Perlen vor die Schweine. Rich Schwab

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Название Perlen vor die Schweine
Автор произведения Rich Schwab
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783862871896



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mich so schnell nicht platt, und manchmal landete man dann noch zu dritt in Kathrinchens Apartment am Beethoven-Park, und ich lag auf der edlen grauen Ledercouch und hörte mir Thomas Rapp und seine Pearls Before Swine an, ihre Lieblingsband, besonders beim Sex, während ihr nebenan ein von weißen Pülverchen und ihren Lästereien angestachelter Hengst das Nähmaschinchen machte. Es machte sie an, zu wissen, dass ich zuhörte, und noch mehr, wenn ich dann zwischendurch mal in ihrer Schlafzimmertür stand und sie mir über muskulöse, schweißnasse Schultern hinweg in die Augen sehen konnte, bis es ihr kam und sie schrie und jodelte und lange, blutige Striemen in den Rücken über ihr furchte. Koksgerammel kann sich hinziehen, und meistens schlief ich irgendwann ein auf der Couch, eingelullt von ihrem Stöhnen, während Thomas Rapp lispelte:

       She says love will get you

       Through times of no sex

       Better than sex will get you

      Through times of no love …*

      Da hatte Kathrinchen wohl was nicht richtig verstanden.

      Und als letzter Gedanke ging mir oft genug durch den Kopf: Eines Tages wird dich noch mal einer totrammeln, du dusselige Blumenkuh!

      Selbst der miesepetrigste Pessimist ist ja ein unverbesserlicher Optimist insofern, als er immer wieder voller Hoffnung ist, dass seine ewigen Unkereien in Erfüllung gehen.

      Und leider, leider sollte auch ich recht behalten.

      Aber welches von den Arschgesichtern da draußen war da so dermaßen ausgerastet?

       3

       But people are not singers ...

       Koomm, Fritzi, kooomm!« Der Kanarienvogel legte das Köpfchen auf die Seite, wich auf seine Schaukel aus, seine Äuglein zuckten hin und her. Aber das Salatblatt, das der Junge ihm durch die offene Klappe in den Käfig hielt, war zu verlockend. Er trippelte näher, hackte danach, eroberte sich ein Häppchen Vorgeschmack. Das Blatt klemmte zwischen zwei Fingern der kleinen Hand, also kletterte der Vogel, zutraulich geworden, auf die Handfläche, begann ausführlicher zu knabbern. Dann schloss sich die Hand um den zarten Körper, wand sich durch die Klappe nach draußen. Eine zweite Hand wölbte sich um die erste, ließ eine enge Öffnung zwischen den beiden Daumen, aus dem sich neugierig, verunsichert, Fritzis Kopf reckte. Von nebenan, aus der Küche, klang quäkend das kleine alte Vorkriegsradio der Großmutter. Eine Akkordeon-Polka, begleitet vom sphärischen Pfeifen und Rauschen des fernen deutschen Senders.

       »Guck mal, Olga, was ich hier hab’!« Vorsichtig ging der Junge zum Nachbarkäfig.

       »Ngrröök!«, machte der Rabe darin und hüpfte aufgeregt in seinem Sand herum. »Yahiiieeek!«

       Langsam näherte der Junge seine Hände dem Rabengitter. Und zuckte sofort wieder zurück – im Nu hatte der Rabe zwischen den Stäben hindurch in Richtung des Kanarienvogelkopfs gehackt, aber den Daumen des Jungen getroffen. Fast hätte der vor Schmerz seine Hände geöffnet, den ängstlich tschilpenden Gelben fliegen lassen. Aber er hielt ihn mit der Rechten fest und öffnete mit der Linken, von der bereits dicke Blutperlen tropften, das Türchen zum Rabenkäfig. Knallte es noch einmal heftig zu, als der Rabe Anstalten machte, sich nach draußen zu drängen, was diesen bewog, sich an die Käfigrückwand zurückzuziehen, bösartig blinzelnd.

       Schnell schob der Junge seine rechte Faust durch das Türchen und ließ Fritzi los. Klappte das Türchen zu, hakte es ein. Tat einen Schritt zurück. Beobachtete mit glänzenden Augen, was geschah.

      Zwei, drei lange Sekunden herrschte Stille. Im Käfig zumindest – nebenan sang Marika Rökk die Julischka aus Buda-Budapest.

