Ich bin dann mal nicht weg. Gernot Zimmermann

Читать онлайн.
Название Ich bin dann mal nicht weg
Автор произведения Gernot Zimmermann
Жанр Языкознание
Серия Wagner'sche Reihe
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783703065477



Скачать книгу

10-Cent-Münze an, die es sich am Radweg gemütlich gemacht hat. Natürlich bücke ich mich nach dem Münzfund, denn schließlich ist das Sammeln von verlorenem Kleingeld eines unserer Hobbys. Und wir nehmen das durchaus ernst, in den ersten fünf Sammeljahren haben wir immerhin 376 Münzen gefunden, plus einen 5-Euro- und einen 50(!)-Euro- Schein. Die zweite Sammelperiode starteten wir 2015, im heurigen November sind die fünf Jahre um und wir freuen uns schon auf das Ergebnis. Jaja, so hat halt jeder seine Leidenschaften und Hobbys, aber dieses hier kostet uns wenigstens nix – ganz im Gegenteil …

      Nach ein paar Metern in der Langstraße biege ich links in einen Hof ab, der sich Panzing (Flurname) nennt. Auch hierbei handelt es sich um eine Südtiroler-Siedlung und die Häuser sind gleich aufgebaut wie in den Höfen zuvor. Zum Thema Panzing muss ich eine kleine Anekdote loswerden und die Leser meines Taxi-Buches mögen mir verzeihen, dass das jetzt für sie keine Neuigkeit sein wird. Aber die Geschichte ist es wert, ein zweites Mal erzählt zu werden. Also, zu der Zeit, als in den Taxis der Sprechfunk noch offen war, spielte sich eines Abends folgender Dialog ab: Zentrale: „Wagen 78, finden’S leicht Panzing 5 nicht? Der Kunde ist jetzt schon das dritte Mal am Apparat.“ Der Kollege aus Ex-Jugoslawien antwortete zu unserem größten Vergnügen mit: „Tschuldige Zentrale, aber ich nur finden Inzing, Hatting und Polling, aber nix Panzing. Muss noch bissele suchen, bitte.“ Nun, für Nicht-Einheimische sei gesagt, die Dörfer Inzing, Hatting und Polling liegen im Tiroler Oberland und sind mindestens 20 Kilometer von Innsbruck entfernt. Was haben wir gelacht …

      Um von Panzing zu meiner nächsten Adresse zu kommen, muss ich lediglich die Langstraße überqueren und bin dann schon in der Defreggerstraße (Tiroler Maler, 1835–1921). Dass mir gleich an der Ecke zur Langstraße eine Straßenbahn entgegenkommt, daran muss ich mich erst noch gewöhnen, denn seit Neuestem fährt die Bim ja bis ins O-Dorf runter. Die Defreggerstraße ist links und rechts von Wohnhäusern gesäumt, führt über die Pradler Straße drüber und mündet letztlich, auf der Höhe des Rapoldiparks, in den Leipziger Platz. In der Defreggerstraße war ich auch schon in fast jedem Haus drin – sei es im Café „Treff 20“, im Chinarestaurant „Kaiser“ oder in dessen Vorgängerlokal, dem Gasthaus „Zum scharfen Eck“. Dann gibt es noch die „Defregger Stuben“ und das rein vegetarische Lokal „Oscar“. Das habe ich allerdings nur für eine Reportage besucht, mein Lieblingsgemüse ist nun mal das Fleisch. Ach ja, und ganz früher war ich das eine oder andere Mal im Gasthaus „Neupradl“, aber das ist beinahe 40 Jahre her.

      Ich lasse den Leipziger Platz hinter mir und gehe am Städtischen Hallenbad vorbei. Plötzlich schmerzen meine Oberschenkel, aber nicht vom Wandern, sondern von den Gedanken an ein Erlebnis, das ich einmal in diesem Schwimmbad hatte. Ich werde noch ein Teenager gewesen sein und an diesem Tag hat der Bademeister ausnahmsweise mal wieder den Sprungturm geöffnet. Sofort sind die Mutigsten auf den Fünf-Meter-Turm (oder waren es gar sieben Meter?) geklettert, ich natürlich mit dabei. Der Bademeister hat die Springer mit einem Pfiff aus seiner Trillerpfeife einzeln abgelassen und als ich an der Reihe war, feuerte er mich zusätzlich mit einem „Hopp!“ an. Dummerweise verstand ich „Stopp!“, versuchte zwar noch meinen Anlauf abzubremsen, aber ich stürzte letztlich völlig unkontrolliert ins Wasser. Ich bin komplett flach auf der Oberfläche aufgeschlagen, mit dem Gesicht nach unten. Den größten Aufprallschmerz meldeten meine Hochzeitswerkzeuge, aber am nachhaltigsten zeigten sich die Auswirkungen auf meinen Oberschenkeln. Noch im Schwimmbad verfärbten sie sich tiefblau wie Zwetschken und ich habe sie noch sehr, sehr lange gespürt.

