Ich bin dann mal nicht weg. Gernot Zimmermann

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Название Ich bin dann mal nicht weg
Автор произведения Gernot Zimmermann
Жанр Языкознание
Серия Wagner'sche Reihe
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783703065477



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mit dem „Corona-Shake“, also mit dem Zusammenstoßen unserer Schuhe. Jörgi war einkaufen, der Andrang im Geschäft sei völlig wahnsinnig, klagt er. Viele Regale sind total leergekauft, es gibt kein Obst und kein Gemüse mehr, keine Konserven, kein Stück Brot und die Leute balgen sich um die letzten Packungen Klopapier. Der Corona-Wahnsinn nimmt immer groteskere Formen an, die Menschen bereiten sich offenbar auf eine Art Zombie-Apokalypse vor. Das kommt davon, wenn man sich zu viele drittklassige Seuchen-Filme anschaut, denn so schlimm wird es sicher nicht werden. Ilse und ich vertrauen da ganz auf unseren Hausverstand, übrigens haben wir unseren „Hamsterkauf“ bereits Ende Februar erledigt. Zwar ohne fünf Packungen Klopapier, aber dafür mit Reis, Nudeln, Haltbarmilch und Konserven, was man halt so braucht, falls man mal ein paar Tage nicht aus dem Haus darf.

      Die Dr.-Glatz-Straße geht nach dem Südring noch ein ordentliches Stück weiter und erst bei der Amraser Straße ist Schluss.

      Jetzt stellt sich die Frage, ob ich die nächste ins Auge gefasste Straße wirklich angehen soll, denn die würde mich bis in die Reichenau hinunterführen. Ich beantworte mir die Frage damit, dass ich mich zum Anfang der Gumppstraße (Innsbrucker Baumeister- und Architektenfamilie, 17./18. Jahrhundert) fahren lasse. Gehe ich halt aus Pradl raus, diese Straße führt nun mal in den Nachbarstadtteil, was soll ich machen?

      Nach dem Queren der Langstraße komme ich in den eher ruhigeren Teil der Gumppstraße und ein paar hundert Meter weiter wird es dann noch ruhiger. Denn da befinden wir uns schon im „Fahrverbot, ausgenommen Anrainer und Berechtigte“. Zu denen gehören seit Neuestem übrigens auch wir, denn wir haben hier eine Parkgarage für unser geliebtes Wohnmobil gemietet. Nach Überschreitung der Egerdachstraße ist die Gumppstraße immer noch nicht zu Ende und nach der Andechsstraße auch nicht. Denn sie führt doch tatsächlich vor bis zum Langen Weg – das ist ja nicht nur in der Reichenau, sondern sogar schon eine Außengrenze dieses Stadtteils. Denn auf der anderen Straßenseite des Langen Wegs beginnt schon die Roßau. Puh, die Gumppstraße war wirklich anstrengend und ich genieße die Pause im Auto.

      Für die vielen langen Straßen am heutigen Wandertag folgt nun die Belohnung, denn jetzt warten einige wirklich kurze Adressen auf mich. Wir beginnen diese Tour mit der Reithmannstraße (Glückloser Tiroler Erfinder des Vier-Takt-Motors, 1818–1909), die von der Andechsstraße abgeht und an deren Ende das gleichnamige Gymnasium steht. Nadja hat hier am „Europa-Gymnasium“ maturiert, das war damals ein Schulversuch mit den Fremdsprachen Englisch, Französisch, Italienisch und Latein. Der Versuch dürfte sich bewährt haben, denn das „Euro-Gym“ gibt es heute noch.

      Gegenüber des Gymnasiums beginnt die Lutterottistraße (Tiroler Dialektdichter, 1793–1872), die ist mit wenigen Schritten abgehakt. Es folgt die Renkstraße (Innsbrucker Dichter, 1871–1906) und da muss ich unbedingt meinen Verleger Markus Renk anrufen und ihm einen Zwischenbericht meiner Wanderung durch Innsbruck durchgeben. Der vielbeschäftigte Markus hebt sofort ab und erzählt mir gleich in kurzen Stichworten den Lebenslauf seines Großonkels Anton Renk, der als der „Dichter von Innsbruck“ in die heimische Literaturgeschichte eingegangen ist. Ich bin schon längst mit der kurzen Straße fertig, da telefonieren wir immer noch.

      Die Mitterhoferstraße (Glückloser Südtiroler Erfinder der Schreibmaschine, 1822–1893) verspeise ich als Nächstes, dazu muss ich nur den relativ kurzen Weg von der Reichenauer Straße bis zur Egerdachstraße gehen. Die folgende Straße ist gleich noch kürzer, denn die Maderspergerstraße (Glückloser Tiroler Erfinder der Nähmaschine, 1768–1850) führt überhaupt nur von der Lutterottistraße bis zur Reichenauer Straße, das sind wahrscheinlich nicht einmal 150 Meter. Als letzte Straße in diesem Geviert fehlt mir jetzt nur noch die Kravoglstraße (Erfolgreicher Südtiroler Erfinder, 1823–1889), ein gehtechnisches Freispiel sozusagen. Denn auch diese Straße verbindet die Reichenauer Straße mit der Egerdachstraße, ist also keine 300 Meter lang. Die Kravoglstraße war neun Jahre lang (ups, habe ich jetzt etwa aus Versehen gepetzt?) der letzte Teil von Nadjas Schulweg, denn hier befindet sich der Haupteingang des Reithmann-Gymnasiums.