       Dann reckte der Rabe seinen Kopf vor, öffnete halb den Schnabel, machte spöttisch »Krreek!« Der Kanarienvogel flatterte hoch, stieß an das Käfigdach, verlor zwei Schwanzfedern, die wiegend zu Boden schwebten und in dem schmutzigen, verkoteten Sand liegenblieben. Der Rabe breitete seine Flügel aus, plusterte sich auf. Der Kleinere stieß ein hohes Kreischen aus, drei Oktaven über Marika Rökk, wollte zur Seite ausweichen, davonfliegen, prallte an die Seitengitter des Käfigs, noch einmal und noch einmal, immer hektischer und verzweifelter. Beim vierten Mal brach er sich einen Flügel, landete auf dem Boden. Schlich, versuchte, hinter das Wasserbecken des Raben zu schleichen, aber da war der schon von seiner Stange herabgesprungen. Mit einem triumphierenden »Jägägäck!« schlug er eine seiner Krallen in den Rücken des Kanarienvogels, zerrte ihn halb in die Höhe und hieb ihm die Spitze seines Schnabels ins Genick. Der Kanare fiepte in den höchsten Tönen, noch lauter. Erschrocken fuhr der Kopf des Jungen zur Küchenwand herum. Die ungarischen Geigen jubilierten im Schlussfortissimo, molto presto. Keine Gefahr.

       Im Käfig riss der Rabe dem Gelben gerade den gebrochenen Flügel aus. Noch ein letztes Mal gelang es dem, sich loszureißen, unter dem Bauch des Raben hindurch zu schlüpfen, teils hüpfend, teils mit dem heilen Flügel flatternd, teils purzelnd bis in die Mitte des Käfigbodens zu gelangen. Dann wirbelte ihn der Schlag eines Rabenflügels herum, eine Kralle riss drei tiefe Furchen in seine Brust, aus der sogleich eine bräunliche Masse quoll, ein Schnabelhieb hackte ein schmatzendes Loch in seinen weiß geflaumten Hals.

       »Grrraack!«, schrie der Rabe und knackte mit einem weiteren Schnabelhieb die Hirnschale seines Opfers, zerfetzte mit einer Kralle den heil gebliebenen Flügel, dass die gelben Federn nur so umher stoben.

       Fasziniert stand der Junge daneben, Speichel tropfte aus seinen Mundwinkeln, unverwandt beobachtete er das grausame Schauspiel, Fritzis zerrissenen Körper, den mit Blut und Eingeweiden verschmierten Schnabel des Raben, dessen gierig zitterndes Hinterteil.

      »Na, Olga«, flüsterte er. Einen Moment drehte der Rabe sich ihm zu, betrachtete ihn mit schräg gelegtem Kopf, beäugte nachdenklich, wie der Junge an seinem blutenden Daumen leckte, fiebrige rote Flecken im Gesicht. Aus der Küche erklang die süßliche Ouvertüre der Blume von Hawaii.

       4

       Rabotti

      Mann, hatte ich eine Woche hinter mir! Beim Pinkeln wäre ich fast vornüber gekippt. Meine Zunge schmeckte, als hätte ich die halbe Nacht am Abflussrohr eines Brauhauses geleckt. Und wahrscheinlich auch an dem bröckligen Mörtel drum herum – mein Gaumen war trocken wie Tante Friedas Sandkuchen. Nach einem ordentlichen Schwall kaltem Wasser fühlte es sich ein bisschen besser an, aber an dem Geschmack änderte das auch nichts.

      Ich beguckte mir ein Weilchen das Gesicht in meinem Spiegel. Wir sahen aus wie ein und derselbe Typ, aber das waren wir auf keinen Fall. Beschlossen wir eben Kumpels zu werden und putzten uns gemeinsam die Zähne.

      Was für ’ne beschissene Woche!, knurrte er blubbernd und schüttelte angeekelt den Kopf.

      Autsch! Nich’ so heftig!, erwiderte ich mit Schaum vorm Mund. Musste ihm freilich recht geben und versuchte, die letzten Tage zu rekapitulieren. Einfach kapitulieren, ohne Kontra, ohne Re, wär’ auch nich’ schlecht, dachte ich. Einfach wieder in die Kiste hauen, Decke über’n Kopp, Augen und Ohren zu, und warten, bis mehr als nur sechzig Prozent von einem meinen, wieder in die Gänge kommen zu müssen, es wagen zu können, sich der gierig quengelnden Welt da draußen zu stellen.

      Wider besseres Wissen – war ja nicht der erste Versuch gewesen –, aber eben auch, weil ich, pleite wie lange nicht mehr, kaum eine Wahl hatte,