Perlen vor die Schweine. Rich Schwab

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Название Perlen vor die Schweine
Автор произведения Rich Schwab
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783862871896



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ich dank ihm zu beschäftigt, um Zoff mit dem Busfahrer zu kriegen, an dessen Rückspiegel ein kleines Kofferradio hing und die ganze Fahrt volle Kanne Weihnachtslieder in den ansonsten leeren Bus plärrte. Und zweitens stellte sich raus, dass Mister Arbeiterklasse nicht nur kiffte wie ein Weltmeister (»He wätt nich gerook!«, schrie der Busfahrer nach hinten. »Dann mäck dat Fensta op, Sören! Un guck oppe Straat!«, schrie Rabotti ungerührt zurück. Ein milder Stern herniederlacht / Und kerzenhelle strahlt die Nacht, krähte das Radio), nein, mit seiner großen Tasche spielte er tatsächlich noch vorweihnachtliche Bescherung und zauberte sieben Büchsen Bier hervor. Die teilten wir dann gerecht, und als ich kurz vor meiner Haltestelle den letzten Schluck aus meiner fünften schlürfte, wusste ich schließlich auch, dass er am liebsten Perry Rhodan las, dass seine Kölner Lieblingsband die von Balkan-Rock-Axel war, dass er von dreien seiner Schwestern nacheinander recht anschaulich aufgeklärt worden war, mit seinen beiden Jobs bereits über fünfzigtausend Mark zusammengespart hatte, um sich bald nach Neuseeland absetzen zu können, und dass er in den letzten drei Jahren auf insgesamt sechsundvierzig Open-Air-Festivals gewesen war – »Un’ für nich’ ein einziges hab’ ich ’ne Eintrittskarte bezahlt, Ollen, nich’ ein einziges! Un’ immer vorne inne erste Reihe! Vonne erste Scheiß-Kapelle bis zur letzten Zugabe, ey!«

      Kein Wunder, dass er mich kannte.

      Und eingelullt von Bus, Bier und Blabla hatte ich ihm sogar noch verraten, dass Axel demnächst seinen traditionellen Advents-Auftritt im Session hatte.

       5

       Brödershof

      Es gab wahrhaftig eine Telefonzelle in Brödershof, einem Flecken mit sechs Bauernhöfen, einem Molkereibetrieb, einem Reiterhof und einem Edeka-Laden, der Schneider’s Dorfkrug hieß. Und eben dieser halb gelben, halb rostbraunen Telefonzelle, vollgeklebt mit Plakaten, die mich zum berühmten Holzmindener Glühwei(h)nachtsmarkt einluden – Letztes Jahr mehr als 1000 begeisterte Besucher! Die zweite Überraschung war, dass das Telefon sogar funktionierte, und die dritte, dass Herr Schneider mit Gustav Schnöken & Sohns Arbeitsmoral nichts am Hut hatte. Er begrüßte mich überschwänglich, zapfte mir ein blumiges Pils, sah beifällig, wie das nach meinem ersten Schluck halb alle war, und machte sich gleich an ein frisches. Überraschung Nummer vier.

      »Woll der noie Schlachzoigä, woll?«, meinte er mit einem Blick auf mein Gepäck. Ich nickte anerkennend. »Ich wollt’ den Jopp ja woll auch gemäkkt ha’m. Aber Hansi hat gemeint, dat wär’ ja woll doch nich’ ganz dat Richtige für Schneiders Vadder sein Sohn.« Er war an die fünfzig, mindestens, wog um die drei Zentner, mindestens, hatte Arme, dicker als meine Oberschenkel, eine Schnapsnase und ein steifes Bein. Hansi war mein Arbeitgeber für diese Woche, Hansi Hedegger, Bassist und in stillschweigender Übereinkunft Chef der Jazzrock-Kapelle Baggermann.

      »Ach«, trug ich meinen Teil zur Unterhaltung bei und trank das zweite Pils. Eiskalt, prickelnd herb – ein Genuss. Schien er auch zu finden – er zapfte gleich drei neue. Bis auf eine ungefähr hundertjährige Gestalt, in einem riesigen schwarzen Ledermantel an einem Ecktisch neben der Lebensmitteltheke verbuddelt, war der Laden leer. Die hatte bis jetzt aber noch keinerlei Lebenszeichen von sich gegeben – vielleicht war das ja auch nur der Nubbel von Brödershof. Immerhin war in neun Wochen Karneval.

      »Paiste oder Zyldjian?«, bellte mir der Hausherr plötzlich ins Gesicht, seine haarigen Fleischerarme auf das glänzende Zinkblech gestützt, seine Kartoffelnase dicht an meiner. Tausend rote Äderchen leuchteten mich an, aber noch mehr leuchteten seine listigen Augen – Dat hättste nich’ gedacht, mien Jong, datt olle Schneiders Vadder sein Sohn da Ahnung von wech hat, woll?