      Jetzt geht’s mit den Straßen aber echt dahin, mal schauen, wie viele ich heute noch zusammenbringe. Also lasse ich mich zur Pembaurstraße (Direktor des Innsbrucker Musikvereins, 1848–1923) bringen, sie ist die Verlängerung der Langstraße in Richtung Norden. Und damit sind wir jetzt beim letzten Teil eines ehemaligen Schulwegs von mir, denn hier befindet sich die Pembaur-Schule. Zu meiner Zeit hat sie noch Renner-Schule geheißen und als sie mein Vater vor 75 Jahren besucht hat, da ging er an dieser Stelle noch in die Schemm-Schule. Das Schulhaus hat sich für mich in all den Jahren um keinen Deut verändert, nur das riesige Zahnrad ist damals noch nicht davor gestanden. Die Pembaurstraße geht über die Reichenauer Straße drüber und endet erst an der Sill, also an der Grenze zum Stadtteil Saggen. Wir fahren dann wieder in unsere eigene Wohngegend, denn da gilt es auch noch ein paar kleinere Straßen zu erledigen. Ich beginne mit der Mitterergasse (Südtiroler Priester, 1824-1899), dieses Mini-Sträßchen werden nicht viele Innsbrucker kennen. Sie stellt eine Verbindung von der Koflerstraße zur Dürerstraße (Nürnberger Maler, 1471–1528) her und die Dürerstraße nehme ich dann sogleich in Angriff. In der gesamten Gegend hier lässt es sich wunderbar wohnen, es herrscht kein nennenswerter Verkehr auf den Straßen und man hört den ganzen Tag die Vöglein zwitschern. Ilse wartet bereits am Ende der Dürerstraße beim Senioren-Wohnheim auf mich, erspare ich mir also die paar Meter bis zur Rilkestraße (österreichischer Lyriker, 1875–1926). Die reicht von der Dürerstraße in Richtung Norden bis zur Gumppstraße und ich hätte sie beinahe übersehen.

      Parallel zur Rilkestraße befindet sich etwas weiter westlich die Schretterstraße (Tiroler Portraitmaler, 1856–1909), aber die geht über die Dürerstraße drüber und endet erst an der Kranewitterstraße. Jetzt fehlt nur noch die recht kurze Landseestraße (Innsbrucker Hotelier, 1847–1924), die beginnt praktischerweise an der Kreuzung zur Kranewitterstraße. Ich gehe die Straße bis zu ihrem Finale bei der Gumppstraße durch und das war dann auch das Finale für mich am heutigen Tag. Im Auto überrascht mich Ilse dann mit der freudigen Nachricht, dass mit der Landseestraße der Stadtteil Pradl erledigt ist, alle Straßen, Gassen, Wege und Plätze bin ich in den letzten vier Tagen abgegangen. Na, das ist ja super, immerhin ist Pradl der bevölkerungsreichste Stadtteil Innsbruck, flächenmäßig wird es aber wohl größere geben. Wurscht, in ein paar Wochen weiß ich es genauer.

      Daheim hat Ilse dann alle heute begangenen Straßen im Stadtplan ausgestrichen und dabei sind wir draufgekommen, dass wir noch zwei Straßen in Pradl übersehen haben, noch dazu zwei ziemlich wichtige und vor allem ziemlich lange. Also brechen wir unverzüglich auf und Ilse bringt mich noch einmal zum Tivoli-Stadion hinauf, denn genau gegenüber, an der Ecke zur Kaufmannstraße, hat die Resselstraße (Erfinder der Schiffsschraube, 1793–1857) ihren Anfang. Sie geht eh nur hinunter bis zur Anzengruberstraße, kein Vergleich mit der nächsten Straße. Denn die Anton-Eder-Straße (Innsbrucker Bürgermeister, 1868–1952) ist ein ganz anderes Kaliber, sie beginnt, schon nach dem Orts-Ende-Schild von Innsbruck, beim Kreisverkehr Innsbruck-Mitte. Es gibt auf den ersten 200 bis 300 Metern keinen Gehsteig, also gehe ich halb in der Wiese. Der Weg führt mich zum x-ten Mal heute am Tivoli-Stadion vorbei, jetzt habe ich es von allen Seiten umrundet. Da sehe ich plötzlich, dass direkt am Fußballstadion ein braunes Straßenschild angebracht ist. Ich unterbreche also ausnahmsweise eine eben begangene Straße und klettere die steile Wiesenböschung hinunter, um genauer nachzuschauen. Tatsächlich, der kurze Weg am Stadion nennt sich Stadionstraße, der Name ist also nicht wirklich weit hergeholt. Die hätte ich echt um ein Haar übersehen, natürlich absolviere ich sie auf der Stelle. Danach wieder zurück zum Ausgangspunkt und weiter geht’s auf der Anton-Eder-Straße. Nach dem Landessportheim muss ich die Unterführung des Tivoli-Kreisverkehrs benutzen, die Graffitis an den Wänden zeugen von viel künstlerischer Begabung unserer Spraydosen-Freunde. Aber hier dürfen sie das, die Flächen sind von der Stadt ausdrücklich dafür zur Verfügung gestellt worden. So, jetzt muss ich nur noch an der Ostseite des Tivoli-Schwimmbads vorbei und kurz nach dem Sonnpark endet mein heutiger Wandertag an der Amraser Straße.

      Insgesamt bin ich heute durch 28 Straßen gewandert – das ist neuer Rekord.

      Reim des Tages:

      Bin bis jetzt durch 86 Straßen gegangen,

      dabei habe ich gerade erst angefangen.