Soziale Netzwerke. Jan Arendt Fuhse

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Название Soziale Netzwerke
Автор произведения Jan Arendt Fuhse
Жанр Социология
Серия
Издательство Социология
Год выпуска 0
isbn 9783846345634



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eine Reihe von frühen Arbeiten seines Bekannten Simmel in englischer Übersetzung in den ersten Ausgaben des American Journal of Sociology (Abbott 1999: 88).

      Smalls Nachfolger William Thomas, George Herbert Mead und Herbert Blumer verbanden die formale Soziologie mit dem amerikanischen Pragmatismus von Dewey, James und Peirce zum symbolischen Interaktionismus. Von Simmel kam der starke Fokus auf Wechselwirkungen und soziale Konstellationen; aus dem Pragmatismus stammen eher philosophische und psychologische Einsichten in die subjektive Verarbeitung und Konstruktion von Sinn. Die Verbindung beider Theorien führte zu der Idee, dass Menschen Symbole austauschen und verarbeiten (Blumer [1969] 1986: 2ff). Wie Simmel sahen Blumer und Mead diese symbolvermittelte Interaktion vor allem innerhalb von Gruppen.

      Ein zweiter Wirkungsstrang der formalen Soziologie läuft über Norbert Elias. Im Mittelpunkt seiner Soziologie steht der Begriff der Figuration. Diese steht für ein Geflecht von Interdependenzen zwischen Menschen (oder anderen Einheiten, etwa auch Staaten; Elias 1970: 11f, 140ff). Viele soziale Phänomene wie die Ausscheidungskämpfe zwischen Staaten, der Kalte Krieg, die Königsherrschaft oder Konflikte zwischen ethnischen Gruppen lassen sich Elias zufolge aus diesen Interdependenzen erklären.

      Elias wendet sich einerseits gegen Erklärungsmodelle, die von autonom handelnden Individuen ausgehen, und andererseits gegen holistische Modelle von Gesellschaft als integrierter Einheit (wie in der Systemtheorie). Hier finden sich wichtige Grundgedanken von Georg Simmel, ohne dass Elias dies explizit macht.

      [26]Norbert Elias (1897–1990) ging wie viele deutsche Sozialwissenschaftler während der NS-Herrschaft ins Exil (nach Großbritannien). Erst Ende der 1970er-Jahre wurde Elias durch die Neuauflage seines zweibändigen Werks Über den Zivilisationsprozess bekannt. Andere wichtige Werke behandeln die absolutistische Herrschaft Ludwigs XIV., die deutsche Gesellschaft und Kultur vor dem Nationalsozialismus und die Frage: Was ist Soziologie?

      Elias entwickelt den Begriff der Figuration bereits in den 1930er-Jahren – lange vor dem Netzwerkbegriff. Er geht über den Gruppenbegriff hinaus, weil er die Beziehungskonstellation zwischen mehreren Akteuren betrachtet und zum Beispiel auch Interaktionsstrukturen innerhalb und zwischen Gruppen in den Blick nimmt (etwa in Elias/Scotson [1990] 1965). Später spricht Elias von »Netzwerk« und »Figuration« gleichermaßen (1970: 12 et passim).

      Allerdings ist der Figurationsbegriff bei Elias nicht rein formal angelegt: Als Schüler des Wissenssoziologen Karl Mannheim untersucht Elias soziale Konstellationen verknüpft mit Sinnformen wie Ideologien, Feindbildern und Stereotypisierungen.

      In seinen historischen Studien greift Elias vor allem auf Dokumente und auf Romane als Quellen zurück. Die für die Migrations- und die Stadtsoziologie wichtige Untersuchung Etablierte und Außenseiter (Elias/Scotson; [1965] 1990) benutzt qualitative Verfahren wie Interviews und ethnographische Beobachtungen. Viele der Überlegungen von Elias lassen sich aber auch mit quantitativen Verfahren überprüfen.

      Früher als Elias wurde eine andere Gruppe von Emigranten wichtig für die Entwicklung der Netzwerkforschung. Ganz wesentliche Anstöße erhielt die Netzwerkforschung durch die frühen soziometrischen Arbeiten von Jacob Moreno.

      Jacob Levy Moreno (1889–1974) studierte in Wien Medizin und Psychotherapie, ging aber schon 1925 in die USA (nach New York). Dort entwickelte er in Studien mit Kindern und mit Strafgefangenen eine eigene Methode zur Messung von Gruppenkonstellationen – die Soziometrie.

      Dieses quantitativ angelegte Instrumentarium kommt der ➔formalen Netzwerkanalyse sehr nahe, war aber prinzipiell auf die Therapie von [27]Gruppenprozessen ausgerichtet. Unter anderem entwarf Moreno eine Behandlung mittels Stegreiftheater (Psycho- oder Soziodrama).