      Tatsächlich hätte ich mich fast verschluckt – kannte der doch tatsächlich die beiden besten Schlagzeugbeckenmarken.

      »Weder noch«, brachte ich raus. »Und sowohl als auch.« Da hatte er erst mal was zu schlucken.

      »Beide?!?«, fragte er entsetzt. Als hätte Uwe Seeler angekündigt, er ginge jetzt zu St. Pauli. Hinter den Falten auf seiner Stirn sank Hansi ein paar Stufen in seiner Achtung. Ich war sowieso unten durch. Also war’s eh schon wurscht.

      »Ich hau auf alles, was Krach macht«, setzte ich einen drauf. Darauf brauchte er einen Klaren. Nahrung für die Äderchen. »Ich bin der Büb«, stellte ich mich vor, »der Kanaldeckel’s Büb aus Köln-Vogelsang.«

      »Kanaldeckel«, echote er fassungslos.

      »Na ja, ich nehm’ auch Autofelgen.« Hoffentlich kriegt er keinen Herzinfarkt.

      Schneiders Vadder sein Sohn doch nicht. Er lachte schallend, machte noch zwei Korn, drückte mir einen in die Hand und stieß mit mir an.

      »Autofelgen, Ooas! Nu’ wär’ ich doch beinah drauf reingefallen auf den Spöök.« Ich sagte lieber nix mehr. »Aber schon schad’, das Dingen mit dem Raimund, oder?«

      »Na ja, so ganz unschuldig is’ er wohl selber nich’, oder?« Grimmig wiegte er seinen Schädel hin und her, was seinen Hals in mächtige Wellenbewegungen versetzte.

      »Tscha! Ich sach ihm doch schon seit Jahren: Lassas nach, Jong! Du wirst dich nomma’s Genick brechen!«

      »Da hat er ja diesmal noch ma’ Schwein gehabt, wa’?« Ich auch. Sozusagen. Deswegen war ich hier. Raimund, der eigentliche Schlagzeuger von Baggermann, hatte sich bei einem weiteren unangebrachten Versuch, in Richie Haywards Fußstapfen zu treten, mit seinem Motorrad im wahrsten Wortsinn auf Glatteis begeben und sich beide Beine und einen Arm gebrochen. Blöd für ihn, aber eigentlich nicht weiter schlimm für seine Band – die tourten grundsätzlich nur von April bis November, um den Winter über entweder an der Algarve rumzuhängen oder in ihrem eigenen Studio in Hinderup an neuen Platten zu frickeln. Leider hatten sie dieses Jahr jedoch beschlossen, dass das nächste Album Baggermann den endgültigen Durchbruch bringen sollte, und bei einer neuen Plattenfirma unterschrieben. Nicht zuletzt auch wegen eines schwindelerregenden Vorschusses. Die Firma wiederum war bloß die Hamburger Tochter eines amerikanischen Konzerns, und deren Uhren ticken anders als die bei Omelette, ihrem bisherigen Label, wo Verträge auf Bierdeckel passten und Chef Heiner König seine Frau und seine Mutter neue Platten eintüten und ausliefern ließ.

      Dummerweise standen ihre fünf Unterschriften nun also auch auf richtigem Papier, unter einem richtigen Paragraphen, der besagte, dass bei Überschreiten des Abgabetermins eine sechsstellige Konventionalstrafe fällig war. Und der Termin war der 1. Januar nächsten Jahres. Keine vier Wochen, und sie mussten noch fünf Titel aufnehmen – und den ganzen Klumpatsch natürlich noch rechtzeitig abmischen. Stress war angesagt.

      Aber sie kannten ja mich.

      »So’n büschen wundern tu’ ich mich ja schon …«, meinte Schneider. »Nix für ungut – aber dein’ Namen hab’ ich noch nie gehört.«

      »Ja, scheinst dich auszukennen, was Schlagzeug angeht, wie?« Sein Stichwort.

      »Komm ma’ mit!«, flüsterte er geheimnisvoll. Ich nahm vorsichtshalber noch einen guten Schluck und folgte ihm zu einem dicken rotbraunen Vorhang zwischen Zigarettenautomat und Toilettentür. Mit großer Geste knipste er einen Lichtschalter an und zog den Vorhang auf. »Tädäää!«, schrie er.

      Ich war baff. Ein komplettes Schlagzeug-Set auf einem kleinen Podest, schätzungsweise Jahrgang ’55, in einem grauslichen Türkisgrün mit Goldglimmer, fett Premier auf dem vorderen Basstrommelfell, und in rot und golden umrandetem Türkis darunter ein schwungvolles The Blue Beatnicks. Ja, mit ck. Und auf allen auf Hochglanz polierten Becken war der Paiste-Schriftzug mit türkisgrünem Lack nachgezogen. Ein echtes Schmuckstück. Ich wettete mit mir, dass er das Ding Schießbude nennen würde.

      »Na, wat sachste, mien Jong?«, strahlte Schneiders Vadder sein Sohn. Ich strahlte zurück.

      »Mein