Ich bin dann mal nicht weg. Gernot Zimmermann

Читать онлайн.
Название Ich bin dann mal nicht weg
Автор произведения Gernot Zimmermann
Жанр Языкознание
Серия Wagner'sche Reihe
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783703065477



Скачать книгу

untergebracht, der glücklicherweise aufgelassen worden ist. Glücklicherweise deshalb, weil in der warmen Jahreszeit die Jugendlichen gleich im Dreißiger-Pack mit ihren Mopeds angeknattert gekommen sind – 99,9 Prozent der Fahrzeuge waren natürlich auffrisiert und dementsprechend nervtötend laut. Da mussten wir uns dann beim Frühstück manchmal in Zeichensprache unterhalten und das gleichzeitige Wegfahren dutzender Mopeds hat uns oft genug aus dem Mittagsschlaf gerissen. Ich sehe das ja, ganz tief in meinem Innersten, ohnehin nur als gerechte Strafe an. Denn als Teenager habe ich selber Löcher in den Auspuff meines Mofas gebohrt, damit es wenigstens nach irgendwas klingt. Jaja, Karma is a bitch …

      Nach der Durchwanderung der Siegmairstraße komme ich zum vierten Mal zu einer Kreuzung mit der Kranewitterstraße, aber das war es dann für heute. Insgesamt kann ich nach meinem ersten Wandertag durch Innsbruck 21 Straßen bzw. Adressen als erledigt abhaken, 21 von über 650, das sind schon fast drei Prozent. Fehlen also eh nur mehr 97 Prozent …

      Reim des Tages:

      Mit meiner Ilse durch die Stadt zu wandern,

      ist mir viel lieber als mit jeder andern …

       Donnerstag, 12. März 2020

      Erstaunlicherweise spüre ich kaum Nachwirkungen des gestrigen Wandertages, nur in meiner linken Wade macht sich ein ganz leichter Muskelkater bemerkbar. Es zieht nämlich ein bisschen.

      Die Corona-Lage wird immer undurchsichtiger und dramatischer, in den unter Quarantäne stehenden Gebieten Italiens darf man nur noch dann spazieren gehen, wenn man einen Hund hat! Sonst muss man zu Hause bleiben, das Militär patrouilliert in Städten und Ortschaften. Bei uns in Österreich steigt die Zahl der Infizierten ebenfalls an, auch hierzulande werden weitere Maßnahmen erwogen. Mal schauen, wo das noch hinführt.

      Wir starten heute direkt von daheim aus und als Erstes begeben wir uns ans Ende der Josef-Pöll-Straße (Komponist, 1874–1940), an der Ecke zur Siegmairstraße. Wir spazieren die Josef-Pöll-Straße stadteinwärts, also in Richtung Westen. Viel gibt sie nicht her, kein Geschäft, kein Lokal – beinahe würde ich meinen, die einzige Attraktion sind die Parkautomaten, weil sie im Dunkeln so schön grün leuchten. Aber die Josef-Pöll-Straße ist eine angenehme Wohngegend, hier fährt nur durch, wer hier auch was zu erledigen hat, also herrscht kaum Verkehr. Die Straße geht dann an der Kreuzung mit der Grenzstraße in die Petzoldstraße (Arbeiterdichter, 1882–1923) über und wenn es nach dem „Räumlichen Bezugssystem“ der Gemeinde Innsbruck geht, dann ist das hier die Grenze zwischen Amras und Pradl. Ist es aber nie und nimmer, für welchen Innsbrucker liegt die Siegmair-Schule bitteschön in Amras? Für mich liegt die Grenze zwischen Pradl und Amras in der Mitte der Amraser-See-Straße, aber ich habe ja schon eingangs erwähnt, dass es über die exakten Grenzen der einzelnen Stadtteile Innsbrucks immer schon rege Diskussionen gegeben hat. Die Stadt selber teilt in ihrem „Räumlichen Bezugssystem“ die Gemeinde in Katastralgemeinde, Statistischer Stadtteil und in Statistischer Bezirk ein. Jeweils mit unterschiedlichen Grenzverläufen. Um es noch einfacher zu machen, gibt es auch so etwas wie postalische Einteilungen und dann kommen noch die diversen Sprengel-Regelungen dazu und …

      Genug jetzt damit, zurück in die Petzoldstraße. Die ersten Wohnblocks links und rechts brüllen geradezu nach einer Sanierung, hier ist seit der Errichtung im Jahre Schnee (vermutlich Ende der 1950er-Jahre) nie etwas renoviert worden. Zeit wird’s. Die kurze Petzoldstraße ist schnell abgehakt, wir gehen nach links und sind schon nach wenigen Schritten in der Kernstockstraße (Verfasser des „Hakenkreuzliedes“, 1848–1928). In meiner Sturm-und-Drang-Periode habe ich mich den Protesten gegen diese Straßenbezeichnung angeschlossen, die Stadt ist aber unnachgiebig geblieben. Schließlich habe ich, gemeinsam mit einem Freund, das Schild der Kernstockstraße gefunden, bevor es die Stadt überhaupt verloren hat. Es ist jetzt an einem besseren Ort. Natürlich wurden die verloren gegangenen Schilder immer wieder erneuert und seit 2011 ist zumindest ein zusätzlicher Info-Text über Kernstock angefügt. Trotzdem ärgert mich die Sturheit der Stadt in dieser Sache immer noch, denn in fast allen anderen Orten Österreichs sind die Kernstockstraßen umbenannt worden. Hakenkreuz hin oder her, ich kann mich der Kernstockstraße natürlich nicht verweigern und gehe in die vermeintliche Sackgasse hinein. Und siehe da, das ist ja gar keine Sackgasse mehr, denn „die Unaussprechliche“ führt hinüber bis zur Seebergasse. Das habe ich nicht gewusst und dabei ist das keine 400 Meter von mir daheim entfernt …

