Perlen vor die Schweine. Rich Schwab

Читать онлайн.
Название Perlen vor die Schweine
Автор произведения Rich Schwab
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783862871896



Скачать книгу

an. Sie wurde rot und zerpflückte heftig ein Stück Kerzenwachs. Nicht besonders fair von mir, aber sie ging mir zusehends auf die Nerven, und das schon am ersten Abend. Dass sie gleich versuchte, mir ein Bündel Verhaltensmaßregeln für die Woche aufzudrücken, hätte ich ja noch lustig gefunden, wenn mir auch ihre Behauptung, Raimund sei jeden Morgen um acht mit Elvis eine Runde durch die Botanik gelaufen, schwer danach klang, als wollte sie bloß dafür sorgen, dass ich nicht wieder bis morgens um fünf mit dem Schrat und einem Kasten Bier um den Billardtisch herumhing. Dass ich während meines Aufenthalts einmal mit Kochen und einmal mit Abwaschen dran sei, war für mich sowieso selbstverständlich. Dass sie aber meinte, sich auch einmischen zu müssen, als wir anfingen, über die Stücke zu reden, auf denen ich trommeln sollte, ging mir entschieden zu weit. Darüber würde ich mit Hansi noch genügend Zoff kriegen, dafür brauchte ich die Weisheiten der Band-Mutti wahrhaftig nicht.

      »Ich hab’ noch ’ne zweite Steppdecke«, sprang Paul ein.

      »Alles klar«, sagte ich.

      »Morgen nach dem Frühstück hören wir uns mal an, was wir bis jetzt auf Tape haben«, entschied Hansi, ganz der Kapellmeister, »und dann spielen wir dir mal vor, was an neuem Material da ist.«

      »Un’ dann ’ne Jam-Session, ey!«, beteiligte sich Selmer. Super, dachte ich. Session hieß bei Selmer, der wiederum Selmer hieß, weil er nie ein Saxophon einer anderen Marke auch nur anfasste, dass er nach dem vierten Joint sein Echogerät nachjustierte, bis es klang, als hätte man fünf Fichtelgebirge hintereinander gestapelt. Dann trötete er in eins seiner Hörner, ein, zwei, vielleicht sogar drei Töne, lauschte erst mal ein paar Takte versonnen und weggetreten dem Weg der Echos hinterher, und erst, wenn von irgendwo in Freakistan eine Antwort kam und seinem vernebelten Hirn sagte, dass er es ruhig wagen könne, sich zu einem vierten Ton durchzuringen, kam er wieder auf den Teppich und an sein Mikrophon zurück.

      Leider war es sein Ehrgeiz dabei auch, das Echogerät auf das Tempo des Stückes einzustellen, das gerade gespielt wurde. Was er allerdings höchst selten schaffte, bevor seine Mitspieler mal wieder einen der bei Jam Sessions üblichen und häufigen Tempowechsel vollzogen hatten.

      Also beschränkte sich der kreative Beitrag des Saxophonisten die halbe Zeit auf ein kurzes Tuut, dem vom Bandecho eine lange Reihe schneller und wieder langsamer werdende tutututuutuuuutuuuutuututututs folgten. Versuch mal, zum Takt eines Metronoms einen Tischtennisball auf einen Steinfußboden fallen zu lassen.

      Hinzu kam, dass auch Paul, an sich ein netter Mensch und ein klasse Gitarrist, zu später Stunde den Versuchungen des einen oder anderen Hallgeräts nicht widerstehen konnte und zu ein paar von seinen typischen merkwürdigen Akkorden – er spielte umgebaute Gitarren, an denen die tiefe E-Saite unten und die hohe oben lag – anfing, Gesang zu improvisieren. Wie gesagt, ein toller Gitarrenmann, aber sein Gesang klang wie Frl. Menken auf Rohypnol. Und sein Englisch war nicht halb so gut wie Rudi Carrells Deutsch.

      Allerdings hatte er noch einen guten Grund, auf lange Gitarrensoli zu verzichten, und der hieß Hansi Hedegger. Und so spielte er auch. Häddäggähäddäggäddäggäddä hackte er mit einem riesigen, viel zu harten Plektrum aus Büffelhorn seine Sechzehntel auf den straff gespannten, viel zu dünnen Saiten seines Kramer herum, einer amerikanischen Bassgitarre, die zu allem Überfluss noch einen Hals aus Stahl hatte – kein bisschen naturhölzerne Wärme. Die Höhen und oberen Mitten seines Verstärkers waren bis zum Arsch aufgedreht, sodass sein Geschrabbel klang, als hämmerte jemand mit Moniereisen auf einem Sauerkrautfass herum. Vielleicht hatte das ja diesen englischen Journalisten zu dem Begriff Krautrock inspiriert. Zum Ausgleich, und weil ihm vielleicht in einer Auftrittspause doch noch jemand geflüstert hatte, dass er doch der Bassist sei, drehte Hansi auch noch alles zwischen achtzig und hundertachtzig Hertz bis hinten gegen – wenn er mal gelegentlich einen tiefen Ton ausklingen ließ, hatte man Angst, seinen Schlagzeughocker voll zu spratteln. Kam aber zum Glück selten vor.

