Perlen vor die Schweine. Rich Schwab

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Название Perlen vor die Schweine
Автор произведения Rich Schwab
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783862871896



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auf ein besonders stabiles Monstrum von Schlagzeughocker plumpsen und griff sich die Stöcke, die fein säuberlich gekreuzt auf der Snare lagen. Weiß, mit Nylonspitzen. Und natürlich mit türkisem Klebeband verziert. Er klickte den Snareteppich hoch und produzierte einen sauberen Zirkuswirbel. »In’n Starclub, Mann! In Hämbuarch in’n Starclub! Neunzehnsechzig! Einunsechzig! Als der Beat losging!« Und prompt legte er einen trocken swingenden Twist hin, der Chubby Checker ein breites Grinsen entlockt hätte. Seine Hi-Hat blieb geschlossen, weil sein steifes Bein ausgestreckt daneben lag. Aber mit dem gesunden rechten spielte er eine ordentliche Bassdrum. Nach acht Takten floss ihm der Schweiß in Strömen übers Gesicht, und seine Zunge streckte sich wild von einem Mundwinkel zum anderen.

      »Herrjessas, Himmel, Arsch un’ Klötensuppe!«, tönte es plötzlich aus dem Ledermantel in der anderen Ecke. »Ich denk’, da – nu’ is’ Sören mit sein’ Bus in’n Kruuch gedonnert! Un’ dann is’ auch noch mein Bier alle!« Mit einem gekonnten Wirbel über beide Toms beschloss Schneider seine Darbietung. Ich hatte nur ein bisschen Angst, er würde sich dabei auf die Zunge beißen.

      »Kommt sofort, Fritzken, kommt subito!« Mühsam stand er auf und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er wollte die Stöcke schon wieder akkurat an ihren Platz legen, aber dann warf er mir einen schrägen Blick zu. »Willste auch mal, Jong?«, streckte er sie mir generös entgegen. Ich wollte schon dankend abwehren, aber da sah ich die Enttäuschung, die sich in seinem Gesicht ausbreiten wollte. Verlegen grinsend nahm ich die Dinger, als überreichte er mir den Goldenen Schlüssel zur Stadt. Klemmte mich auf seinen Hocker, schraubte die Hi-Hat-Becken auf Abstand. Vorsicht, Büb, sagte ich mir, jetzt hau dem armen Mann nicht sein Schmuckstück in Fetzen! Aber was sollte ich spielen? Ich trommelte ein paar Paradiddle und Sechzehntel-Triolen auf die Snare, um ein Gefühl für die Abstände, die Spannstärke der Felle und die Stöcke zu kriegen, die nicht halb so schwer waren wie meine Kanaldeckels-Knüppel. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Schneider sich auf halbem Weg zu seinem Zapfhahn herumdrehte und mich aufmerksam beobachtete. Na ja, dachte ich, alle alten Schlagzeuger mögen Jazz, bewundern Gene Krupa, Buddy Rich, Art Blakey. Hey – und Joe Morello natürlich! Und schon rollte ich in einen sanften, locker aus dem Handgelenk gespielten Fünf-Viertel-Rhythmus, spielte einen halben Chorus von Brubeck’s Take Five, brummte das Bassriff dazu, kriegte Spaß an der Sache und legte die ersten sechzehn Takte von Morellos Kult-Solo drauf.

      Als ich zwischendurch mal hochblickte, stand der Schießbudenbesitzer mit weit offenem Mund hinter seiner Theke, Unglauben und Bewunderung in den Augen. Aber auch eine gute Portion Neid und Wehmut. Jetzt spiel’ ich doch mindestens zwanzig Jahre länger als dieses langhaarige Früchtchen, konnte ich lesen, aber das werd’ ich mein Lebtag nich’ hinkriegen Schnell wich er meinem Blick aus und beschäftigte sich angelegentlich mit Fritzkens Pils. Scheiße, Büb, ermahnte ich mich, mach hier nicht den Angeber! Flugs verhedderte ich mich bei einem Tomwirbel, schlug auf dem Rückweg gegen die Unterseite des Ride-Beckens und verlor klappernd den rechten Stock.

      »Verdammt!«, schrie ich und sprang auf. »Aber eines Tages werd’ ich’s hinkriegen!« Bemüht, seine Erleichterung zu verbergen, wenn auch nicht ganz erfolgreich, griff Schneider zur Kornflasche.

      »He, mien Jong, dat war doch schon gar nich’ so verkehrt! Da hat der alte Joe auch lange dran geübt! Dat kommt nich’ von heut’ auf gleich! Schon gar nich’ mit Kanaldeckeln, ho ho!« Er hielt mir einen doppelten Korn entgegen. »Komm, ich geb’ einen aus! Hier, Fritzken, kriss auch ein’n auf den Schreck! Auf die wunnäbare Welt der Musik, Kinners!« Synchron kippten wir uns zu dritt den Schnaps in die zurückgelegten Hälse. Männerrituale. Ich hob erst mal den Stock wieder auf, legte das Paar schön über Kreuz auf die Snare, wie es sich gehörte, schaltete den Snareteppich ab und schraubte die Hi-Hat wieder zusammen. Zog den Vorhang zu und machte das Licht wieder aus. Hübsch ordentlich und bescheiden, der Junge aus Köln.

