Название | Soziale Netzwerke |
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Автор произведения | Jan Arendt Fuhse |
Жанр | Социология |
Серия | |
Издательство | Социология |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783846345634 |
Soziale Netzwerke werden vor allem qualitativ rekonstruiert auf der Basis einer ethnographischen Einbettung der Ethnologen in ihren Forschungsgegenstand (siehe 9.3). Erst spät übernehmen die Ethnologen die quantitativen Methoden der ➔formalen Netzwerkanalyse.
2.9 Résumé
Der kurze Überblick über die Entwicklung der Netzwerkforschung ist nun abgeschlossen. Dabei ging es im Rahmen dieses Lehrbuchs vor allem um einen Überblick über wichtige Themen und um, die Herangehensweisen der frühen Autoren der Netzwerkforschung. Mit diesem Überblick zeigt sich: Schon bis zu den 1950er-Jahren wurden alle vier in diesem Buch behandelten Ansätze verfolgt:
(1) | Anstöße für die Theorie sozialer Netzwerke (Kapitel 11) kommen aus der formalen Soziologie von Georg Simmel, dem symbolischen Interaktionismus, der Figurationssoziologie von Norbert Elias und der Gruppentheorie von George Caspar Homans. Anschließend wurde die Theoriearbeit eher vernachlässigt. |
(2) | Viele frühe Arbeiten untersuchen Netzwerke eher qualitativ (Kapitel 9). Dazu gehören die ethnographischen Methoden der Sozialanthropologie, aber auch historische Quellenstudien bei Elias. |
(3) | Die Gemeindestudien um Warner und die frühen Survey-Studien von Lazarsfeld betrachten Zusammenhänge zwischen Sozialbeziehungen und individuellen Kategorien und Einstellungen mit statistischen Analysen ➔ego-zentrierter Netzwerke (Kapitel 8). |
(4) | Morenos Soziometrie und die Gruppenstudien um Lewin und Mayo führen zur ➔formalen Netzwerkanalyse, also zur graphentheoretischen und formal-mathematischen Analyse von Netzwerkstrukturen innerhalb[38] abgeschlossener und einigermaßen überschaubarer sozialer Kontexte (Kapitel 3–7). |
Zugleich zeigt der Überblick, wie unübersichtlich die Wurzeln der Netzwerkforschung sind. Zum einen bauen die verschiedenen Stränge der Netzwerkforschung nur wenig aufeinander auf. Simmel, Radcliffe-Brown, die Gestaltpsychologen und mit Abstrichen Moreno scheinen praktisch unabhängig voneinander das Denken in sozialen Konstellationen zu entwickeln. Auch bei Elias und Homans fehlen Hinweise auf Vorgänger für ihre Ansätze. Zumindest die formale Soziologie war aber im deutschen Sprachraum zwischen den Weltkriegen so bekannt, dass sicher Elias (indirekt über Mannheim), Moreno und die Gestaltpsychologen damit in Berührung kamen.
Wir können die Einflussbeziehungen zwischen den frühen Ansätzen der Netzwerkforschung selbst als Netzwerk darstellen (Abbildung 3). Dabei fungieren einzelne Autoren oder Gruppen von Autoren als Akteure. Die Beeinflussung läuft immer nur von frühen zu späteren Ansätzen und ist deswegen mit gerichteten Pfeilen markiert.
Zum anderen finden wir viele Quereinsteiger in die sozialwissenschaftliche Netzwerkforschung (Moreno, Homans, später z. B. Harrison White). Auch dies belegt die Anziehungskraft des strukturellen Denkens über die Disziplinen hinweg (Ethnologie, Soziologie, Psychologie, Politikwissenschaft, etc.).
Gemeinsam ist den verschiedenen Ansätzen und Perspektiven das, was Linton Freeman die »strukturelle Intuition« nennt (2004: 3): Akteure werden nicht isoliert gedacht, sondern in Austauschbeziehungen mit anderen [39] Akteuren. Und diese Einbettung von Akteuren bzw. die Struktur zwischen ihnen entscheidet über viele soziale Prozesse. Diese strukturelle Intuition führt aber nicht nur zur formalen Netzwerkanalyse, sondern auch zu vielen anderen Herangehensweisen.
