Perlen vor die Schweine. Rich Schwab

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Название Perlen vor die Schweine
Автор произведения Rich Schwab
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783862871896



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besseres Morgen?

      Ach du Scheiße – morgen! Morgen wird natürlich ein besserer Tag sein, schließlich ist morgen Heiligabend! Weihnachten neunzehnhundertachtzig. Weihnachten! Das Fest der Freude und der Liebe! Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen! Ihr Kinderlein kommet und süßer die Glocken!

       Scheiße.

      Ich drehte mir eine Kippe und beschloss, endlich mit dem Rauchen aufzuhören. Vielleicht nicht direkt nach dieser hier – aber vielleicht, wenn das Päckchen alle war. Oder die beiden anderen, die – für alle Fälle – in dem Köcher mit den Schlagzeugstöcken steckten. Oder jedenfalls spätestens dann, wenn ich herausgefunden hatte, wer dafür verantwortlich war, dass Kathrinchen mit eingeschlagenem Jochbein, zwei fehlenden Zähnen, ein paar Brandwunden, einem gebrochenen Arm, drei gebrochenen Rippen und hässlichen Rissen an den Schamlippen im Klösterchen gelandet ist. In dem gekühlten Raum im zweiten Kellergeschoss, mausetot.

       2

       Kathrinchen amüsiert sich

      Während ich mich mal wieder bemüht hatte, mir die Berufsbezeichnung Schlagzeuger und ein paar Brötchen zu verdienen – zur Abwechslung sogar erfolgreich –, hatte sie wohl mit irgendjemandem ihre zynischen Sado-Maso-Spielchen zu weit getrieben. Zig-mal hatte ich sie gewarnt, dass eines Tages einem ihrer Eisenfressen die Sicherung rausspringen würde, aber sie schleppte immer wieder neue von der Sorte an – Porsche- und Goldwing-Fahrer in unnötig teuren Klamotten, mit überflüssigen Hemdenknöpfen und zu viel Goldschmuck, mit Tätowierungen von Adlern, Tigern und Totenköpfen überall, einer härter als der andere. Alle sahen sie aus wie eine Mischung aus Zuhälter und Fremdenlegionär, auch wenn sie Anwalt, Bauunternehmer oder Diskobesitzer waren, und sogar dann, wenn sie Zuhälter oder Fremdenlegionär waren; und alle griffen sie sich öfter an den Sack als ich nach meinen Kippen. Sie redeten zu laut und warfen zu lässig mit ihrem Geld um sich, sie tranken zu viel aus den Flaschen, die in einer anständigen Kneipe immer ganz oben im Regal stehen, und zu oft kamen sie vom Klo mit einem frischen, nervösen Glitzern in den Augen, ständig die Nase hochziehend, als hätte jemand Niespulver über die Theke geblasen, und erhöhten Pegel und Tempo ihrer dummen Sprücheklopferei.

      Und Kathrinchen amüsierte sich königlich, zog spöttisch ihre linke Augenbraue hoch und den rechten Mundwinkel nach unten und erzählte ihnen, was für aufgeblasene Wichser sie doch seien und wie wenig ihre Hahnenkampfspielchen sie beeindrucken könnten, schließlich sei sie kein Huhn; und dass sie’s trotzdem versuchten, zeige doch erst recht und deutlich, wie doof sie seien; die einzige Hoffnung, die sie habe, sei, dass das alte Sprichwort stimme, wonach Dumm gut ficke – aber mit einem Kerl ficken, der sie nicht mal unter den Tisch saufen könne? Haha, da würde sie sich doch lieber auf den Kopf stellen und sich selbst bepinkeln! Und die Arschgeigen starrten auf ihre Titten und ihren Hintern, versuchten sich das Bild vorzustellen, packten sich an die schon nicht mehr so weichen Weichteile und beeilten sich, noch mehr von ihrer Whiskey-Cola-Panscherei zu bestellen und diesem Prachtweib da einen weiteren Kabänes auf Eis. Und egal, wie viele davon sich vor ihr auf der Theke aufreihten, sie kippte sie ungerührt der Reihe nach weg, und niemand merkte ihr irgendwas an, außer dass vielleicht ihre Pupillen ein wenig größer und dunkler wurden, ihr Gang zur Musikbox eine Stufe aufreizender und ihre Stimme einen Hauch ätzender.

      »Der Büb hier! Dat is’ doch der einzige Typ, der wat taugt in dem Laden hier, ihr Luschen!«, goss sie Öl ins Feuer und küsste mich mit gespieltem Stolz auf den Adamsapfel, was insofern gut war, dass keiner mitkriegte, wie heftig ich schlucken musste, denn die Blicke, mit denen die Jungs mich betrachteten, als hätten sie mit ihren handgenähten Slippern in einen Hundehaufen getreten, ließen mich zum x-ten Mal verfluchen, dass ich mich wieder mal auf eine Verabredung mit ihr eingelassen hatte – oder zumindest, dass ich zu dieser Verabredung schon wieder ohne so was wie ’ne abgesägte Schrotflinte gekommen war.