      In seinem Hauptwerk Who Shall Survive? von 1936 (deutsch: Die Grundlagen der Soziometrie) umreißt Moreno die Soziometrie als »die allen Sozialwissenschaften zugrunde liegende mikroskopische und mikrodynamische Wissenschaft« ([1936] 1996: 19). Es geht um die Untersuchung von mikrosozialen Konstellationen (und Prozessen), die in einer ganzen Reihe von Wissenschaften (Soziologie, Pädagogik, Politik-, Wirtschafts- und Geschichtswissenschaft) wichtig werden.

      Die theoretische Fundierung von Morenos Überlegungen bleibt dürftig. Dagegen finden sich bei ihm bereits viele ➔Netzwerkgraphen als Kern seiner Analyse ([1936] 1996: 67ff). Mit diesen »Soziogrammen« bildet er die Struktur von Beziehungen in einem Kindergarten, in Schulklassen und in einem Mädchenwohnheim ab. Dabei bietet er schon einige Grundformen von Netzwerkgraphen wie »isolierte Individuen« (A), »Paar« (B), »Dreiergruppe« (C), die »Kette« (D) und den »Stern« (E) an (siehe Abbildung 2). Zum Teil untersucht Moreno diese Beziehungsstrukturen auch schon statistisch, etwa mit Blick auf die Beziehungen zwischen Mitgliedern unterschiedlicher Ethnien.

      Quelle: Eigene Darstellung nach Moreno ([1936] 1996: 69)

      [28]Zurecht gelten die Arbeiten von Moreno heute als Geburtsstunde der formalen Netzwerkanalyse. Auch die von ihm gegründete Zeitschrift Sociometry wurde in der Folge sehr wichtig.3

      Neben Moreno lieferten unter anderem Fritz Heider und Kurt Lewin wichtige Impulse. Diese kamen aus der Gestaltpsychologie – einer Forschungsrichtung, die sich auf das psychische Erkennen von Strukturmustern (»Gestalt«) konzentriert. Beide wendeten sich nach ihrer Emigration in die USA der Sozialpsychologie zu und untersuchten das Wechselspiel zwischen psychischen Vorgängen und sozialen Kontexten.

      Bereits kurz nach seiner Emigration in die USA schlug Kurt Lewin eine Formel vor, der zufolge das individuelle Verhalten von Eigenschaften der Person und von ihrem jeweiligen Umfeld abhängt (1936). Zu diesem Umfeld gehört insbesondere die Einbettung in Relationen mit anderen – das »soziale Feld«. Heute gilt Lewin als einer der Väter der Feldtheorie in den Sozialwissenschaften (Martin 2003). Die Idee ist, dass sich Akteure an Personen in ihrer Umgebung orientieren und ihr Verhalten daran ausrichten. Die Strukturen des Felds lassen sich als Netzwerkbeziehungen analysieren (DiMaggio 1986; Powell et al. 2005). Des Weiteren entwickelte Lewin das Konzept der »Gruppendynamik« (1947): Mitglieder einer Gruppe können sich so gegenseitig beeinflussen, dass sich ihr Verhalten nicht mehr aus den isolierten Eigenheiten und Dispositionen der Beteiligten, sondern aus ihrem Zusammenwirken erklärt.

      Vielleicht der wichtigste Schüler Lewins war Leon Festinger. Für die Netzwerkforschung sind vor allem Festingers Studien von Interesse, die zeigten: Soziale Beziehungen bilden sich meistens dort, wo Menschen aufeinander treffen – also etwa im privaten Wohnumfeld (Festinger et al. 1950: 34ff). Dieses Prinzip wurde später von Scott Feld als Fokus-Theorie verallgemeinert (1981): Soziale Beziehungen entstehen an Orten mit gemeinsamen Aktivitäten – sogenannten ➔»Aktivitäts-Foki« (siehe 10.2).

      Auch Fritz Heider untersucht die soziale Einbettung von Einstellungen. Heider zufolge versuchen wir in unseren Einstellungen gegenüber Objekten [29] in eine Balance mit unserem sozialen Umfeld zu gelangen (1946): Wir bewerten tendenziell solche Objekte positiv, die auch von Mitmenschen positiv bewertet werden, die wir selbst mögen. Zum Beispiel orientieren wir uns an den politischen Einstellungen unserer Freunde und Familienmitgliedern. Umgekehrt sehen wir tendenziell solche Objekte negativ, die auch unsere Freunde nicht mögen. Auch dies ist eine Form möglicher Balance. Eine dritte Form besteht zwischen Menschen, die sich nicht mögen. Von diesen müssten Objekte diametral entgegengesetzt bewertet werden, um ihre Einstellungen in Balance zu bringen. Ein Beispiel hierfür wäre eine Abneigung gegen Personen, die eine uns unsympathische Partei wählen.

      Diese Überlegungen bleiben