      Das Ziehen in den Oberschenkeln ist beim Überqueren der Sill via Friedensbrücke (vorher Gaswerkbrücke) schon wieder verschwunden und entlang der Rhombergpassage begebe ich mich zum Anfang der Amraser Straße (führt zum Stadtteil Amras). Die wird jetzt ein richtiges Stück Arbeit und das nicht nur, weil sie bis zur Friedensbrücke gleich ordentlich ansteigt. Prompt meldet sich deshalb auch meine immer noch leicht beleidigte Wade, aber mit einem kurzen Stehenbleiben zwischendurch kann ich sie wieder besänftigen. Ich komme genau vor dem Nachtlokal „Queens Club“ zu stehen, früher hat es „Queen Anne“ bzw. noch früher „Nachtexpress“ geheißen. Das war damals die erste richtige Disco in Innsbruck, mit fetziger Musik, mit tiefer gelegter Tanzfläche, Glitzerkugeln, bunten Scheinwerfer-Spots und dem zuckenden Stroboskop-Blitzlicht. Ich war als 16-Jähriger zum ersten Mal im „Nachtexpress“, der Blockbuster „Saturday Night Fever“ mit John Travolta war erst ein Jahr zuvor in die Kinos gekommen. Disco war etwas völlig Neues, total aufregend, jeder und jede hat sich besonders schick gemacht. Mädels wie Burschen hatten ihre Flirt-Antennen weithin sichtbar ausgefahren und AIDS war noch kein Thema. Das nenne ich mal die Gnade der Geburt zum richtigen Zeitpunkt …

      Noch vor der zweiten Überquerung der Sill fällt mir ein Unfall ein, den ich an dieser Stelle einmal hatte. Ich war mit dem Taxi stadtauswärts unterwegs und auf Höhe der Einfahrt zum Frachtenbahnhof wollte unmittelbar vor mir ein Spinner seinen Wagen mit der Handbremse wenden. Ich bin ihm formlos und mit einem guten 40er in die Seite gekracht, den Fuß noch nicht einmal auf der Bremse. Passiert ist dem Deppen nix, er war natürlich betrunken und somit nicht nur seinen Führerschein los, sondern auch seine Karre. Und wie ich so über diesen Crash nachdenke, fällt mir ein, dass ich auf der Amraser Straße noch drei (!!) weitere Verkehrsunfälle hatte. Einmal wurde ich an der Kreuzung zur Gumppstraße gnadenlos abgeschossen, ein junger Bursche hatte mich übersehen und das schöne Blechkleid meines Mercedes-Taxis ins Unschöne kaltverformt. Ein weiterer Unfall ereignete sich in unmittelbarer Nähe, nämlich gleich gegenüber beim Taxistandplatz Sonnpark. Ein Sattelschlepper hatte sich beim Abbiegen verschätzt, drang mit einer Ecke seines Aufliegers in das hintere Beifahrerfenster meines stehenden Taxis ein, schleifte mich ein paar Meter weit mit, spuckte mein Taxi schließlich wieder aus und fuhr davon. Natürlich erwischte ich den LKW-Fahrer noch, er hatte den Unfall nicht mal bemerkt. Und schließlich war ich an der Kreuzung mit dem Südring in einen mittelschweren Unfall verwickelt, auch mit dem Taxi, da habe ich allerdings die Alleinschuld getragen. Wie das halt so ist, wenn man einem stehenden Fahrzeug hinten auffährt. Eine kleine Unachtsamkeit und ein fescher Reparaturauftrag für die Werkstatt des Vertrauens meines Arbeitgebers. So, das war es dann aber mit meinen Unfällen, zumindest mit denen in der Amraser Straße.

      Beim Überqueren des Südrings freue ich mich schon richtig auf den Pradler Friedhof, der nur noch etwa 200 Meter entfernt ist. Denn da weiß ich von einem schönen Bankerl und das brauche ich jetzt dringend. Ich dürfte dem Muskelkater in meiner linken Wade etwas zu wenig Zeit zum Regenerieren gegeben haben, denn ich spüre immer noch dieses Ziehen. Ilse meldet sich am Handy, sie wird mich am Ende der Amraser Straße abholen. Das sind noch 300 Meter, also mache ich mich auf. Meine liebe Frau erwartet mich mit Red Bull und Bounty, das genügt mir als Wegzehrung für mein nächstes Etappenziel.

      Ich lass mich doch glatt die vielleicht 100 Meter zur Wiesengasse (alte Wegbezeichnung) mit dem Auto bringen, aber jeder Meter zählt. Als Kind habe ich in Amras gewohnt und die Wiesengasse zählte für mich zum erweiterten Hof. Sie führt mich zuerst am Pradler Friedhof vorbei, heute steht gegenüber dem Südeingang das Krematorium. Auf derselben Seite, aber ein paar hundert Meter weiter, liegt der sogenannte „Alte Wacker-Platz“. Ich kann mich noch gut an ihn erinnern, an die alten Spielerkabinen aus Holz und an den kleinen Kiosk. Mein Bruder Robert und ich haben hier sogar einmal ein Probetraining zur Aufnahme in den Verein absolviert – Robert haben sie genommen, ich durfte weiter den Ballbuben spielen. Heute ist die gesamte Anlage komplett erneuert und es gibt gleich drei Fußballfelder nebeneinander.

      Nach dem alten „Wacker-Platz“ und nach Passieren der Unterführung komme ich an die Rückseite des Tivoli-Stadions. Das ist für mich eine absolute Terra incognita, ich war tatsächlich noch niemals hier. Denn nie im Leben würde ich auf die Idee kommen, das Tivoli-Stadion über den Südeingang zu betreten. Was soll ich da? Etwa gar im rundum eingezäunten Gäste-Sektor Platz nehmen? Nie und nimmer, nicht einmal dann, wenn St. Pauli der Gegner wäre …

      Gegenüber des Süd-Eingangs wird gerade das neue Football-Stadion hochgezogen. Zeit wird’s, denke ich, denn die Innsbrucker „Swarco Raiders“ zählen immerhin zu den führenden Teams in Europa.

      Nach dem Wacker-Stadion führt die Wiesengasse zwischen grünen Wiesen durch, wird sie also doch noch ihrem Namen gerecht. Plötzlich gerate ich in einen Mückenschwarm, wie ich ihn auch noch nicht erlebt habe. Ich bin regelrecht in eine dunkle