      Aber warum auch immer, sie ließen mich leben, nahmen mich hin, wie sie einen Silberpudel an Kathrinchens Seite, einen Papagei auf ihrer Schulter oder ein Töchterchen an ihrer Hand hingenommen hätten – ich war eben Kathrinchens Liebling, ihr bunt schillernder Wellensittich mit seinen langen Haaren, der kaputten Lederjacke, den mit Gaffa-Tape geflickten Hosen und den selbstgedrehten Zigaretten. Sie tätschelten mir freundlich-herablassend die Schulter, gerade noch so vorsichtig, dass es als freundschaftlich durchgehen, aber hart genug, dass es auch als Warnung verstanden werden konnte, und ich tat wie immer so, als würde ich davon nichts merken. Ich grinste nur blöde und machte Witze über die Mucke, die gerade aus der Musikbox plärrte, oder über Belziger, der endlich einen lokalen Hit mit seinem Lied vom Schwarzfahren hatte, oder über Lokalhelden wie den Klautze, der es mal wieder geschafft hatte, die Trööt zu verarschen* – er hatte gewettet, dass der es nie im Leben schaffen würde, hundertmal um den Gerling-Konzern herumzulaufen. Klar hatte die Trööt dagegen gehalten, das konnte er als gefürchteter Türsteher natürlich nicht auf sich sitzen lassen, und war bald zwei Stunden lang um das riesige Karree im Friesenviertel herum gerannt, hundertmal an den feixenden und Piccolo saufenden Claqueuren Klautzes vorbei, bis er sich kurz vor einem Kreislaufkollaps, aber unter Triumphgeheul den Wetteinsatz abgeholt – einen läppischen Hunni – und vier Flaschen Wasser in sich hinein gekippt hatte. Der Kollaps kam erst eine Flasche Escorial später. Beliebt war auch mein Geläster über den FC, der doch tatsächlich erst Hennes Weisweiler zu Cosmos New York hatte ziehen lassen (»Unsere Zusammenarbeit war zum Schluss nicht mehr sinnvoll.«), um sich dann den Fußball-Dozenten Heddergott in den Pelz zu setzen. Der wiederum kriegte sich gleich mal mit Jungstar Bernd Schuster in die langen Haare und verscherbelte den für Dreikommasechs Millionen nach Barcelona, wofür er dann prompt zwei Monate später die Kündigung kassierte.

      Oder die lustige Geschichte von Ikonen-Jupp, der neulich nach einem ausgiebigen und Mut machenden Frühschoppen am hellichten Sonntagnachmittag in Kölns größtes Auktionshaus eingestiegen war. Ganz der Profi, für den er sich hielt, hatte er das komplette ausgeklügelte Alarmsystem überlistet und sorgfältig für eine halbe Million antike Kostbarkeiten in die mitgebrachte Reisetasche gepackt. Außerdem hatte er noch einen Flachmann voll Asbach und ein Transistorradio dabei. Also setzte er sich erst mal zum Ausruhen in einen Biedermeier-Sessel in einem der Schaufenster, genehmigte sich ein paar Schlückchen und schaltete sein Radio ein, um mal zu hören, was ihm sein Wetteinsatz beim Großen Preis von Baden-Baden einbringen würde.

      Leider berichtete vor dem Start des Rennens der große Adi Furler vom Dressurreiten in Salzburg. Erst der Mann vom Wachdienst, der abends seine Runde drehte, bekam Zweifel, ob ein schnarchender Mann in einem übergroßen Hawaiihemd mit einem plärrenden Radio im Arm ein passendes Exponat für die exklusive Montagsversteigerung sei.

      Auch mein Repertoire an Anekdoten von irgendwelchen Rockgrößen, die mir hinter der Bühne irgendwelcher Festivals über den Weg gelaufen waren, beeindruckte, immerhin, die Bumsköppe ein bisschen – zu hören, wie viel Schnaps in Joe Cockers Fanta-Dosen passte, wie Chuck Berry es mal wieder geschafft hatte, seine Gage noch mal in die Höhe zu pokern, während draußen schon Sechzigtausend Go, Johnny, Go! brüllten; oder wie der Berufscholeriker Conny Becker dem Berufskotzbrocken Gröhlemüller eine eingeschenkt hatte, weil der ihm für sechshundert Ocken Koks vom Tisch gepustet hatte. Oder wie der Bassist der Schroeder Roadshow eines Morgens um halb fünf mit den Worten »Ihr könnt mich mal! Ich fahr’ jetzt in die Kellerbar!« in voller Ledermontur in die Duschkabine seines Hotelzimmers gestiegen war und die Dusche aufgedreht hatte, Gimme the beat, boys, free my soul, I wanna get lost in your rock’n’roll singend*. Und nachdem er danach ’ne Weile klatschnass und besoffen kichernd in seinem Bett gelegen hatte, war er mit einem Schraubenzieher auf den Flur gegangen und mit der Tür des Aufzugs ins Zimmer zurückgekommen, weil ihm dessen Quietschen und Klappern auf die Nerven ging. Na ja, Rock’n’Roll eben …

      Die meisten dieser Geschichten waren erfunden oder zumindest übertrieben, aber so fühlte ich mich ein wenig besser als ein Papagei auf Kathrinchens schöner Schulter. Die Arschgeigen versuchten