      Seine berühmten Sechzehntel waren so akkurat wie Millimeterpapier – allerdings erst zerknüllt und dann wieder aus dem Papierkorb gefischt und notdürftig geglättet. Wenn du als Schlagzeuger auch mal probiertest, welche zu spielen, klang das mit seinen zusammen wie eine Häckselmaschine. Raimund schien das nicht weiter zu jucken, aber mir rollte es die Zehennägel auf. Dass Hansi seine Riffs häufig und unmotiviert unisono ins Mikrophon schnatterte, machte die Sache auch nicht gerade besser. Häddäggähäddäggäddäggä …! Worüber wir uns auch prompt immer wieder in die Haare gerieten, erst recht in dieser Woche, wo es um diese wichtigen Aufnahmen ging.

      Ihr Publikum liebte es, wenn bei Auftritten die Baggermann-Kompositionen in kilometerlange Improvisationen mündeten. Beziehungsweise ausuferten. Na ja, kein Wunder – ihre Fans waren noch simpler gestrickt als unsere, und man konnte förmlich hören, wie in jedem einzelnen von ihren leeren Schädeln die Tischtennisbälle herumklackerten. Aber bei mir waren Sessions mit den Baggermännern so beliebt wie ein Aushilfsjob bei den Flippers. Fehlte nur noch, dass Paul anfinge, Weine nicht, kleine Eva zu singen.

      Völlig ausgeschissen hatte ich bei Hansi am dritten Tag, als ich ihn nach einer heftigen und ermüdend ergebnislosen Diskussion über Präzision und Timing zum Spaß mal ein paar Takte die Sechzehntel eines Drumcomputers mitrattern ließ, sogar noch bei seinem Lieblingstempo. Dasselbe tat ich auf einer anderen Spur, dann ließ ich das Band mit halber Geschwindigkeit wieder ablaufen. Während meine Snare-Schläge zusammen mit denen des Japaners klangen wie Axthiebe in eine Porsche-Tür, war sein Bass so synchron wie ein Trupp Bundeswehrsoldaten auf dem Hauptbahnhof am Freitagabend. Dass Paul sich nicht hatte verkneifen können, bei der Bandgeschwindigkeit klänge der verdammte Kramer endlich mal wie ein richtiger Bass, hob Hansis Stimmung auch nicht gerade.

      Na ja, hatte auch sein Gutes – an dem Abend wurden frustriert ein paar Flaschen Rum aufgemacht, und zu der unvermeidlichen pseudo-basisdemokratischen Grundsatzdiskussion gab es Grog bis zum Abwinken.

      Das eigentlich voraussehbare Ergebnis des Gesprächs war, dass ich als Mietmucker gefälligst meine eigenen Kanaldeckels-Ansprüche zurückzuschrauben und mich auf den Baggermann-Stil einzustellen hätte. Nach dem siebten oder achten Grog konnte ich das auch locker abnicken.

      Weniger voraussehbares Ergebnis des Besäufnisses war, dass Sibylle mich zuuufällig um vier Uhr morgens im Bad traf – genau wie vor zwei Jahren, bei meinem ersten Besuch in Hinderup. Damals waren wir nach einem ausgiebigen Test von ein paar Kisten Rotwein, die Hansi aus Portugal mitgebracht hatte, auch im Halbdunkeln in der Badezimmertür zusammengestoßen, beide schon bettfertig gekleidet, also gerade mal ein T-Shirt an. Und als hätten uns der Portugiese und der Fado, den wir passenderweise dazu gehört hatten, inspiriert, hatten wir plötzlich knutschend auf dem Badewannenrand gesessen. Ein Stündchen später, wir lagen inzwischen quer auf ihrem Bett und versuchten gerade, mich zu einer Zugabe hochzupäppeln, war sie mit einem Mal wieder nüchtern geworden.

      »Was …? Mensch, wie kommst du denn …?«, stotterte sie mit großen Augen, erschrocken keuchend.

      »Das hast du doch eben offensichtlich gemerkt«, versuchte ich ihre Stimmung zu lockern. »Und von dir weiß ich’s jetzt auch. Sehr angenehm, übrigens«, versuchte ich, ihr das zu beweisen. Aber entsetzt stieß sie meine Hand weg.

      »Du musst sofort in dein Zimmer!«, haspelte sie. »Ich habe hier nie …! Nie …!«

      »Nie Besuch? Nie Gesellschaft?«, fragte ich ungläubig. Sie guckte weg, wühlte nach ihrem T-Shirt und zog es über. »Ah, ein neuer Fan«, machte ich sie freundlich frotzelnd darauf aufmerksam, dass sie mein Penner’s-T-Shirt erwischt hatte, eins von denen mit den zahnlos lachenden tanzenden Berbern. »Steht dir aber auch gut.« Sie riss es sich so hastig wieder vom Leib, als hinge es voller Spinnen.

      »Geh jetzt!«, drängte sie und zog ihr eigenes über.

      »Nie?«, beharrte ich. »Mit keinem von deinen Jungs?« Sibylle, die kaltschnäuzige Herrin von Hinderup, errötete tatsächlich.

      »Das geht dich nichts an.« Nachdrücklich schob sie mich von ihrem Bett und drückte mir meine Berber in die Hand. Nebenan aus Hansis Zimmerflucht ertönte eine Serie schneller spitzer Schreie. Er hatte sich ein bisschen Fan-Besuch