Название | Ich bin dann mal nicht weg |
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Автор произведения | Gernot Zimmermann |
Жанр | Языкознание |
Серия | Wagner'sche Reihe |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783703065477 |
Zu unserer nächsten Adresse ist es auch nicht sonderlich weit, zuerst von der Vintlergasse über einen Fußweg hinaus auf die Amraser-See-Straße, gute 300 Meter den Südring entlang Richtung Osten, dann sind wir eh schon bei der Algunderstraße (Gemeinde in Südtirol) angekommen. Obwohl ich ganz in der Nähe gewohnt habe, war ich noch nie in dieser Straße. Den Namen kenne ich auch nur aus der Taxilenkerprüfung, hier habe ich jedenfalls nie einen Auftrag bekommen. Die Algunderstraße bringt uns wieder zur Gerhart-Hauptmann-Straße zurück und wir gehen sie zum zweiten Mal hintereinander in Richtung Westen, ohne dass wir diese Adresse abhaken können. Klingt unlogisch, ist aber strategisch besser. Denn kurz bevor die Gerhart-Hauptmann-Straße endet, geht links die Wolkensteingasse (Minnesänger, 1377–1445) weg. Die ist keine 200 Meter lang und gleich nach Beendigung der kurzen Gasse folgt eine Rechts-rechts-Kombination und zack, sind wir endlich an einem Anfang der Gerhart-Hauptmann-Straße (Deutscher Dramatiker, 1862–1946). Jetzt können wir sie in ihrer ganzen Länge durchwandern, so ist nun mal die Regel. Die paar hundert Meter sind gleich einmal erledigt und nach einem kleinen Stück auf der Geyrstraße kommen wir zur Dr.-Ferdinand-Kogler-Straße (Rechtsgelehrter, 1872–1944). Die führt zu Beginn zwischen dem sogenannten „Ärztehaus“ und dem „DEZ“ hindurch und wir staunen über den nahezu leeren Parkplatz des Einkaufszentrums. Kein Wunder, außer den Lebensmittelgeschäften sind alle Läden geschlossen, was soll man also dort. Wir marschieren weiter die Straße entlang, es herrscht kaum Verkehr, das ist ganz ungewohnt. Schließlich ist die Dr.-Ferdinand-Kogler-Straße nicht nur die wichtigste Zufahrt zum „DEZ“, es gibt auch einen McDonald’s hier und es gehen die Autobahnzufahrten zur A12 und zur A13 von dieser Straße ab. Normalerweise stehen hier die Autos den ganzen Tag über Stoßstange an Stoßstange, heute könnte sogar eine Nacktschnecke gefahrlos die Straße überqueren …
Nach der Unterführung sehen wir schon das Ende der Straße vor uns, bis zur Andechsstraße müssen wir aber schon noch gehen. Mensch die Andechsstraße! Sie wird die erste Straße bei meinem „Projekt im Projekt“ sein – ich möchte nämlich die „Reichenau an einem Tag“ durchwandern, das sollte sich machen lassen. Ich denke schon die ganze Zeit über den perfekten Geh-Plan nach und ziemlich sicher werde ich mit der Andechsstraße anfangen. Aber das ist Zukunftsmusik, wir sind ja noch nicht einmal mit Amras fertig.
So, für den heutigen Tag war es das mal wieder, wir gehen zu Fuß nach Hause. Ach ja – normalerweise wären wir vielleicht bei der OMV-Tankstelle an der Andechsstraße eingekehrt, auf einen heißen Fleischkäse, ein Semmerl und ein Cola. Aber – nix ist mehr normal …
Reim des Tages:
Wir spazieren durch Amras und sind ganz betroffen –
alle Geschäfte sind zu und kein Gasthaus hat offen.
Tag 6
Donnerstag 19. März 2020
Auch wenn ich meine Leserinnen und Leser nur sehr ungern mit diesem ganzen Corona-Wahnwitz belasten möchte, so muss ich doch auf die aktuelle Situation eingehen. Seit gestern, 22 Uhr, steht ganz Tirol unter Quarantäne, man darf seine Gemeinde nicht mehr verlassen. In Tirol haben sich bis jetzt knapp 500 Personen mit dem Virus infiziert, gestorben ist zum Glück noch niemand. Die grüne Verkehrs-Landesrätin Ingrid Felipe dankt (!!!) den Tirolerinnen und Tirolern, dass sie derzeit auf Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel verzichten. Dafür ist jetzt in ganz Innsbruck das Parken gratis, damit man mit dem Auto in die Stadt fährt. Echt verrückte Zeiten …
Wir setzen unser Projekt trotzdem fort. Wenigstens ein paar Straßen von Amras würden ich gerne abgehen, das ist eh nahe an unserer Wohnung und das wird man uns schon durchgehen lassen. Ilse fährt mich zur Hermann-Gmeiner-Straße (Gründer der SOS Kinderdörfer, 1919–1986), die liegt am Weg nach Ampass und beginnt für mich genau an der Ortstafel von Innsbruck. Dieser Teil von Amras trägt den Beinamen „Egerdach“, hier befand sich früher ein Heilbad und ein Erholungsheim, heute erinnert nur noch eine kleine Kapelle an diesen ehemaligen Kurort.
