Название | Ich bin dann mal nicht weg |
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Автор произведения | Gernot Zimmermann |
Жанр | Языкознание |
Серия | Wagner'sche Reihe |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783703065477 |
Die Burgenlandstraße mündet in den Kreisverkehr beim Tivoli und kommt in westlicher Richtung als Olympiastraße (nach den Winterspielen 1964 und 1976) wieder aus ihm heraus. Diese Straße beherbergt unter anderem das Olympia-Eisstadion, die erst vor ein paar Jahren errichtete „kleine“ Eishalle und führt noch dazu am Tivoli-Schwimmbad vorbei. Auf das „Tivox“ komme ich später noch einmal zurück, jetzt bin ich in Gedanken ganz bei meinem Lieblings-Fußballverein FC Wacker Innsbruck. Denn ziemlich genau da, wo man heute in die Tiefgarage des „Merkur-Marktes“ einfährt, war bis zur Jahrtausendwende der „Eingang Süd“ des alten Wackerstadions. Wie oft ich hier mit dem Wacker mitgefiebert, mitgejubelt und mitgelitten habe – ich weiß es nicht, aber die Zahl meiner Besuche ist mit Sicherheit eine mittlere dreistellige. Ich werde etwa acht Jahre alt gewesen sein, wir waren gerade aus der Innenstadt nach Amras gezogen, da „entdeckte“ ich durch einen Schulfreund, dass man die zweite Halbzeit eines Wacker-Spiels gratis anschauen durfte. Irgendwann in der 46. oder 47. Minute öffnete ein Ordner das große Gittertor und einige Dutzend Zaungäste wurden auch ohne Ticket eingelassen. Ich war dann immer öfter auch mit dabei und mit der Zeit entwickelte ich mich zu einem richtigen Fan. Meinen Eltern habe ich die Stadionbesuche aus Angst vor einem Verbot lange verschwiegen, sie glaubten mich halt im Hof.
Das Rauschen der Sill reißt mich aus meinen Wacker-Gedanken, denn die Olympiastraße ist hier erledigt. Wir biegen rechts ab und gehen zwischen dem Sill-Fluss und der relativ neu errichteten „Wohnanlage Tivoli“ durch. Hier gibt es gleich zwei kurze Straßen, von denen ich noch nie gehört habe – die Josef-Thoman-Straße (Tiroler Politiker, 1923–2003) verläuft in Richtung Osten, die wenige Meter daneben liegende Adele-Obermayr-Straße (Tiroler Politikerin, im NS-Widerstand tätig, 1894–1972) bringt uns danach wieder zurück zum Ufer der Sill. Wir halten uns weiter Richtung Norden und nach dem Sillufer kommen wir bei der Berufsfeuerwehr zur Hunoldstraße (Dichter, 1828–1884). In dieser Straße ist mein Vater aufgewachsen, an die großelterliche Wohnung kann ich mich nur noch schemenhaft erinnern. Aber das Haus steht noch und hat sich in den letzten 55 Jahren nur unwesentlich verändert. Die Hunoldstraße endet für uns an der Amraser Straße, wir überqueren den Leipziger Platz (nach der Völkerschlacht von 1813) und gehen danach die Körnerstraße (Deutscher Schriftsteller, 1791–1813) an. Bis jetzt ist jede Straße in eine andere übergegangen, das ändert sich nun. Denn den südlichen Teil der Körnerstraße müssen wir nach seiner Bewältigung gleich wieder zurück gehen – zum Glück sind das kaum 200 Meter. Aber es sind 200 Extra-Meter, „Schweine-Meter“, wie ich sie genannt habe. Die Körnerstraße geht in den Pradler Platz (umrundet die alte Pradler Pfarrkirche) über, damit ist schon die nächste Adresse abgehakt. Jetzt befinden wir uns auf der Pradler Straße, gehen diese in Richtung Norden und kommen so zum Furterzaunweg (alter Flurname), der links abgeht. Das Mini-Sträßchen ist in kürzester Zeit durchlaufen, da stört es wenig, dass wir auch diesen Weg zweimal gehen müssen. Das ist in der Schmidgasse (nach dem alten Schmidhaus) nicht anders, denn auch sie geht als Sackgasse links von der Pradler Straße ab. Zum Glück ist die Gasse ebenso kurz und wir steuern unser nächstes Ziel an, das Brückenplatzl (neben der Pradler Brücke). Dort befindet sich eine schöne Bank bei einem noch schöneren Baum und das Allerschönste ist der Ausblick auf den Patscherkofel, den man vor hier aus genießen kann. Ich brauche jetzt mal eine längere Pause und meine linke Wade hält das auch für eine super Idee. Ich bin einfach völlig untrainiert, morgen werde ich wahrscheinlich einen ordentlichen Muskelkater haben.
Nach dem feinen Break spazieren wir die Pradler Straße (nach dem ehemaligen Dorf Pradl) hinauf und das im doppelten Wortsinn. Denn die Straße steigt definitiv leicht an, auch wenn man es mit freiem Auge kaum sieht. Aber ich spüre es. Und so muss ich einmal tatsächlich stehenbleiben, damit sich mein überfordertes Bein wieder beruhigen kann. Mühsam. An der Kreuzung mit der Amraser Straße biegen wir links ab und gehen die 50 Meter vor bis zur Lindenstraße (früher standen hier viele Lindenbäume). Die verläuft parallel zur Pradler Straße, also geht sie dankenswerterweise leicht abwärts und ich muss nicht stehenbleiben. Bei der querenden Gumppstraße angekommen, gehen wir diese ein paar Meter in Richtung Osten und verfügen uns bald einmal links in die Gabelsbergerstraße (Erfinder der Stenografie, 1789–1849) hinein, die nach Norden führt.
