Abara Da Kabar. Emil Bobi

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Название Abara Da Kabar
Автор произведения Emil Bobi
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783702580773



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was vermutlich alle wollten, auch ich, ich sicher, vielleicht noch mehr als sie. Außerdem, wer war schon frei von Schuld? Und ich, ganz offen gesagt, fühlte mich auch nicht schuldlos. Natürlich waren Fehler passiert, das wollte ich nicht bestreiten, es wäre ja unsinnig und unglaubwürdig und vielleicht strafverschärfend, jeder hat Verbrechen begangen, zumindest an der Demut, an der Aufrichtigkeit und Unterwürfigkeit, wenn schon nicht an Leib und Leben.

      Der Lauf der Verhandlung rollte über mich hinweg, als wäre ich nicht da, als würde in meiner Abwesenheit gegen mich verhandelt. Ich versuchte zu sprechen, aber da kam kein Laut aus meinem Mund. Ich wollte dem Gericht bedeuten, ja, ok, ist ja gut, ich komme euch entgegen, man muss mich gar nicht zwingen, ich sträube mich nicht. Ich spürte das Verlangen, meiner Schuld einen Grund zu geben, dieses diffuse Gefühl des Schlechtseins, das sich in mir breitmachte, mit einem konkreten Vorwurf zu identifizieren und bereubar zu machen. So bat ich mit den Augen um Bestätigung meiner Schuld. Aber niemand achtete auf meine geblickte Aussage. Ich war bereit, mich schuldig zu bekennen, aber man hatte mich nicht gefragt. Ich wollte ein volles Geständnis ablegen, aber welche Sache betreffend? Oder einen Gegenbeweis antreten, aber wovon? Ich wollte schuldig sein, doch konnte ich es nicht, weil ich nichts verstand. Ich verstand diese Sprache nicht und ich hatte diese melodielosen Geräuschketten noch nie gehört. Aber sie schienen ausschließlich aus Konsonanten zu bestehen. Es war wie unter Wasser, es war, als würde ich nun doch nicht an einem Ufer stehen und über das Wasser hinweg zur Kanzel blicken, sondern unter Wasser sein, ohne Luftraum, durch den sich Laute hätten bewegen können.

      Da sah ich den Gerichtsschreiber. Er saß zur Rechten des niederösterreichischen Vorsitzenden aus dem Bangkok Hilton und blickte nun auf. Ich wunderte mich, ihn bis dahin nicht wahrgenommen zu haben, denn schon sein Aussehen wirkte, als käme er aus einer gänzlich unbekannten Kultur. Seine lange, gebogene Nase erinnerte an einen Schnabel, seine Augen waren außergewöhnlich groß und außergewöhnlich schwarz und sein kommentarloser Blick war klar wie Gebirgsluft. Er musste einer hierarchischen Ebene entstammen, die Dimensionen drüberstand. Er, und nur er, war hier der wahre Vorsitzende, auch, wenn er wie ein Besucher wirkte. Und dann erkannte ich ihn: Tehut. Es war Tehut. Der Erfinder der Schrift. Der Protokollchef des Totengerichts. Tehut, der Schreiber.

      Da klopfte es. Ich öffnete die Augen und sah das gequält lächelnde Gesicht eines alten rumänischen Bettlers, der mir durch die verschmierte Windschutzscheibe zunickte und die Hand aufhielt. Die Sonne stand schon hoch und im Wagen war es heiß geworden. Mein Kopf steckte unter einer schmerzenden Trockenhaube. Mir war übel, Schweiß verklebte mich von oben bis unten und ich war erleichtert, in Wien zu sein und angebettelt zu werden. Ich öffnete die Wagentür. Die kühlende Luft auf meinem nassen Körper fühlte sich an, als würde ich Wasser aus dem Paradies trinken.

      Mein Traum befand sich noch in der Nähe und hallte nach. Erinnerungsgefühle aus einer fremdartigen Tiefe wehten herauf und ich spürte eine vergessene Vertrautheit, wie ein Wiedersehen mit meinen entferntesten Augenblicken, die weiter weg waren als ich jemals gewesen war und möglicherweise selbst aus Träumen stammten. Ich schleppte mich hinunter zum Donaukanal und ließ mich im Schatten nieder. Es stank nach Urin, duftete nach Lindenblüten und roch nach den fauligen Dieselabgasen der Fähre, die Richtung Bratislava abgelegt hatte und mit winkenden Urlaubern an Deck lautlos vorbeizog. Die bunten Graffitis an den Ufermauern verschwammen, wenn sie nicht schon verschwommen waren. Ich war zufrieden, als wäre ich durch ein Ziel gegangen. Aber ich wollte nur noch kotzen. Da sah ich, dass der Bettler noch da war und mir eine Flasche Wasser unter die Nase hielt. Ich trank und dann kam ein dicker, gelblicher, verklumpter Strahl aus meinem Mund wie aus einem Abwasserrohr. Alles wurde leichter. Und der Bettler lachte begeistert mit zahnlosem Mund und kindlich glänzenden Augen.

