Abara Da Kabar. Emil Bobi

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Название Abara Da Kabar
Автор произведения Emil Bobi
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783702580773



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»Moment. Ich kenne da jemanden über zwei Ecken, der vielleicht was für dich ist. Ein emeritierter Linguistik-Professor. Hans Reich. War sehr umtriebig. Hat in den USA und in der Ukraine gelehrt. Ich weiß nichts Genaueres. Jedenfalls hatte er Jahre lang Streit mit Kollegen auf der ganzen Welt, weil er der Meinung war, dass diese Vielzahl an Sprachen, die es gibt, aus einer einzigen Ursprache hervorgegangen ist, und der Mensch daher nicht an mehreren Orten unabhängig voneinander zu sprechen begonnen hat.«

      »Das denken viele«, sagte ich.

      »Ja, aber Reich sagt, dass die Sprachpioniere die Schrift vom Himmel abgelesen haben. Dabei ist er überhaupt kein Spinner.«

      Das interessierte mich. »Der Mann durfte an Universitäten lehren?«

      »Genau«, sagte Paul, »das ist der Streitpunkt. Er ist übrigens einer aus der Familie des Wilhelm Reich.«

      »Aha? Wilhelm Reich himself?«

      »Großneffe oder sowas.«

      Grauberger schaltete sich ein. Wilhelm Reich sei einer der Helden seiner jungen Jahre gewesen. Er, Grauberger, habe ihn auf eine Stufe mit Leuten wie Gandhi und Nietzsche gestellt. Ein echter Regenmacher sei das gewesen. »Die Deutschen«, sagte er und sein Gesicht zuckte vorwurfsvoll nach oben, »die Deutschen wären besser Reich gefolgt. Aber Hitler hat ihnen besser gefallen. Kein Wunder. Hitler hat ihnen eingeredet, dass sie toll sind und überhaupt die besten. Reich aber hat die Wahrheit gesagt. Ein Aufdecker, der niedergemacht wurde, weil niemand seine Enthüllungen ertragen konnte.«

      Er nahm einen Schluck vom Bier und zog ärgerlich an der Zigarette. »Reich hat gesagt, dass das deutsche Volk flächendeckend an einer Zwangsneurose leidet. Jede einzelne typisch deutsche Charaktereigenschaft ist ein Symptom der Zwangsneurose. Dieses als große Tugend besungene Kompanie-Verhalten der Deutschen ist ein Krankheitsbild.«

      Die Österreicher seien auch nicht ganz frei von diesen Symptomen, warf Paul ein.

      Grauberger nickte, zog an der Zigarette und hob den Zeigefinger, während er den Rauch ausstieß, um einstweilen keine Wortmeldungen zuzulassen. »Und Freud!«, schnappte er, »dieser narzisstische, schwanzgesteuerte Traumtänzer hat Reich als kommunistischen Auftragsforscher verunglimpft und umbringen wollen, wissenschaftlich zumindest, aus purer, blinder, primitiver Eifersucht, weil Reich zu viel erkannt hatte und es wagte, Freuds Unsinn vom natürlichen Todestrieb des Menschen zu widersprechen.« Grauberger redete sich in eine Aufgebrachtheit, die er mit gierigen Zigarettenzügen stabilisierte.

      Paul wendete sich mir zu: »Ich schicke dir seine Nummer, weiß aber nicht, wo er sich aufhält.«

      Am winzigen Tisch in der hinteren Ecke saßen drei parlamentarische Mitarbeiter sozialdemokratischer Abgeordneter und der Sprecher des Sozialministers unter vergilbten Plakaten und in zu engen italienischen Anzügen. Der Pressesprecher, Mayer, hatte das roteste und am stärksten aufgequollene Gesicht der Runde. Offenbar war er den ganzen Tag nicht zum Essen gekommen, stürzte sich jetzt gierig auf den Teller mit Frischkäse, Tomaten und Basilikum, den ihm der lange Kellner mit einem kunstvollen Schwung vorgesetzt hatte. Mayer überschüttete das Gericht mit viel zu viel von dem dunkelroten Weinessig und viel zu wenig Olivenöl und keuchte beim ersten Bissen wie ein geschocktes Waldtier. Dann entdeckte er mich, hob abwehrend die Hand und kündigte an, die versprochenen Unterlagen zu irgendeiner Geschichte »umgehend« zu übermitteln: »Kann ich dich morgen anrufen?«

      »Sicher, immer, hungriger Mensch«, sagte ich, »aber iss langsamer. Sonst sage ich es den SPÖ-Frauen.«

      Mayer nickte schräg und deutete ein müdes Lächeln an. Er war stets bemüht, den Schreiberlingen alles rechtzumachen, auch wenn sie noch so viel Mist schrieben. Er signalisierte Unterwürfigkeit vor allen Medien, das war sein berufliches Versprechen und seine Grundstellung. Ich hatte mein Mineralwasser noch nicht angerührt, stürzte es jetzt in einem Zug hinunter, umarmte Paul, boxte Grauberger sanft in den Bauch, zeigte Mayer den erhobenen Daumen und verließ das Stravinsky.