Wer die Hermann-Gmeiner-Straße schon einmal befahren hat, der wird sich garantiert über die unfassbare Menge an Kanal-, Wasser- und sonstigen Eisendeckeln gewundert haben, die den Stoßdämpfern eines Fahrzeugs alles abverlangen. Manche dieser Kanaldeckel, vor allem die ganz großen, haben durchaus die Dimension und die Tiefe eines Kinderplanschbeckens, da rumpelt’s dann ganz schön im Auto – und das alle paar Sekunden. Damit mir beim Gehen nicht langweilig wird, habe ich mir heute den Spaß erlaubt und die Kanaldeckel gezählt. Also – allein schon von der Ortstafel bis zur Hermann-Gmeiner-Akademie sind es 41 Stück. Wohlgemerkt nur die auf der Straße, die am Gehweg zähle ich nicht mit. Nach wenigen hundert Metern geht dann die Hermann-Gmeiner-Straße direkt in die Luigenstraße (Flurname) über, bis hierher zähle ich weitere 112 Kanaldeckel. In der Luigenstraße ist in den letzten Jahren heftig gebaut worden, die Mehrparteienhäuser sind wie die Pilze aus dem Boden geschossen. Ist sicher schön wohnen hier, zum Einkaufen kann man allerdings zu Fuß nirgends hingehen. Die Luigenstraße führt dann unterhalb von Schloss Ambras beim ehemaligen „Schloss-Café“ vorbei, übrigens sind bis dahin weitere 62 Kanal- und sonstige Eisendeckel dazugekommen. Anschließend noch unter der Autobahnunterführung durch und schließlich endet die Luigenstraße an der Geyrstraße, gegenüber dem Gasthaus „Bierwirt“. Genau an dieser Ecke war früher eine Tabaktrafik angesiedelt und manchmal bin ich als Kind den recht weiten Weg bis hierher gegangen, um meiner Mutter Zigaretten aus dem Automaten zu ziehen. Der Lohn dafür war ein Schilling und das Besondere dabei: Die Packung Smart Export hat damals neun Schilling gekostet und weil der Automat nicht wechseln konnte, war ein einzelner Schilling unter das Cellophan der Verpackung geschoben worden. Ein Schilling war 1969 nicht nichts, dafür gab es immerhin zehn Stollwerck oder eine Bombensemmel. Ach ja, im Haus daneben war einmal eine Produktionsstätte für „Recheis-Backerbsen“ untergebracht und meine Mutter war hier eine Zeitlang beschäftigt. Nach der Schule bin ich oft vorbeigekommen und konnte Backerbsen essen, so viel ich wollte. Ein Traum, auch den wunderbaren Geruch werde ich nie mehr vergessen.
Oh, apropos, damit ich es nicht vergesse – vom „Schloss-Café“ bis zum Bierwirt stellen sich den Verkehrsteilnehmern noch einmal 38 eherne Deckel im Asphalt in den Weg, sind es also von der Ortstafel Innsbruck bis hierher exakt 253 Stück Kanal-, Wasser- oder sonstige Metalldeckel. Und das auf einer Strecke von nicht einmal zwei Kilometern. Zum Glück ist das nicht Standard auf Innsbrucks Straßen, man müsste als Autofahrer sonst glatt ein Stoßdämpfer-Abo abschließen …
Ich schaue beinahe traurig zum behördlich geschlossenen „Bierwirt“ rüber, natürlich wäre mir gerade jetzt ein kaltes Bier sehr willkommen … Aber jammern nützt nix, also mache ich eine 180-Grad-Drehung und wende mich damit der Kirchmayrgasse (Amraser Bürgermeister, 1861–1925) zu. Die Sackgasse geht vielleicht 300 Meter in Richtung Nord-Osten, auch hier erinnert noch einiges an das Amras früherer Tage. Vom Kinderspielplatz dringt in diesen Tagen natürlich kein Lachen zu mir herüber, dafür versetze ich versehentlich ein paar Enten in helle Aufregung. Zu nah am Zaun vorbeigegangen, sorry!
Ilse wartet am Ende der Kirchmayrgasse und zum ersten Mal steige ich heute ins Auto. Das war auch noch nicht notwendig, jede der bisherigen Straßen ist in die nächste übergegangen. Das ist beim Bleichenweg (hier wurde früher gebleicht) anders, der beginnt unweit des „Schloss-Cafés“ und das wären doch einige Extra-Meter dorthin gewesen. Wieder gehe ich unter der Autobahn durch, neben mir würden jetzt normalerweise die Boccia-Spieler ihre Matches austragen, aber natürlich sind auch hier alle Luken dichtgemacht. Ich komme dann an der Schrebergarten-Siedlung vorbei, meine Mutter hat sich einmal für eines der Häuschen hier interessiert. Als sie den Preis der geforderten Ablöse gehört hatte, meinte sie: „Um das Geld kann i ja gleich a richtiges Haus bauen.“ Den Schrebergarten-Traum hat sie sich aber trotzdem erfüllt, woanders halt.
Jetzt passiere ich schon die Ostseite des „DEZ“-Geländes, der Bleichenweg findet sein Ende aber erst am Kreisverkehr mit dem Autobahnzubringer. Ilse erwartet mich und ich werde zum Startpunkt meiner letzten Etappe für heute gefahren, den Leopold-Wedl-Weg (Tiroler