Soziale Netzwerke. Jan Arendt Fuhse

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Название Soziale Netzwerke
Автор произведения Jan Arendt Fuhse
Жанр Социология
Серия
Издательство Социология
Год выпуска 0
isbn 9783846345634



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seiner Balance-Theorie wichtig. Den Lewin-Schülern Dorwin Cartwright und Frank Harary zufolge lassen sich Heiders Überlegungen auf reine Beziehungskonstellationen übertragen (1956): Drei Akteure haben entweder nur positive Beziehungen untereinander (z. B. Freundschaft). Oder sie haben zwei negative Beziehungen und eine positive – ich werde mich also mit dem Feind meines Feindes verbünden, oder mich mit dem Feind meines Freundes oder Verbündeten ebenfalls verfeinden. Der erste Fall heißt »positiveTransitivität«, der zweite »negative Transitivität« ( Tabelle 1).

      Positive Beziehungen sind mit [+], negative mit [-] markiert.

      Quelle: Eigene Darstellung

      [30] Definition: Netzwerkstrukturen sind in Balance in dem Maße, in dem die Beziehungen zwischen Akteuren konsistent positiv oder negativ sind. Positiv transitiv sind Netzwerke, wenn Akteure positive Beziehungen miteinander haben, die auch indirekt positiv verbunden sind. In negativ transitiven Netzwerken ist eine Sozialbeziehung negativ, wenn die Beteiligten indirekt über je eine positive und eine negative Beziehung verbunden sind, und sie ist positiv, wenn die Beteiligten indirekt über zwei negative Beziehungen verbunden sind.

      Unterschiedliche Beziehungskonstellationen lassen sich nun daraufhin untersuchen, wie ausbalanciert sie sind. Netzwerke sind in Balance, wenn die beteiligten Akteure ➔Triaden mit positiver und negativer Transitivität bilden. Aus der Balance-Theorie ergeben sich zwei Hypothesen:

(1)Netzwerke neigen dazu, sich durch die Formierung von neuen Beziehungen oder die Auflösung von alten Beziehungen auszubalancieren.
(2)Bestehende Netzwerkstrukturen sind überwiegend ausbalanciert.

      Beide Hypothesen sind in empirischen Studien etwa in Schulklassen recht gut belegt. Allerdings gelten sie hauptsächlich innerhalb abgeschlossener Kontexte, in denen man etwa dem Feind eines Freundes nicht einfach aus dem Weg gehen kann (Martin 2009: 42ff).

      Lewin, Festinger und Cartwright forschten ab 1945 am neu gegründeten Center for Group Dynamics am Massachusetts Institute of Technology (MIT), das ein wichtiges Zentrum für die Untersuchung von Gruppenprozessen wurde.

      Seit circa 1930 initiierten Elton Mayo und W. Lloyd Warner an der Harvard University – in direkter Nachbarschaft des MIT – die Untersuchung von Netzwerken in Organisationen und in Gemeinden (siehe nächster Abschnitt).

      Mayo und Warner kamen beide aus Australien und waren dort während ihres Studiums in Kontakt mit dem strukturalen Denken des Anthropologen A. R. Radcliffe-Brown gekommen (Scott 2000: 16ff; siehe 2.8). Der Fokus der Forschung von Elton Mayo lag auf der Entwicklung von Organisationen (Unternehmen, Verwaltung etc.). Dabei ging es um die Optimierung von Arbeitsprozessen. Dafür wurden informale Strukturen von Freundschaften zwischen Mitarbeitern als wichtig erachtet. Entsprechend untersuchte Mayo mit seinem Team informale Beziehungen, die sie als »human relations«[31] bezeichneten. Aus diesem Ansatz wurden einige empirische Studien wichtig für die Netzwerkforschung:

       Die Hawthorne-Studie – behandelt die Arbeitsorganisation und informalen Beziehungen in einem Elektrizitätswerk. Die Autoren rekonstruieren hier unter anderem informale Beziehungen (Freundschaften, Antagonismen) und die Beteiligungen an sozialen Ereignissen (Spielen, Konversationen, praktischen Hilfen) zwischen den 14 Arbeitern im sogenannten »Bank Wiring Room« (Roethlisberger/Dickson [1939] 1964: 501, 503f, 506f).

       Mayos Kollege William Foote Whyte untersuchte informale Beziehungen in einer Straßengang in Boston – ebenfalls mit frühen Soziogrammen, aber ohne statistische Analysen ([1943] 1993: 13, 49, 156, 184, 188).