      Es hatte nicht mehr zu regnen begonnen. Die Stadt war still geworden und meine Schritte klopften auf den Pflastersteinen. Die Stimmung, die sich nach der Redaktionssitzung breitgemacht hatte, war vom Lärm im Stravinsky verdrängt worden und tauchte jetzt wieder auf. Ich spazierte über den Stephansplatz, bog hinunter in die Rotenturmstraße, vorbei am verlassenen Standplatz der Pferdefuhrwerke, von denen nur der scharfe Geruch nach Dung und Urin zurückgeblieben war. Ich mochte diesen Duft. Er hatte nichts Abstoßendes für mich. Man sollte ein Parfüm mit einer Note »Pferd« machen, dachte ich. Eines dieser intelligenten Parfüms, die nicht einfach nur nach etwas rochen, sondern subtile Duftbilder öffneten, die sich veränderten wie die Jahreszeiten, je länger sie auf der Haut waren und deren flüchtige Noten von keiner Nase begriffen werden konnten. Pferdedung, Whisky, Weihrauch vielleicht. Vielleicht auch Zimt und etwas Lemoniges. Nein, Zimt ist zu süß, vielleicht eher Sandel oder Elefantengras dachte ich, aber Elefantengras ist ja auch süß, also keine Ahnung, ich wusste ja nicht, welchen Gesetzen die Alchemie der Düfte folgte. Von allen Bestandteilen musste man jedenfalls so wenig verwenden, dass man sie nicht direkt erkannte und sie gemeinsam in einem völlig neuen Duft aufgingen, der diffus und ungreifbar an Verschiedenes erinnerte, man aber nichts davon nennen konnte.

      Ich bog in die Bäckerstraße. Ein zitronengelber Lamborghini, der gegen die Fahrtrichtung unterwegs war, wurde heruntergebremst und fauchte aggressiv. Seine nass-roten Bremslichter stachen wie zwei Lichtschwerter schräg in die alte Gasse. Dann erloschen sie wieder und die Bäckerstraße sank zurück in ihre mittelalterliche Dunkelheit.

      »Der Sprachfehler. Das Kommunikationssystem, das den Menschen zum Menschen macht, funktioniert nicht.«

      Ok. Ist ja ok, sagte ich mir, ruhig Blut. Man kann ja jederzeit dazulernen. Man kann etwas Neues entdecken und dann ändern sich halt die Sachverhalte. Das ist Entwicklung. Jeden Tag werden neue Dinge entdeckt, die alte Denk-Gebäude zusammenfallen lassen. Ein Knochenfund, und schon muss die Geschichte umgeschrieben werden. Aber dann wird sie eben umgeschrieben und es geht weiter. Doch wenn die Sprache nicht das ist, was man dachte, dass sie ist, geht nichts mehr weiter. Dann ist nicht nur ein Knochen falsch, sondern alles. Absolut alles müsste umgeschrieben werden. Aber diesmal kann nichts umgeschrieben werden. Mit welcher Sprache denn?

      Ich weiß nicht mehr, wie die Zeit an diesem Abend so schnell vergehen konnte. Es war schon lange nach Mitternacht, als ich in der Bäckerstraße stand und mich umdrehte. Der Lamborghini lauerte an der Ecke. Er röchelte unter dem Würgegriff seiner Bremsen und harrte der Entscheidung, in welche Richtung er nun hechten sollte. Die beiden Insassen schienen sich zu streiten. Er, der am Steuer saß, schüttelte heftig dementierend den Kopf. Sie, am Beifahrersitz, schnappte bekräftigend nach ihm und ihr Gesicht zuckte immer wieder in seine Richtung, als würde sie ihn anbellen. In den östlichen Himmel schlich das erste Violett und wie eine Wettererscheinung zog eine riesenhafte schwarze Wolke russischer Saatkrähen von Westen her lärmend über die Stadt auf dem Weg in den Prater, wo sie wie Früchte schwer in den Baumkronen hängen wollten.

      Ich hatte Lust einzuschlafen und einige Tage vorher wieder aufzuwachen, damit sich alles als Traum herausstellen konnte. Ich musste lachen. Ich musste angreifen. Ich musste so tun, als sei alles nur eine Zeitungsgeschichte. Ich musste einfach nur einmal angreifen und dann weitersehen. Also griff ich an: Wo also lag der Fehler? Was genau funktionierte nicht? Was war das überhaupt: Sprache. Gab es Menschen der Sprache, die über ihr zentrales Informationsübermittlungssystem sagten, es funktioniere nicht? Linguisten? Denker? Dichter? Bauern? Räuber? Geisteskranke? Egal, ich würde sie finden.

      Wo die Recherche langgehen musste, war klar, es gab ohnehin nur eine einzige Vorgangsweise: Hinfahren und nachschauen. Es gab keine Alternative zur Reporter-Absoluten des Hinfahrens und Nachschauens. Reportagen waren im Homeoffice nicht machbar. Nichts auf der Welt war so, wie es sich vom Schreibtisch aus gesehen darstellte. Alles änderte sich radikal, wenn man hinfuhr und nachschaute.

      Ich wusste, was ich zu tun hatte. Es war mir nie unklar. Ich musste mich auf die klassische Suche nach dem verlorenen Schlüssel machen. Ich musste den Weg zurückgehen, den mein Untersuchungsgegenstand durch seine Geschichte genommen hatte, den Blick dabei immer konzentriert am Wegrand, und wenn da kein Schlüssel zu entdecken sein würde, würde mich mein Weg eben ganz zurück