Abara Da Kabar. Emil Bobi

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Название Abara Da Kabar
Автор произведения Emil Bobi
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783702580773



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      Das mit den Raben, um zur Geschichte zurückzukommen, war wie der erste Blitz eines Gewitters, der gelb und lautlos am Horizont aufflackert wie eine kaputtgehende Glühbirne. Dann wurden die Blitze heller und schärfer und bald ging es Schlag auf Schlag: Zwei Tage nach der Rabensitzung entdeckte ich die Kluft. Am Tag darauf erkannte ich, dass ihre Überbrückung unmöglich war. Und noch am selben Tag wurde alles anders.

      Die Kluft. Sie war überall, wo Menschen sprachen. Sie verlief unabänderlich und ausnahmslos durch jedes einzelne Menschen-Gespräch und hielt das, was gesagt wurde, von dem fern, was gemeint war. Die Kluft, das war die Kluft zwischen Gesagtem und Gemeintem. Die Kluft war ein ganzes Netz aus Klüften. Ich meine, gespürt hatte ich sie immer schon, aber jetzt erschien sie mir in dem grafischen Muster, in das sich eine Stadt verwandelt, wenn man sie von hoch oben sieht. Ich befand mich auf einem Spaziergang am Kahlenberg und blickte hinunter auf die Stadt, die weichgezeichnet von bläulichem Dunst mit ihren Kästchen und Linien dalag wie ein riesiger Schaltplan. Und da sah ich sie.

      Alle spürten, dass es die Kluft gab. Alle spürten, dass es in Sachen Verständigung kein Gelingen gab. Jemand sagte etwas und die anderen erstarrten irritiert oder gar beschämt und alle wussten, dass etwas anderes gemeint war, während das Gemeinte wortlos über dem Gesagten schwebte. Du siehst den Menschen, der etwas gesagt hat und so vertraut war mit dem, was er sagte und so fremd zu dem, was er sagen wollte und du siehst: Das Gesagte ist vertraut und harmlos und wirkungslos, das andere, das Gemeinte, ist fremd und unheimlich. Die Kluft ist ein dichtes Netz aus Klüften. Die Kluft ist wie ein Schaltplan aus schwarzen Bahnen, die wie ein Gitter aus Klüften im Ausgesprochenen liegen und das Gesagte vom Gemeinten trennen. Wenn jemand etwas sagt, ist es, als hätte jemand anderer es gesagt. Wenn jemand etwas sagt, ist er selbst verblüfft wie die anderen, weil er, wie die anderen, selbst doch weiß, dass er etwas anderes sagen wollte. Er hört sich selbst und es ist so fremd, sich zu hören, als wäre er sich fremd, als kennte er den wahren Sprecher nicht, der sich vornüberbeugt, um zu lauschen, nachdem er etwas gesagt hat und nun stutzt, als hätte er im Nebenraum Geräusche gehört. Als hätte jemand anderer mit seiner Stimme gesprochen und etwas anderes gesagt, als er selbst sagen wollte. Und dann blickt er drein, fragend, verwirrt, so, als würde er vor einer Maschine stehen, die nicht funktioniert. Die, wenn er auf den Knopf drückt, etwas anderes macht, als er dachte. Etwas anderes, als zu erwarten war, wenn er davon ausging, dass die Maschine machte, was er dachte, dass sie machen würde, weil alle es dachten und er nur dachte, was alle dachten und nur sagte, was alle sagten, ein bisschen anders als die anderen vielleicht, aber nicht viel anders.

      Die Kluft machte es sichtbar: Wer spricht, wird belauscht. Das Gesagte wird vom Gemeinten beschattet. Wer etwas sagt, ist betreten. Beschämt. Einsam. Er spricht, doch er erreicht sich nicht. Er hat gar nicht gesagt, was er sich da sagen gehört hat, er hat es nur ausgelöst mit seinen Lauten, mit denen er versucht hat, etwas anderes auszulösen, etwas, das nur in ihm selbst war, was nur er sagen hätte können, aber er hat ein mechanisches Ergebnis bekommen wie von einem blinkenden Automaten im Prater, der immer nur eines derselben wenigen Ergebnisse auswirft, über die er verfügt.

      Es ist peinlich. Es ist so offensichtlich. Ein unverhülltes Vergehen. Es ist wie Missbrauch mit Augenkontakt. Beschämend. Es nötigt dich, den Blick zu senken. Alle sind fremdbestimmt und alle wissen, dass alle fremdbestimmt und missbraucht sind und jedes Mal, wenn jemand etwas sagt, also etwas Fremdes von sich gibt, etwas von etwas Fremdem vorgefertigt zur begrenzten Auswahl Gestelltes von sich gibt, ist er betreten von der Offensichtlichkeit des Vergehens und er schämt sich unterwürfig für seine Behinderung, für seine Machtlosigkeit, für die Ausweglosigkeit und die nicht verhinderbare und nicht aufschiebbare und unaufhörliche Wiederholung des Vergehens, welches ein Vergehen am Gemeinten ist.

      Die Kluft, das bist du. Die Kluft ist der Schatten, der neben dir steht wie dein Unterschied. Als wärst du ausgeschnitten und zur Seite verschoben und würdest die Sicht auf einen dunklen Eingang hinter dir zur Hälfte freigeben. Die Kluft ist der Zwischenraum, das Maß des Danebenen, der Raum des Ungesagten, der Hort des Gemeinten. Der Kern. Dein Unterschied.