Ganz am Ende der Gabelsbergerstraße hat Ilse jahrelang als Koch- und Werklehrerin unterrichtet – nomen est omen –, in der „Neuen Mittelschule Gabelsberger“. So weit sind wir aber noch nicht, denn zuerst müssen wir noch durchs sogenannte „Facken-Gassl“, welches fast jeder Innsbrucker kennt, das aber in keinem Stadtplan zu finden ist. Das schmale, an einem Bauernhof samt Stall (daher der Name) vorbeiführende Gässchen reicht von der Amthorstraße bis zur Egerdachstraße, ehe es in den nördlichen Teil der Gabelsbergerstraße übergeht. Aber wahrscheinlich heißt das „Facken-Gassl“ eh auch Gabelsbergerstraße, als Extra-Adresse rechne ich es jedenfalls nicht. Wir sind an der Schule angekommen, halten uns links und nach ein paar Metern auf der Reichenauer Straße finden wir uns in der Schmuckgasse (nach einer Tiroler Beamten- und Handelsfamilie) wieder. Die ist fast schneller absolviert als ein Eichhörnchen mit seinen Ohrhärchen wedeln kann, dafür folgt mit der Egerdachstraße (nach einem ehemaligen Heilbad) gleich die längste Straße bis jetzt. Wir starten beim alten Brunnen an der Ecke zur Pradler Straße und marschieren los.
Die Egerdachstraße hat zwei völlig unterschiedliche Charaktere aufzuweisen. Bis zur Kreuzung mit der Kravoglstraße/Klappholzstraße lässt sie sich ganz normal mit dem Auto befahren, dann biegt sie scharf nach rechts ab und verläuft als reiner Fuß- und Radweg bis vor zum Langen Weg. Das ist wirklich ein breiter Weg bis zum Langen Weg. Unter anderem kommen wir am Dotterbichl vorbei, wo ich als Kind manchmal mit der Rodel oder den Skiern runtergerutscht bin. Und es überrascht mich einigermaßen, dass der sich offenbar nicht in der Reichenau, sondern noch in Pradl befindet. Als alter Reichenauer wäre ich nie draufgekommen, denn für mich gehört der Dotterbichl genauso zur Reichenau wie der Sill-Zwickel – der übrigens in Wahrheit zum Saggen gehört, eventuell noch zum Pradler Saggen ... In unmittelbarer Nähe des Dotterbichls befindet sich der sogenannte Roßsprung. Genau hier hat im 15. Jahrhundert ein Edelknabe mit seinem Pferd einen Wassergraben übersprungen – mit einem 12 Meter weiten Satz! Die damals gesetzten Marksteine sind – nach ihrer Wiederentdeckung 1961 – heute noch zu sehen. Übrigens haben weder Pferd noch Reiter den Sprung überlebt, in die Geschichte Innsbrucks sind sie aber trotzdem (oder vielleicht sogar deswegen) eingegangen. Das Wunderpferd ist später ausgestopft und im Schloss Ambras ausgestellt worden, wo es heute noch in der dortigen Schatzkammer zu bewundern ist. Zumindest das ist dem waghalsigen Jockey erspart geblieben, auch wenn heute niemand mehr seinen Namen kennt.
Entlang der Egerdachstraße befinden sich zahlreiche Bänke, so kann ich mich immer wieder einmal ausrasten, denn schön langsam spüre ich die vielen Kilometer, zehn werden es bis jetzt wohl schon gewesen sein. Aber bald haben wir die erste Tagesetappe eh hinter uns.
Nach der Egerdachstraße geht Ilse schon mal nach Hause, wir wohnen ja um die Ecke. Ich begleite sie noch ein paar Meter und gehe dann von der Kranewitterstraße rechts in die Hans-Sachs-Straße (Meistersinger, 1494–1576). Bei etwas besserer Kondition könnte man diese kurze Straße auf einem Bein durchhüpfen, aber wer will das schon. Am Ende der Straße muss ich nur hundert Meter nach links die Dürerstraße entlang gehen, dann zweigt schon rechts und links die Schwindstraße (Maler, 1804–1871) ab. Zuerst gehe ich den kürzeren Teil in Richtung Norden, dort am Absatz kehrt gemacht und danach wieder hinauf zur Kranewitterstraße. Auch diesen Teil der Straße hüpfe ich nicht einbeinig durch, sondern bin im Gegenteil froh, dass sie so kurz ist. Denn sie geht eindeutig leicht aufwärts und das mag meine beleidigte linke Wade gar nicht. Jetzt bin ich bald daheim, aber am Weg dorthin nehme ich noch zwei Adressen mit. Als Erstes wird die Nordkettenstraße (Gebirgskette des Karwendels) abgehandelt, nach der unsere Siedlung benannt ist. Auch diese Straße steigt ganz leicht an, aber jetzt bin ich wohl schon ein bisschen überempfindlich. Jedenfalls bin ich froh, dass ich mit der östlich der Nordkettenstraße gelegenen und parallel verlaufenden Siegmairstraße (Kampfgenosse Andreas Hofers, 1775–1810) die letzte Adresse für heute vor mir habe. Mit schon ziemlich müden Schritten gehe ich an der Volksschule vorbei, die Ilse übrigens schon als Schülerin gekannt hat, so lange steht