Perlen vor die Schweine. Rich Schwab

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Название Perlen vor die Schweine
Автор произведения Rich Schwab
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783862871896



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      »Ach so«, sagte ich, stand auf und zog mich an. »Na ja, wenn er so pimpert, wie er Bass spielt, würd’ ich auch nicht mit ihm angeben wollen.« Einen Moment sah es aus, als wolle sie mir eine scheuern, aber dann hauchte sie mir einen Kuss auf die Wange und umfasste kurz mein verschrumpeltes Bübchen.

      »Schlaf gut«, flüsterte sie, schob mich von sich, ließ sich wieder auf das Bett fallen und wickelte sich in ein Laken, das Gesicht zur Wand gedreht.

      »Du auch«, wünschte ich ihrem Rücken und ging mal nachsehen, ob der Rest des Portugiesen schon dekantiert war. Die restlichen Tage meines Besuches – wir nahmen gerade im Baggermann-Studio für kleine Mark ein paar Penner’s-Demos auf – hatte sie mich kaum noch angesehen und kein einziges Wort mehr mit mir gesprochen.

       Weiber.

      Und dann diesmal das. Ich komme zwischen zwei Grogs vom Pinkeln zurück und habe meine Hose noch nicht ganz zugeknöpft, da steht sie wieder in der Badezimmertür und lässt mich nicht vorbei. Als ich sie vorsichtig um die Hüften fasse, um sie verlegen grinsend zur Seite zu schieben, wirft sie mir beide Arme um den Hals und ein Bein um den Hintern, schiebt mir ihre scharfe Zunge zwischen die Zähne und spült mir einen Schluck lauwarmen, puren Rum in den Mund. Das Zeug fährt mir in alle Körperenden, als hätte ich an einen elektrischen Weidezaun gepinkelt, und da erst merke ich auch, dass sie wieder nur ein Hemd anhat. Ein verwaschenes Herrenhemd, nicht zugeknöpft. Sie ist noch dünner als vor zwei Jahren; mit ihren Beckenknochen hätte ich mir die Reste des Abendessens aus den Zähnen pulen können. Mit einer Hand öffnet sie meine halb geschlossene Hose wieder und massiert eine beginnende Erektion, so heftig, als wolle sie mich dafür bestrafen, dass ich schon wieder im Stehen gepinkelt hatte.

      »He!«, sage ich, als sie irgendwann Luft holt. Nie um ein schlagfertiges Witzchen verlegen, der Büb.

      »Sei still«, legt sie mir kurz die andere Hand über den Mund, »wollt’ dir nur sagen, dass ich das nicht vergessen habe, damals.« Lässt mich los, dreht sich um und verschwindet in ihrem Zimmer.

      Da stehe ich, weder bestellt noch abgeholt, der Rum pocht von hinten gegen meine Augäpfel wie der Sekundenzeiger einer Bahnhofsuhr, während mein kleiner Zeiger vorwitzig auf ihre Zimmertür deutet. Und frage mich, wie ich das nun wieder interpretieren soll.

      Nö, doch keine Einladung, sagt das Klacken, mit dem von innen ein Schlüssel herumgedreht wird. Ich ziehe mich wieder komplett an und wanke in die Küche, wo der Schrat ungerührt schon fünfzehn Kugeln in ein Dreieck sortiert hat.

      Weiber, grunzte auch Mr. Pitiful, drehte sich ebenfalls um und verschwand aus meinem Spiegel und aus meinem Badezimmer. Sind eben nicht immer nur die Frauen, die merkwürdige, undurchschaubare Dinge tun.

      Und ich schnitt mir doch noch ins Kinn.

      Na, wenigstens hatte ich zum guten Schluss meinen Job noch zufriedenstellend hinter mich gebracht. Hing zwar immer noch eine Weile auf der Kippe, aber am fünften Tag hatte sich dann auch Raimund endlich mal blicken lassen – er ließ sich im heimischen Tübingen von Muttern pflegen, und mit seiner unverletzten Hand wälzte er den ganzen Tag Motorradkataloge.

      »Geil, Alder!«, meinte er neidlos, nachdem wir die Aufnahmen durchgehört hatten, und knallte mir seinen Gipsarm ins Kreuz. »Hätt’ i net besser mache’ könne’. Wuscht’ i’s doch, dess du die richt’ge Verdredung bischt.« Hansi machte große Augen und schmale Lippen, Paul grinste bestätigend, Selmer baute einen.

      »Chottverdickie!«, schrie der Schrat und machte mir ein Bier auf, was Billa nicht mal mit einem Wimpernzucken kommentierte. Ich hielt es mit Elvis und mich bescheiden zurück.

      »Hätt’s net nur net besser mache’ könne’«, erklärte Raimund der erstaunten Versammlung, nachdem der Joint seine letzte Runde gedreht und wir uns das Ganze noch einmal angehört hatten. »Am liebschte würd’ i jetscht die andere Nummere noch emol trommele.« Das war in der Tat ein Kompliment. Elvis zwinkerte mir zu, und ich prostete zurück. Sie würden allerdings beim Mischen ein bisschen Mühe haben, mit ihren Kompressoren und Equalizern so zu tun, als hätte Raimund meinen Bums.