      Du sagst etwas und alle nicken nur, als würden sie verstehen. Aber, genauer gesagt, nicken sie, als würden sie nichts verstehen und nur signalisieren wollen, sie verstünden etwas. Sie nicken realitätskonform nichts verstehend. Und was sie sagen, klingt so verdächtig, liegt so daneben, dass du spürst, wie das Gemeinte auf der Strecke bleibt, in der Kluft, wo sich das Gemeinte wie ein Restbestand sammelt, ausgesondert von einem Gitter, das nur durchlässt, was durchpasst. So landet das Gemeinte verlässlich in der Kluft, während das Nichtgemeinte verlässlich durch- und ankommt, weil es vom Aussonderungsgitter positiv auf Nichtgemeintheit geprüft wurde.

      Das Gemeinte aber, das ist der Kern. Das bist du. Du bist das Gemeinte. Das von der Sprache nicht bewältigte und vom Gitter nicht bewilligte. Das nicht Sagbare. Das entsorgte Gemeinte. Das bist du wirklich. Das, woraus deine Alleinheit gemacht ist. Die Einsamkeit zwischen Gesagtem und Gemeintem. Im Schatten, in der Kluft, wo das Gemeinte hängen bleibt, da bist du wirklich. Draußen im Licht und in den Farben bist du nur, was die Sprache aus dir macht, im Schatten aber, in der Kluft, dort bist du wirklich. Dort liegt alles auf Halde, was du meinst. Die Sprache macht aus dir dunkle Materie. Sie macht aus dir Gegenmaterie. Na ja, egal.

      Am Tag nach meinem Kahlenberg-Spaziergang wurde mir also klar, dass die Kluft selbst nicht das große Problem war. Das große Problem war, dass ihre Schließung nicht funktionierte. Diese Kluft zu überbrücken war unmöglich. Die Menschen verwendeten den größten Teil ihrer Gespräche darauf, die Kluft zwischen Gesagtem und Gemeintem zu schließen, aber mit immer mehr Gesagtem statt Gemeintem. Was hätten sie auch tun sollen.

      Da saß ich in dieser Routinebesprechung in der Redaktion und plötzlich, wie nebenbei, hörte ich es mich aussprechen: Die Sprache funktioniert nicht. Und kaputte Sprache ist mit kaputter Sprache nicht zu überwinden.

      Die Sprache war kaputt. War immer schon kaputt gewesen. Die Sprache, dieses mit Lautbildern aus modulierter Atemluft operierende Kommunikationssystem, das den Menschen zu einem geistigen Wesen gemacht hat, war defekt wie ein Funkgerät, das zwar blinkte und zischte, aber nichts übermittelte. Man konnte hineinbrüllen so oft und so deutlich man wollte, am anderen Ende war nur ein elektrisches Sieden zu hören, zerfetzt von durchbrechenden Schleifgeräuschen, die man für Botschaften hielt und die man mit weiteren Schleifgeräuschen näher erörtern wollte. Doch die Sprache der Menschen warf nicht aus, was man ihr eingab und das bedeutete, dass alles, was Menschen je gesagt hatten und alles, was Menschen je gehört hatten, falsch war. Dafür gab es so viele Beweise, wie jemals von Menschen gemachte Aussagen.

      Das hatte nebenbei auch etwas Tröstliches. Ich hatte entdeckt, dass es nicht am Menschen lag. Nicht die Menschen erzeugten das Chaos, weil sie unfähige Raubtiere waren, sondern ihr Informationsübermittlungssystem, weil es schlicht defekt war. Das war mehr als eine Begnadigung. Es war eine Enthaftung wegen erwiesener Unschuld.

      Doch das half mir wenig, ich meine, diese Amnestie traf mich nicht. Die Menschen waren nicht schuld, ich aber schon. Die Menschen wurden enthaftet, ich aber wurde verbannt. Der Rest der Menschheit wurde entlastet, ich aber enteignet. Ich nahm zur Kenntnis: Keine einzige der Botschaften, die ich verschickt hatte, war je angekommen. Ich hatte noch nie in meinem Leben etwas gesagt, wie ich dachte, es gesagt zu haben. Ich hatte die Sprache für eine Gefährtin gehalten, für eine befreundete Riesin, die Zauberkräfte besaß und mit der man Himmel und Hölle bereisen konnte. Doch diese geheiligte, verdammte Wortsprache konnte einfach nicht, was ich ihr zugeschrieben hatte.

      Diese Erkenntnis verdankte ich meinem Talent zum Hinschauen und meinem Hang zum Verwerflichen, ohne den ich heute noch an der Kluft stehen, in den Wind rufen und mir einbilden würde, drüben auf der anderen Seite verstünde jemand etwas.

      Ich bin in diese Erkenntnis bei heiterem Himmel hineingestolpert. Das ging so: Ich saß also in dieser Redaktionssitzung und verdrehte die Tatsachen, damit sie mir passten. Ich verbog sie ein bisschen, damit man einen schöneren Titel für meine Geschichte machen konnte, die sich im Vorfeld der Nationalratswahl um Wahlkampf-Sprache drehen sollte, genauer gesagt um die erstaunlich mangelhaften Sprachkompetenzen mancher Spitzenkandidaten.

      Der Wahlkampf war in die heiße Phase gekommen und besonders einer der Spitzenkandidaten hatte