      Dann hockte ich mich wieder an die Theke, wo schon ein frisches Pils auf mich wartete.

      »Weißte«, beugte Schneider sich wieder herüber, »eins kann ich dir aus langer Erfahrung sagen: Ein Schlachzoigä, der muss immer üben. Immer üben! Ein Leben lang! Jackie Jefferson – kennst du, oder? Der vom Ellington –, der hat noch mit über siebzig vor jedem Konzert eine halbe Stunde seine Exi-, eh … Exerzitien gemacht! Inner Garderobe!« Ich nickte mehrmals, als sei das sowieso Grundwissen für unsere Branche. Meines Wissens war der alte Jackie zwar mit knapp sechzig an Fettleber gestorben, und schon zehn Jahre vorher hatte er seinen Job verloren, weil seine Kollegen ihn vor jedem Gig erst mal mit kalten Duschen aus dem Koma holen mussten. Aber das Pils war wirklich sehr lecker.

      »Inner Garderobe!«, bekräftigte Schneiders Vadder sein Sohn. »Jee-deen Tach! Willste no’ ein’n?« Was ’ne Frage. »Ich will dir mal was erzählen, mien Jong …« Ich rutschte auf meinem Hocker in eine bequeme Stellung, drehte mir eine neue Kippe und schlürfte schon mal ein halbes Bier unter dem Schaum weg.

      Leider ging in dem Moment die Tür auf, und Sven Eisenmacher versaute mir einen vielversprechenden Abend.

       6

       Da isser ja

      »Naa, da isser ja!«, grüßte er scheinheilig und schüttelte sich ein paar Schneeflocken von einer sündhaft teuer aussehenden Kalbslederjacke. Aber dann guckte er sich uns kurz genauer an, sah für zwei Gäste erstaunlich viele schmutzige Gläser neben dem Spülbecken stehen und erfasste recht schnell die Lage. Sein professionelles Lächeln ließ ihn ein wenig im Stich, sein Mund schien ein enttäuschtes »Oh« formen zu wollen, und auf seiner Stirn stand Ich hab’ euch gleich gesagt: Nicht diesen versoffenen asozialen Kölner! Sein Abend war wohl auch im Eimer.

      War’n wir halt quitt.

      Aber so what – er war doch nur der Manager, Baggermanns Mädchen für alles – Tourbegleiter, Ombudsmann, Drogenbeauftragter, Finanzverwalter. Und als einer der ersten in unserem Geschäft von Amateuren und Luftikussen hatte er erkannt, dass es durchaus nicht verkehrt war, sich ein paar kaufmännische und juristische Kenntnisse draufzuschaffen und als Band, die all ihr Material selbst schrieb, einen eigenen Musikverlag zu gründen. Das war ihm als BWL studierendem Spross einer alten Hamburger Kaufmannsdynastie auch nicht sonderlich schwergefallen. Also leitete er seit zwei, drei Jahren die IronmakerPublishing GmbH – alle Ausgaben wurden aus der Baggermann-Kasse gezahlt, und von allen Einnahmen sackte er einundfünfzig Prozent ein, schließlich war er entsprechender Mehrheitsinhaber und Geschäftsführer und hatte »die ganze Arbeit am Hals«. Dieses Arrangement war meinen Kollegen möglicherweise noch gar nicht so richtig aufgegangen, vielleicht war’s ihnen aber auch schnurz – von ihrem Anteil der GEMA-Tantiemen konnte man sich einen ziemlichen Klumpen Afghanen leisten. Dass manche in der Branche Eisenmacher »den Jud’« nannten, fanden sie jedenfalls genau so wenig angebracht wie ich.

      Natürlich ließ er sich nur zu einem Sprudel überreden, an dem er spitzmundig nippte, während ich erst mein Bier austrank, dann noch das, was Schneider mir schon angezapft hatte, und meinen Deckel bezahlte. Mit Ach und Krach, aber für’s erste hütete ich mich, Eisenmacher um einen Vorschuss zu bitten – um Kohle würde ich noch früh genug mit ihm feilschen müssen.

      Also schleppte ich mein Gepäck raus zu seinem BMW (erst drei Schritte vor dem Kofferraum bot er mir an, mir ein Stück abzunehmen) und ließ mich auf den schnieken Beifahrersitz fallen. Und natürlich musste er sich aufspielen und ausgerechnet Emerson, Lake & Palmer aufdrehen – aber was hatte ich erwartet? – und halsbrecherisch einen Waldweg voll frischem Schnee entlang schlittern – ein leichtsinniges Reh, und ich könnte mich gleich zu Raimund ins Bett legen. Ich überlegte noch, ob ich ihm zum Spaß auf seine schicken Lederarmaturen reihern sollte, aber da rutschten wir schon zwischen zwei riesigen Totempfählen hindurch und kamen drei Zentimeter vor der Heckklappe des Baggermann-Tourbusses zum Stehen. Natürlich ein fetter Mercedes 608, keine zwei Jahre alt. Ein kleines bisschen neidisch