       In der von Lloyd Warner angeleiteten Gemeindestudie Deep South wurden die Cliquenstrukturen zwischen afro-amerikanischen Frauen in »Old City« untersucht (Davis et al. 1941: 147ff). Deren Zugehörigkeit zu ➔Cliquen zeigte sich in der gemeinsamen Teilnahme an Veranstaltungen.

      Hier finden wir das erste Beispiel für ein sogenanntes ➔Two-Mode-Netzwerk: In dem Netzwerk gibt es zwei Arten von Knoten: Akteure und Ereignisse. Beziehungen laufen immer von Akteuren zu Ereignissen und umgekehrt – nie direkt zwischen zwei Knoten der gleichen Art. Die Afro-Amerikanerinnen sind also untereinander nur über die gemeinsame Teilnahme an Ereignissen verbunden (und die Ereignisse umgekehrt nur über die Afro-Amerikanerinnen; Tabelle 2). Um die Zugehörigkeit der Frauen zu Cliquen zu rekonstruieren, sortierten Davis und seine Ko-Autoren die Reihen für die Akteure und die Spalten für die Ereignisse in der Netzwerkmatrix neu. Akteure mit gemeinsamer Teilnahme an Ereignissen und Ereignisse mit den gleichen Akteuren wurden jeweils nebeneinander platziert. Auf diese Weise zeigt Tabelle 2 eine tendenzielle Trennung der Frauen und ihrer Treffen in zwei sich leicht überlappende Cliquen.

      Solche Two-Mode-Netzwerke werden in der Netzwerkforschung häufig analysiert. Sie zeigen gegenüber den üblichen Netzwerken mit nur einer Art von Knoten ganz bestimmte Eigenschaften. Two-Mode-Netzwerke lassen sich einfach in zwei getrennte Netzwerke überführen. Zum Beispiel könnten wir das Netzwerk der Frauen in Old City rekonstruieren, indem wir die Beziehung zwischen zwei Frauen immer dann als Beziehung codieren, wenn beide gemeinsam an mindestens einem (zwei, drei …) Ereignissen teilgenommen haben.

      [32]Definition: In einem ➔Two-Mode-Netzwerk sind zwei verschiedene Arten von Knoten (z. B. Akteure und Ereignisse) wechselseitig verbunden (also nur Ereignisse mit Akteuren). Knoten der gleichen Art sind nur indirekt über die Knoten der zweiten Art verknüpft

      Quelle: Davis et al. 1941: 148

      [33]Eine wichtige theoretische Synthese legte ein junger Kollege von Warner und Mayo in Harvard, George Caspar Homans, in seinem Buch The Human Group vor ([1950] 1992). Homans kam aus der Literaturwissenschaft und wurde später vor allem durch seine Verhaltenstheorie bekannt.

      Schon in The Human Group entwickelt er eine ganz eigene These auf soziale Konstellationen. Diese baut auf empirisch beobachteten »Ereignissen« oder »Verhalten« auf – nicht auf mit Fragebögen erhobenen Daten. Bei Ereignissen handelt es sich meist um »Interaktion« mit anderen (ohne Referenz auf den symbolischen Interaktionismus). Diese sind mit individuellen Empfindungen oder Emotionen (»sentiments«) unterlegt. Interaktionen verdichten sich in Gruppen, die durch eigene Normen und eine Gruppenkultur stabilisiert werden. Zudem findet sich in Gruppen eine interne Struktur mit Anführern und Rangunterschieden.

      Sowohl die Abgrenzung zwischen Gruppen als auch die internen Strukturen von Gruppen sollen nach Homans mit soziometrischen Verfahren – also mit ➔Netzwerkgraphen und -matrizen analysiert werden. So nimmt Homans etwa die Soziogramme aus dem Bank Wiring Room der Hawthorne-Studie wieder auf ([1950] 1992: 48ff). Homans präsentiert in seinem Buch eine ganze Reihe der verfügbaren Daten zu informalen Gruppenstrukturen und interpretiert sie vor seinem theoretischen Hintergrund. Allerdings fehlen bei ihm – wie bei den anderen diskutierten Beispielen für Human Relations-Studien – formale mathematische Analysen.

      Einen etwas anderen Blickwinkel auf Sozialbeziehungen und Netzwerke verfolgten die frühen Gemeindestudien um W. Lloyd Warner und Survey-Untersuchungen um Paul Lazarsfeld. Hier geht es