Abb. 3: Netzwerk der frühen Ansätze in der Netzwerkforschung
Quelle: Eigene Darstellung
Leseempfehlungen:
Barnes, J. A.: »Class and Committees in a Norwegian Island Parish« Human Relations 7, 39–58.
Elias, Norbert 1970: Was ist Soziologie?, Weinheim: Juventa.
Fine, Gary Alan/Sherryl Kleinman 1983: »Network and Meaning: An Interactionist Approach to Structure« Symbolic Interaction 6, 97–110.
Freeman, Linton 2004: The Development of Social Network Analysis, Vancouver: Empirical Press.
Fuhse, Jan 2006: »Gruppe und Netzwerk; Eine begriffsgeschichtliche Rekonstruktion« Berliner Journal für Soziologie 16, 245–263.
Häußling, Roger 2010: »Relationale Soziologie« in: Christian Stegbauer/ Roger Häußling (Hg.): Handbuch Netzwerkforschung, Wiesbaden: VS, 63–87.
Mitchell, J. Clyde 1969: »The Concept and Use of Social Networks« in: ders. (Hg.): Social Networks in Urban Situations, Manchester: Manchester University Press, 1–50.
Schnegg, Michael 2010: »Die Wurzeln der Netzwerkforschung« in: Christian Stegbauer/Roger Häußling (Hg.): Handbuch Netzwerkforschung, Wiesbaden: VS, 21–28.
Scott, John 2000: Social Network Analysis; Second Edition, London: Sage.
2 Eine ausführlichere Betrachtung der Entwicklung der Netzwerkforschung – auch mit einer Betrachtung der frühen Wurzeln – findet sich bei Linton Freeman (2004).
3 In der Zeitschrift schlugen Elaine Forsyth und Leo Katz 1946 erstmals vor, Morenos Soziogramme in der Form von ➔Matrizen zu repräsentieren und zu untersuchen. Moreno selbst stand diesem Vorschlag kritisch gegenüber.
3. [41]Graphen und Matrizen
Wenden wir uns nun der ➔formalen Netzwerkanalyse, also der Untersuchung von Mustern von Sozialbeziehungen in einem abgeschlossenen Kontext mit formalen mathematischen Verfahren zu. Wie bereits angesprochen, bildet die formale Netzwerkanalyse den Kern der Netzwerkforschung in den Sozialwissenschaften. In diesem Kapitel stelle ich die Grundlagen vor. Dabei geht es um:
Netzwerkgraphen und -matrizen (3.1),
Software für die Netzwerkanalyse (insbesondere das Programm UCI- NET, das wir hier benutzen; 3.2),
die Messung von Netzwerken (3.3)
und die Dichte und die Reziprozität als erste Maßzahlen von Netzwerken (3.4).
In den nächsten Kapiteln folgen Verfahren für den Vergleich individueller Positionen (4), für die Untersuchung lokaler Strukturen (Cliquen und Triaden, 5) und die Blockmodellanalyse als Methode der Untersuchung der Gesamtstruktur von Netzwerken (6).
3.1 Graphen und Matrizen
Mit seiner Soziometrie führte Jacob Moreno die Darstellung von Netzwerken mit Hilfe von vereinfachten Graphen ein. Diese haben wir bereits in der Einleitung kurz kennen gelernt (1.1).
In solchen Graphen werden Akteure als Punkte markiert.
Die Beziehungen zwischen ihnen werden als einfache Linien (Verbindungen) oder als Pfeile abgebildet.
In der Netzwerkforschung spricht man auch von Akteuren als »Knoten« und von Beziehungen als »Kanten« zwischen ihnen (im Englischen: »nodes« und »edges«).
Betrachten wir hierfür ein relativ einfaches Netzwerk, das uns im Folgenden häufiger als Beispiel dient. Es handelt sich um die Sozialbeziehungen zwischen den Mitarbeitern einer kleinen amerikanischen Software-Firma, die David Krackhardt in den 1980er-Jahren untersuchte