      Die Seebergasse (Priester und Germanist, 1856–1919) ist nur unwesentlich länger als die Gasse davor und wir gehen sie bis zur Amraser Straße. Dann links hinauf die paar Schweine-Meter bis zum Blindenheim und dort scharf nach links in die Grenzstraße (ehemalige Grenze zwischen den Dörfern Amras und Pradl). Wir sind hier öfters auf einem Spaziergang unterwegs und genießen auch heute den Blick auf die gewaltige Nordkette. Das Wetter ist zum Wandern optimal und mit jeder Stunde wird es wärmer. Die Grenzstraße setzt sich dann als Koflerstraße (Tiroler Politiker, 1855–1943) fort und endet erst an der Gumppstraße. Über die Koflerstraße gibt es wenig zu sagen, eine reine Wohngegend mit netten Einfamilien- und Mehrparteienhäusern. Einziger Mangel ist die Infrastruktur, es gibt im Umkreis von 500 Metern kein Lebensmittelgeschäft, aber das ist in ganz Ost-Pradl so.

      Wir gehen danach die Gumppstraße ein Stück stadtauswärts bis zur Kreuzung mit der Türingstraße (Erbauer des Goldenen Dachls, gest. 1517), das ist unsere nächste Adresse. Diese Gegend habe ich immer schon gerne gemocht, die einstöckigen Wohnhäuser der sogenannten „Südtiroler-Siedlung“ strahlten für mich immer große Gemütlichkeit aus. Damit ist es jetzt vorbei, seit einiger Zeit wird in der Türingstraße alles abgerissen, was nur ein Stockwerk hat. Eines der Südtiroler-Häuser in dieser Straße steht noch, aber auch sein Schicksal ist längst besiegelt. An der Kreuzung mit der Amthorstraße drehen wir am Absatz um, weil von der Türingstraße noch zwei Querstraßen abgehen. Als Erstes nehmen wir uns Am Rain (Flurname) vor, auch hier stehen noch einige ältere Häuserblocks der Südtirol-Umsiedler und auch die werden wohl nicht mehr lange stehen bleiben. Gleich parallel dazu verläuft Am Roßsprung, die Geschichte dazu habe ich eh gestern schon erzählt. Auch hier dominieren noch die alten Häuser, aber es ist schon erstaunlich, wie rasch sich dieser Teil Innsbrucks in den letzten Jahren verändert hat. Aber durchaus nicht zum Schlechten.

      Wir spazieren danach erneut die Türingstraße Richtung Norden runter und kommen wieder zur Amthorstraße (Verleger alpiner Reiseliteratur, 1820–1884). Der folgen wir jetzt stadteinwärts, sie wird uns immerhin bis vor zur Pradler Straße bringen. Wir starten beim Dotterbichl, früher war hier die ganze rechte Straßenseite von Baracken gesäumt. Bis vor zum ehemaligen Kiosk an der Ecke zur Pestalozzistraße. In meinem Taxi-Buch „Eine Million Kilometer durch Innsbruck“ habe ich mich eh ausführlicher mit dieser Sauf-Bude auseinandergesetzt. Genau gegenüber hat sich einer der ersten illegalen Nachtclubs Innsbrucks befunden, im Keller eines ganz normalen Mehrparteienhauses. Die Mieter werden auch einiges mitgemacht haben …

      Gehen wir anschließend über die Langstraße, dann kommen wir linksseitig an der ehemaligen Backstube der ebenfalls ehemaligen „Konditorei Schiessling“ vorbei. Ich weiß das deshalb, weil mein Bruder Robert hier eine Lehre begonnen hat und ich ihn ein paar Mal an seinem süßen Arbeitsplatz besucht habe. Auf der gleichen Straßenseite, keine 100 Meter weiter, habe ich einmal ein Erlebnis der besonderen Art gehabt. Ich war zu der Zeit als Fahrer bei der „Spenglerei Auer“ beschäftigt, aber weil ich mich nicht ganz ungeschickt gezeigt habe, durfte ich bald auch kleinere Montagearbeiten durchführen. Und so habe ich, gemeinsam mit einem erfahrenen Kollegen, an einem fünfstöckigen Haus Ablaufrohre angebracht. Das dürfte im Juli 1984 gewesen sein. Jedenfalls hing ich gerade an der Strickleiter in gut 15 Metern Höhe und bohrte mit der schweren Hilti-Maschine Löcher in die Außenmauer. Plötzlich setzte ohne Vorwarnung das heftigste Gewitter ein, das ich je erlebt habe. Sofort nach dem ersten Windstoß prasselte Starkregen auf mich ein, der bald darauf in Hagel überging, die Schloße waren zum Teil so groß wie Tischtennisbälle. Es blitzte und donnerte minutenlang ununterbrochen, mein mich sichernder Kollege war sogleich in den Dachboden geflüchtet und hatte zur Vorsicht die Luke geschlossen. Ich hing also buchstäblich in der Luft, krallte mich an den Sprossen der Strickleiter fest und wurde eine gute Viertelstunde lang von Sturm, Regen und Hagel ordentlich bearbeitet. So etwas vergisst