erziehung der drei- bis sechsjährigen Kinder (classe précoce und classe d’éducation préscolaire) hat die Vermittlung psychomotorischer Handlungskompetenzen – etwa durch das Konzept der Neuen Bewegungsbaustelle (Miedzinski/Fischer 2006) – Fuß gefasst (Koppes 2007).
Schweiz
Das schweizerische Psychomotorikkonzept ist ursprünglich durch eine enge Zusammenarbeit der Tanzpädagogin Suzanne Naville und des Psychiaters de Ajuriaguerra entstanden, hat sich aber von dem ursprünglich klinischen Vorbild Frankreichs sehr schnell zu einer anerkannten Ausbildung zum Psychomotorik-Therapeuten mit einer Qualifikation für den heilpädagogischen Bereich entwickelt. In der Schweiz werden in Zürich, Basel und Genf die Ausbildungen in Psychomotorischer Therapie auf Hochschulebene vermittelt. Von der heutigen Warte zurückblickend muss festgestellt werden, dass sich die klassische Klientel (nicht nur) in der Schweiz grundlegend verändert hat. Hartmut und Susanne Amft (2003) weisen mit ihrer groß angelegten Studie zu über 1300 Psychomotoriktherapien in der deutschen und französischen Schweiz mit Kindern im Grundschulalter nach, dass die Klientel der mit Psychomotorik geförderten Kinder umdefiniert werden muss. Nicht mehr Kinder mit „Bewegungsschwierigkeiten“ sind Hauptklientel der Psychomotorischen Therapie (so der offizielle Begriff in der Schweiz), sondern „Kinder mit komplexen Auffälligkeiten und Störungen, welche auf psychosozial bedingte Ursachen- und Entstehungszusammenhänge hinweisen. Diese Kinder sind nicht behindert, sondern sie weisen problemanzeigende Verhaltensweisen auf. Der heilpädagogische Auftrag beinhaltet daher nicht in erster Linie die Förderung von Bewegungskompetenzen, sondern von psychosozialen Bewältigungsressourcen. Dies sollte Konsequenzen für das Selbstverständnis und die paradigmatische Zuordnung der PMT haben“ (Amft/Amft 2003, 30–31). Entsprechend hat die Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik in Zürich ab dem Studienjahr 2006 das Curriculum verändert und bietet einen interdisziplinär ausgerichteten Bachelor-Studiengang „Psychomotoriktherapie“ an, der den neuen fachwissenschaftlichen Qualifikationskriterien entspricht (Amft et al. 2013). Ein weiterer BA-Studiengang wurde an der Hochschule für Soziale Arbeit in Genf eingerichtet.
Österreich
Österreich folgt stark dem Entwicklungsweg Deutschlands und versucht Psychomotorik durch die bevorzugte Verwendung der Begriffe Motologie und Motopädagogik eher wissenschaftlich-universitär mit einer Akzentsetzung im (heil/sonder-)pädagogischen Feld zu etablieren. Ein interdisziplinär und international begleiteter Modell-Studiengang an der Donau-Universität Krems und der Niederösterreichischen Landesakademie St. Pölten entwickelt in den Jahren 1996–1998 ein Fachcurriculum nach europäischem Standard (zu den Ergebnissen s. Weiß/Ullmann 2003). Leider ist der Abschluss anfangs trotz hoher Qualität national nicht anerkannt. Ab dem Wintersemester 2001/2002 wechselt der Studiengang an die Universität Wien. Heute ist die Ausbildungssituation in Österreich verändert. Die Universität Wien bietet einen vollwertigen Masterstudiengang (Weiß 2018) als Universitätslehrgang Psychomotorik an und auch die Donauuniversität Krems einen sechssemestrigen Universitätslehrgang Mototherapie (Ullmann 2003). Auch die Fortbildungskonzeption zur „Zusatzqualifikation Motopädagogik“ des 1993 gegründeten Aktionskreises Motopädagogik Österreich (akmö) nach ursprünglichem Vorbild des Aktionskreises Psychomotorik e.V. in Deutschland (Stehno 1997)