      War ich aufgewacht, obwohl die Verhandlung weiterlaufen sollte? Hatte der Bettler bewirkt, dass das Verfahren vertagt wurde, um in der Zukunft weitergeführt zu werden? Oder erinnerte ich mich nicht mehr an alles und es war auch zu einem Urteil gekommen? Hatte man mich verurteilt? Es dürstete mich nach Gewissheit wie nach Wasser. Ich hoffte, verurteilt worden zu sein, ich hatte Lust, verurteilt worden zu sein und ich wollte es wissen. Vor allem die Urteilsbegründung hätte mich interessiert. Mehr noch als das Strafausmaß. Fast wäre ich gern verurteilt gewesen, nur um zu erfahren, wofür und zu was. Dieses Gericht schien viel über mich zu wissen, sehr viel. Und ich wollte es auch erfahren. Aber es gelang mir nicht, weitere Bilder des Traumes auszugraben. Sie entfernten sich, verloren ihre Lautstärke und Fragwürdigkeit. Nur das Gefühl tiefer, alter Verwandtschaft blieb noch lange und wurde nur langsam schwächer. Ich fuhr in meine Wohnung und fiel ins Bett.

       5

      Als ich am späten Nachmittag erwachte, dachte ich, das Piepsen meines Mobiltelefons gehört zu haben, das den Eingang einer Nachricht meldete, vergaß es aber gleich wieder. Ich fühlte mich entleert. Mein Magen war sauer und mein Genick so verspannt, dass der Schmerz auf beide Schultern ausstrahlte, besonders auf die linke, wo er bis zum Ellbogen durchstach. Meine Wohnung lag in einem fremden Dämmer und in meinem Kopf lärmte eine Großbaustelle. Die Aufgewühltheit, die der Traum hinterlassen hatte, war abgezogen und hatte einer schuldbeladenen Leere Platz gemacht, einer seelischen Übelkeit, die das Halbdunkel meiner Wohnung noch tiefer machte. Mir war, als triebe ich nächtens allein auf hoher See, wogenden, schwarzen Bergen aus Wasser ausgeliefert, und ich wünschte mich zurück in die Harmlosigkeit meiner kleinen Welt. Ich wollte auf die heranrollenden Wasserberge einreden und spürte die Abwegigkeit dieser Idee. Die hohe See hörte kein bisschen zu. Sie trieb keinen Handel und sie machte sich nichts aus kleinen Lungenatmern, sondern ersäufte alles, was keine Kiemen hatte. Der Bettler hatte mich aus der Verhandlung geholt, noch bevor sie zu Ende war. Ich hatte mich an der Kippe gesehen, von dem Regime aus dem Verkehr gezogen zu werden. Mir war bewusst geworden, dass das jederzeit passieren konnte.

      Ich kochte Kaffee, schluckte Tabletten, setzte mich an den Schreibtisch und begann, in den Archiven internationaler Zeitungen und einiger Universitäten nach Beiträgen zum Thema »Sprache« zu suchen. Ich überflog, las quer, tauchte da und dort tiefer, ließ wieder ab und ging weiter. In keinem einzigen dieser Texte klang auch nur entfernt etwas an, das in meine Richtung deutete. Nirgendwo war die Rede von einem Kommunikationsproblem, das vom System ausging. Der Tenor lautete: Die Sprache ist ein rätselhaftes Wunderwerk, ein Geheimnis. Sie schenkt uns die Kommunikation und nicht ein Kommunikationsproblem.

      Obwohl ich längst wusste, dass ich an eines der ganz großen Themen geraten war, sah ich erst jetzt, wie gewaltig riesig es wirklich war. Es reichte bis an den Horizont und ging daher vermutlich auch darüber hinaus. Alle Protagonisten des Denkens, Forschens und Schaffens sämtlicher Epochen und aller Kulturen vom Altertum bis herauf in die Gegenwart äußerten sich über die Sprache. Sprache ist … begannen sie alle und dann folgte etwas Hellsichtiges, Ergreifendes, sprachlich Virtuoses, nachdenklich, malerisch, angestrengt, wütend, kategorisch, tastend, resignierend, originell, leidend, bohrend, anbetend, verdammend, verstiegen. Tausende Jahre lang hatten sie ihre Gedanken über das ungreifbare Phänomen aufgetürmt, immer höher und höher. Je mehr darüber gesagt wurde, desto größer war das Thema geworden. Das reichte von den Sehern des indischen Altertums, den persischen und äthiopischen Welterklärern, den Intelligenzbestien des alten Athen, den esoterischen Deutern des Mittelalters, sämtlichen Philosophen, Dichtern und Künstlern bis herauf zu den Empirikern der jüngsten Jahrhunderte und schließlich den modernen Linguisten, Kunstschaffenden und Schreibern der Gegenwart. Alle erklärten, was sie dachten, dass Sprache war. Und alle hatten eines gemeinsam: Sie versuchten sprachlich in einen Bereich vorzudringen, wohin ihre Sprache nicht reichte. Alles, was sie tun konnten, war, mit schöner literarischer Kunstfertigkeit und beeindruckender philosophischer Kraft zu umschreiben, dass sie es nicht wussten. Und fast niemand ließ sich herab, genau das zu artikulieren. Einer schon: »Anatomieren magst du die Sprache, doch nur ihr Kadaver, Geist und Leben entschlüpft flüchtig dem groben Skalpell.« Ok, schön, dachte ich. Aber das brachte mich auch nicht weiter. Geist und Kadaver und Skalpell. Was sollte ich damit?

      Ich wollte jetzt ja nicht die Sprachwissenschaften in ihrer Gesamtheit studieren, sondern machte mich mit der herkömmlichen Ahnungslosigkeit des Journalisten am Beginn seiner Recherche auf eine gezielte Suche nach Spuren meiner eigenen Gedanken. Doch ich fand nicht viel. Nur ein oder zwei der radikalsten