      Auf jeden Fall war das Ergebnis so ausgefallen, dass ich sie beruhigt meinen Namen aufs Cover schreiben lassen konnte, und ich würde auch nicht rot werden müssen, wenn mich jemand auf die Platte ansprach.

      Okay, meine Kollegen Veedelnoh und Eiermann würden ein paar Wochen lästern, aber damit konnte ich leben.

      Nachdem ich mir ein paar Fuhren kaltes Wasser ins Gesicht geschmissen hatte, konnte ich auch mein Spiegelbild wieder halbwegs als meins erkennen. Aber ich kam mir vor wie ein verwackeltes Foto, die Sorte, die nicht im Album landet, sondern in einem Schuhkarton oben auf dem Schrank. Zu schade zum Wegschmeißen – konnte man ja gelegentlich eines feucht-fröhlichen Abends noch mal rauskramen: Guck ma’, der Büb bei der Dingens-Feier – sieht doch echt komisch aus, oder?

      Zurück in Köln, für ein paar Wochen meine Geldsorgen los, musste ich dann erfahren, dass die hiesige Kripo im Zusammenhang mit dem Fall Kathrinchen drei österreichische Zuhälter festgenommen hatte. Und nach zweitägiger U-Haft wieder laufen lassen – Tatverdacht nicht bestätigt, Fluchtgefahr nicht gegeben. Also ging ich erst mal zu Ferdi und ließ mich von ihm ein bisschen abfüllen, während ich mich was umhörte, bevor wir auf eine Runde um die Häuser zogen, die Donnerstag Abend begonnen und irgendwann vorletzte Nacht geendet hatte. Knirschend kramte ich in meinem Gedächtnis herum, kam auf vielleicht sieben oder acht Kneipen, aber dem Geschmack meiner Rülpser und dem Geruch meines Urins nach mussten es ein paar mehr gewesen sein – Bier natürlich, jede Menge, Apfelkorn, Ouzo, Gin, veredelt von einem Hauch von Magenbitterkräutern.

      Kein Wunder, dass der Büb echt komisch aussah. Fragt erst mal, wie er sich fühlt …!

      Nein. Fragt nicht.

      ***

      5 Tote in Bonn!, blökte der Express mich an, als ich endlich so weit war, dass ich am Küchentisch sitzen, ein Glas frische Milch bei mir behalten und vorsichtig an einer Rollmopsstulle kauen konnte. Ich konnte sogar die Buchstaben entziffern, ohne dass meine Augen mir immer wieder nach links innen oder rechts außen wegrutschten.

      Aus Verzweiflung darüber, dass seine Ehe völlig zerrüttet war, hatte ein 45-jähriger Familienvater seine Frau, seine 16-jährige Tochter, seine Schwiegereltern und anschließend sich selbst mit Kopfschüssen ins Jenseits befördert. Ob er an ein besseres Leben nach dem Tod glaubte? Das würde sich wohl auch den Rest seines Lebens sein jetzt 14-jähriger Sohn fragen – den hatte Papi nicht richtig getroffen, der war jetzt bloß blind.

      Noch mehr Schüsse waren an der Schweizer Grenze gefallen – dort hatte ein vorbestrafter deutscher Rechtsradikaler einen Grenzer erschossen, bevor er im darauf folgenden Feuergefecht tödlich getroffen wurde. Das BKA vermutete, dass er in der Schweiz Waffen für eine unserer einheimischen Wehrsportgruppen besorgen sollte. Einfach nur Kreuzchen bei NPD zu machen, reichte denen nicht.

      Auf dem linken Flügel randalierten Jugendliche in Berlin und Zürich. Die Berliner versuchten mit Brandsätzen auf Sparkassen und Banken inhaftierte Hausbesetzer freizupressen, während Jung-Zürich protestierte, weil sein berühmtes AJZ geschlossen werden sollte, das Autonome Jugendzentrum. Geschieht euch recht, fand ich – was beschmeißt Ihr auch harmlose deutsche Rockbands auf Benefiz-Konzerten mit Milchtüten? Vollen Milchtüten! »Weil Ihr hier doch bloß Werbung für eure Platten machen wollt!«, kreischen sie empört zurück. Da kann ich mir bessere Methoden vorstellen, entgegne ich ungerührt, nehmt euch ein Beispiel an den Punks im AJZ Hannover – die haben uns wenigstens mit Bier beschüttet! Oder an den militanten Mädels in Frankfurt, die unseren gelben Bandbus über und über mit Schokolade beschriftet haben! Mit diesem süßen Werbeträger für deren gerechte Sache (»SCHWANZ AB, DUMPF-CHAUVIS!« Aber dann doch: »NEUE MÄNNER BRAUCHT DAS LAND!« – ohne Schwanz, Mädels?) waren wir dann fünf Wochen – bis zum nächsten kräftigen Regen nämlich – landauf und landab gefahren. Und fragten uns heute noch, ob das nicht den Feminismus in der BRD ein